Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг


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      »Du hast mich schon verwünscht durch Deinen Augenniederschlag und das emporgerichtete Kinn. Verwünschungen? Was kümmern mich Worte?« Sie preßte die Hände auf den Busen. »Aber ich will nicht, daß Du im Unwillen von mir gehst und schlecht von mir denkst, als wäre ich eine Gras-und Kuhdung-Sammlerin, und nicht eine Frau von Wert.«

      »Ich denke nichts,« sagte Kim, »als daß ich traurig bin, weil ich fort muß und daß ich müde und hungrig bin. Hier ist der Beutel.«

      Die Frau entriß ihm zornig den Beutel. »Ich war eine Närrin,« rief sie. »Wer ist Deine Frau in den Ebenen? Ist sie blond oder schwarz? Einst war ich schön. Lachst Du? Einst, vor langer Zeit, glaubst Du mir nicht? sah ein Sahib mich günstig an. Einst, vor langer Zeit, trug ich europäische Kleider in dem Missions-Haus dorten.« Sie wies nach Kotgarh hin. »Einst, vor langer Zeit, war ich Ker-lis-ti-an und sprach englisch wie die Sahibs sprechen. Ja. Mein Sahib sagte, er würde zurückkehren und mich freien – ja, freien. Er ging fort – ich hatte ihn gepflegt, als er krank war – aber er kehrte nie zurück. Da sah ich, daß die Götter der Kerlistis lügen und ich ging wieder zu meinem eignen Volk… Seitdem habe ich keinen Sahib wieder angesehen. (Lache nicht über mich. Der Anfall ist vorüber, kleines Priesterchen.) Dein Gesicht und Dein Gang und Deine Rede erinnerte mich an meinen Sahib, obwohl Du nur ein wandernder Bettler bist, dem ich ein Almosen reiche. Mich verfluchen? Du kannst weder verfluchen noch segnen!« Sie legte die Finger an die Lippen und lachte bitter. »Deine Götter sind Lügen: Deine Taten sind Lügen: Deine Worte sind Lügen. Es sind keine Götter in all den Himmeln. Ich weiß es. Einen Augenblick wähnte ich, mein Sahib wäre zurückgekommen, und er war mein Gott. Ja, einst spielte ich auf dem Piano in dem Missions-Haus zu Kotgarh. Jetzt gebe ich Almosen – Priestern, die Heiden sind.« Sie sprach nicht weiter englisch und band den übervollen Beutel zu.

      »Ich warte auf Dich, Chela,« sprach der Lama, der an dem Türpfosten lehnte.

      Die Frau überflog mit den Augen die hohe Gestalt. »Er gehen! Er kommt keine halbe Meile weit. Wohin sollen alle Knochen wandern?«

      Kim, bestürzt durch das verfallene Aussehen des Lamas, und den gewichtigen Umfang des Beutels, verlor die Fassung.

      »Was geht es Dich an, Weib von bösem Wunsch, wie weit er kommt?«

      »Nichts – eher Dich etwas, Priester mit dem Sahib-Gesicht. Willst Du ihn auf Deinen Schultern tragen?«

      »Ich gehe in die Ebenen. Niemand darf mich am Rückweg hindern. Ich habe gerungen mit meiner Seele, bis ich kraftlos war. Mein törichter Leib ist verbraucht, und wir sind noch fern von den Ebenen.«

      »Schau hin!« sagte sie einfach und trat zurück, damit Kim seine gänzliche Hilflosigkeit erblicke. »Verfluche mich. Vielleicht gibt ihm das Kraft zurück. Mach einen Zauber! Ruf Deinen großen Gott an. Du bist ein Priester.«

      So wandte sie sich ab.

      Der Lama hatte sich schlaff niedergesetzt, seine Hände hielten sich an dem Türpfosten. Ein alter Mann erholt sich nicht so leicht wie ein Knabe von solcher Erschütterung. Die Schwäche beugte ihn zur Erde, aber die Augen, die auf Kim ruhten, blickten lebendig und flehend.

      »Es wird alles gut werden,« fügte Kim. »Die dünne Luft greift Dich an. Bald gehen wir. Es ist die Bergkrankheit. Auch ich bin etwas Krank in der Brust» … er kniete nieder und tröstete ihn mit kindlichen Worten, wie sie ihm auf die Lippen kamen. Die Frau trat wieder ein und, straff aufgerichtet, sprach sie:

      »Deine Götter können nicht helfen? Versuche meine! Ich bin das Weib von Shamlegh.« Sie ließ einen heiseren Ruf hören und herbei kamen aus einem Kuh-Gehege ihre beiden Gatten und zwei andere Männer, mit einer Dooli, der rohen einheimischen Tragbahre der Hügel, die gebraucht wird, um Kranke zu transportieren und um Staatsvisiten zu machen. »Dieses Rindvieh ist Dein,« sie ließ sich nicht einmal herab, die Männer anzusehen, »so lange Du ihrer bedarfst.«

      »Mir wollen aber nicht den Simla-Weg gehen,« rief der Gatte Nr. 1. »Wir wollen den Sahibs nicht nahe kommen.«

      »Sie werden nicht fortlaufen, wie die anderen taten, auch kein Gepäck stehlen. Zwei von ihnen sind Schwächlinge. Faßt die Deichselstangen an, Sonoo und Taree.« Sie gehorchten rasch. »Niedriger! Und hebt den alten Mann hinauf. Ich will auf das Dorf und auf Euere tugendhaften Weiber acht geben, bis Ihr wiederkommt.«

      »Wann wird das sein?«

      »Fragt die Priester. Belästigt mich nicht. Bindet den Futterbeutel unten an, er behält so besseres Gleichgewicht.«

      »O, Heiliger!« rief Kim beruhigter, als der Lama nach der Tragbahre schwankte. »Deine Berge sind gütiger als unsere Ebenen. Es ist ein wahres Königsbett, ein Platz der Ehre und Ruhe. Und wir danken es der –«

      »Frau vom bösen Wunsch. Ich brauche Deine Segnungen so wenig wie Deine Verwünschungen. Es ist mein Befehl, nicht Deiner. Hebt auf und fort! Bleibe! Hast Du Geld für die Reise?«

      Sie winkte Kim nach ihrer Hütte und bückte sich nach einer abgenutzten englischen Schatulle unter ihrer Bettstatt.

      »Ich brauche nichts,« sprach Kim, ärgerlich, wo er hätte dankbar sein sollen. »Ich bin schon überladen mit Deinen Gunstbezeigungen.«

      Sie blickte mit sonderbarem Lächeln auf ihn und legte eine Hand auf seine Schulter. »Danke mir wenigstens. Ich bin häßlich und eine Bergfrau, aber, wie Deine Rede geht: ich habe Verdienst erworben. Soll ich Dir zeigen, wie die Sahibs danken?« Und ihre harten Augen wurden weicher.

      »Ich bin nur ein wandernder Priester,« sagte Kim und seine Augen antworteten den ihrigen. »Du bedarfst weder meines Segens noch meines Fluches.«

      »Nein. Aber warte einen Augenblick. – Du kannst die Dooli mit zehn Schritten überholen – wenn Du ein Sahib wärest – soll ich Dir zeigen, was Du dann tun würdest?«

      »Wie, wenn ich es errate?« sagte Kim, und sie mit dem Arm umfassend. küßte er ihre Wange und fügte auf englisch hinzu: »Ich danke Dir sehr, meine Liebe.« Küssen ist den Asiaten tatsächlich unbekannt; das mag der Grund sein, daß sie sich mit weit offenen, erschreckten Augen rückwärts beugte.

      »Das nächste Mal,« fuhr Kim fort, »mußt Du Deinen Heiden-Priestern gegenüber nicht so sicher sein. Nun muß ich Abschied nehmen.« Er hielt, nach europäischer Art, seine Hand hin. Sie ergriff sie mechanisch. »Leb wohl, meine Liebe.«

      »Leb wohl, und – und –« Wort auf Wort kam ihr das Englisch wieder – »und wirst Du wiederkommen? Leb wohl, und – der Gott segne Dich.«

      Eine halbe Stunde später, als die knarrende Bahre den Hügelpfad, der südöstlich von Shamlegh abweicht, aufwärts rüttelte, erblickte Kim vor der Hüttentür eine kleine Gestalt, die mit einem weißen Lappen wehte.

      »Sie hat vor allen anderen Verdienst erworben,« sprach der Lama. »Denn einem Manne auf den Weg zur Freiheit zu helfen, ist fast so viel, als hätte sie selbst ihn gefunden.«

      »Hm!« machte Kim, an das Geschehene denkend.

      »Mag sein, daß auch ich Verdienst erworben habe … wenigstens hat sie mich nicht wie ein Kind behandelt.«

      Er hakte sein Gewand fest, wo er die Karten und Dokumente bewahrte, schnallte den Futtersack fester, legte die Hand auf den Rand der Bahre und krümmte sich nieder zu dem langsamen Schritt der knurrenden Ehemänner.

      »Diese auch erwerben Verdienst,« sprach der Lama, nach einigen Meilen.

      »Mehr noch, sie werden in Silber bezahlt,« meinte Kim. Das Weib von Shamlegh hatte es ihm gegeben; und es war in der Ordnung, folgerte er, daß ihre Männer es zurückverdienten.

      Kapitel 15.

       Inhaltsverzeichnis

      Zweihundert Meilen nördlich von Chini, an der blauen Schiefergrenze von Ladakh, finden wir Yankling Sahib, den lustigen Mann, wütend durch ein


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