Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг


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den Bengalen hätte er sparen können, denn wenn Hurree auch körperlich litt, so war er doch aufgebläht vor Stolz. Eine Meile bergabwärts, an der Grenze des Kiefernwaldes traktierten zwei halb erfrorene Männer (der eine von ihnen von heftigen Schmerzen geplagt) sich gegenseitig mit heftigen Beschuldigungen und schimpften nebenbei auf den Babu, der vor Schrecken erstarrt schien. Sie forderten von ihm einen Operationsplan. Er erklärte: Sie könnten zufrieden sein, daß sie überhaupt noch lebten; daß ihre Kulis, wenn sie nicht heimlich hinterher schlichen, jetzt nicht mehr zu erreichen wären; daß der Rajah, sein Herr, neunzig Meilen weit weg wäre und ebenso weil entfernt, ihnen Geld zu borgen, als ihnen ein Gefolge nach Simla zu geben; daß er vielmehr sie ins Gefängnis sperren würde, wenn er erführe, daß sie einen Priester geschlagen hätten. Er verbreitete sich weitläufig über diese Sünde und deren mögliche Folgen, bis sie ihm befahlen, von etwas anderem zu sprechen. Ihre einzige Hoffnung, sagte er darauf, wäre eine bescheidene Flucht von Dorf zu Dorf, bis sie zivilisierte Gegenden erreichten, und zum hundertsten Mal, mit strömenden Tränen, richtete er an die hohen Sterne die Frage: »Warum die Sahibs einen heiligen Mann geschlagen.«

      Zehn Schritte in die Dunkelheit hinein hätten genügt, Hurree aus ihrem Bereich und in ein Dorf zu bringen, wo er Obdach und Speise gefunden hätte und wo glattzüngige Doktoren seltene Gäste waren. Aber er zog es vor, trotz Kälte, Magenknurren, Schimpfreden und gelegentlicher Schläge, in der Gesellschaft seiner geehrten Dienstherren zu bleiben. Gegen einen Baumstumpf zusammengedrückt, schnuffelte er kummervoll »Und hast Du bedacht,« fragte der Nichtverwundete heftig, »welche Art Schauspiel wir geben würden, wenn wir durch diese Berge kriechen, zwischen diesen Ureinwohnern herum?«

      Hurree Babu hatte die letzten Stunden an nichts anderes gedacht: aber die Frage war nicht an seine Adresse gerichtet.

      »Wir können nicht weit kommen! Ich kann kaum gehen,« stöhnte Kims Opfer.

      »Vielleicht wird der heilige Mann barmherzig sein in versöhnlicher Liebe, Sar – sonst –«

      »Ich verspreche mir ein besonderes Vergnügen davon, meinen Revolver in den jungen Bonzen zu entleeren, sobald ich ihn wieder treffe,« war die unchristliche Antwort.

      »Revolver! Rache! Bonze!« Hurree kroch in sich zusammen. Der Krieg schien von neuem auszubrechen.

      »Denkst Du nicht an unsern Verlust? Das Gepäck! Unsere Sachen!« Er hörte den Sprecher buchstäblich tanzen vor Wut. »Alles was wir trugen! Alles was wir gespart! Unser Gewinn! Die Arbeit von acht Monaten! Begreifst Du, was das sagen will? »Sicher, wir verstehen mit Orientalen umzugehen!« Oh, Du hast es gut gemacht!«

      Sie zankten sich in verschiedenen Sprachen. Hurree lächelte. Kim war bei den Zelten, und in den Zelten lagen acht Monate guter Diplomatie. Es war nicht möglich, sich mit dem Knaben in Verbindung zu setzen, aber er war zuverlässig. Im übrigen würde er die Regie der Reise durch die Berge so führen, daß Hilas, Bunar und noch vierhundert Meilen Hügelstraße die Geschichte genau behalten würden mindestens für eine Generation. Leute, die nicht einmal ihre eigenen Kulis beaufsichtigen können, werden in den Bergen nicht respektiert und der Gebirgler hat sehr viel Sinn für Humor.

      »Wenn ich es selbst getan hätte,« dachte Hurree, »hätte es nicht besser gehen können; und nun wo ich es überlege, verflucht! habe ich es selbst arrangiert. Wie geschickt ich es gemacht habe! Ich dachte es aus, als ich eben den Hügel hinabrannte. Die Beleidigung war ein Zufall, aber ich allein – habe sie ausgenutzt – ha! Sie war es verdammt wert! Bedenke den moralischen Effekt auf dieses unwissende Volk! Keine Verträge – keine Papiere – keine geschriebenen Dokumente – und ich als Vermittler für sie! Wie ich mit dem Oberst lachen will! Ich möchte ihre Papiere auch haben, aber man kann nicht zu gleicher Zeit auf zwei Plätzen im Räume sein – das ist leider klar!«

      Kapitel 14.

       Inhaltsverzeichnis

      Beim Mondaufgang brachen die Kulis auf. Der Lama, durch Schlaf und den Alkohol erfrischt, bedurfte nur der leichten Stütze von Kims Schulter, um vorwärts zu kommen – ein schweigsamer, rasch ausschreitender Mann. Eine Stunde wohl gingen sie über schieferbestreuten Rasen, bogen um die Schulter einer gewaltigen Klippe und erreichten eine Gegend, wo jede Aussicht auf das Chini-Tal abgesperrt war. Ein ungeheurer Weidegrund stieg fächerförmig empor bis zu dem ewigen Schnee: an seinem Fuße lag ein Stück flachen Landes, auf dem einige schmutzige Holzhütten standen. Hinter diesen – nach Gebirgsart waren sie an der Kante aller Dinge angeklebt – fiel der Grund zweitausend Fuß steil ab nach Shamlegh-Mitte, wohin noch keines Menschen Fuß gelangte.

      Die Leute machten keine Anstalt den Raub zu teilen, bis sie den Lama in dem besten Raum des Platzes gebettet sahen. Kim massierte ihm die Füße nach muselmännischer Manier.

      »Wir werden Essen schicken,« sagte der Ao-chung-Mann, »und das rote Zelt. Nach der Dämmerung wird nichts mehr vorhanden sein, was gegen uns zeugen könnte. Wenn irgend etwas in dem Zelt nicht gebraucht wird, mach es so –«

      Er zeigte nach dem Fenster, das sich öffnete nach dem Abgrund, der von dem vom Schnee zurückgestrahlten Mondlicht erfüllt war und warf eine leere Whiskyflasche hinaus.

      »Unnütz auf den Fall zu horchen,« sagte er, »hier ist das Ende der Welt,« und fort war er. Der Lama blickte hinaus mit Augen, die wie gelbe Opale glänzten. Von dem mächtigen Horn vor ihm streckten sich weiße Spitzen sehnsüchtig nach dem Mondlicht empor. Das übrige war wie die Dunkelheit des zwischen den Sternen befindlichen Raumes.

      »Dies,« sprach der Lama, »sind in Wahrheit meine Berge. Hier sollte ein Mensch verbleiben, festgehalten über der Welt, entfernt von Wünschen, unermeßliche Gedanken denkend.«

      »Ja; wenn er einen Chela hat, der ihm Tee bereitet, der ihm die Decke unter dem Kopf faltet und kalbende Kühe hinausjagt.«

      Eine rauchende Lampe brannte in einer Nische; ihr Licht ward vom Mondlicht niedergedämpft, und in dem gemischten Schein bewegte Kim sich wie ein schlanker Geist und beugte sich hier über den Beutel von Eßwaren, dort über das Teegeschirr.

      »Ah! Nun habe ich mein Blut gekühlt und doch klopft und trommelt mein Kopf, und es liegt ein Reif um meinen Hinterkopf.«

      »Kein Wunder. Es war ein starker Schlag. Möge der, der ihn austeilte –«

      »Ohne meine eigene Leidenschaft würde nichts Böses geschehen sein.«

      »Böses? Du hast die Sahibs vom Tode gerettet, den sie hundertfach verdient hatten.«

      »Die Lektion hast Du nicht gut gelernt, Chela.« Der Lama ruhte jetzt auf einer zusammengelegten Decke, und Kim besorgte seine abendliche Arbeit. »Der Schlag war nur ein Schatten auf einem Schatten. Böses in sich selbst – meine Beine sind seit einigen Tagen etwas müde – es begegnete Bösem in mir – Verdruß, Zorn und eine Lust, Böses zu vergelten. Das rang in meinem Blut, weckte Unruhe im Magen und betäubte mein Ohr.« Er nahm den Becher aus Kims Hand und trank zeremoniös brühheißen Tee. Wäre ich frei von Leidenschaft gewesen, würde der Schlag nur körperliches Übel verursacht haben – eine Hautschürfung, eine Narbe – eine Täuschung. Aber mein Geist war nicht geläutert, und eine Lust drang plötzlich in ihn ein, die Spiti-Männer nicht vom Töten abzuhalten. In Bekämpfung dieser Lust ward meine Seele hin und her geworfen und gezerrt, schlimmer als tausend Schläge. Erst, nachdem ich den Segen wiederholt halte (er meinte die buddhistischen Segnungen), ward mir Ruhe. Aber das Böse, das mir durch die Sorglosigkeit eines Augenblicks eingepflanzt wurde, wirkt seinem Ende zu. Gerecht ist das Rad, weicht nicht um eines Haares Breite ab! Lerne die Lektion, Chela.«

      »Sie ist zu hoch für mich,« murmelte Kim. »Ich bin noch immer ganz erschüttert. Es freut mich, daß ich den Mann verwundete.«

      »Ich fühlte das, als ich auf Deinen Knien schlief, in dem Walde dort unten. Es beunruhigte mich in meinen Träumen – das Böse aus Deiner Seele war in meine übergegangen. Doch auf der andern Seite habe ich Verdienst erworben, indem ich zwei Leben rettete – das Leben derjenigen, die mir Unrecht taten. Nun will ich in die Ursache


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