Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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Hi! Hi!«

      »Aber Du hast, wie der, der dort schläft,« – er nickte nach der geschlossenen Tür des Gastzimmers hin – sagte: »ein Herz von Gold … und im Geist ist er mir ein wahrer Großsohn.«

      »Gut! Ich bin des Heiligen Kuh!« Dies war purer Hinduismus, aber der Lama beachtete es nicht. »Ich bin alt, ich habe Söhne im Fleische geboren! Oh, einst konnte ich den Männern gefallen! Jetzt kuriere ich sie.« Er hörte ihre Armspangen klirren, als wenn sie die Arms entblößte um zuzugreifen. »Ich will den Knaben zu mir nehmen und ihn in Schlaf bringen und ihn füttern und ihn ganz gesund machen. Hai! Hai! Wir alten Leute wissen noch etwas.«

      Daher fand Kim, als er mit schmerzenden Gliedern die Augen öffnete und nach der Küche gehen wollte, um seines Meisters Essen zu holen, heftigen Widerstand: und eine verschleierte Gestalt an der Tür, neben dem grauen Diener, zählte ihm genau vor, was er nicht tun sollte.

      »Du mußt haben? – Du sollst nichts haben. Was? Ein verschlossener Koffer, in dem heilige Bücher verschlossen werden müssen? Oh, das ist etwas anderes. Der Himmel verhüte, daß ich zwischen einen Priester und seine Gebete trete! Er soll gebracht werden und Du sollst den Schlüssel behalten.«

      Sie schoben den Koffer unter sein Bett, und mit einem Stöhnen der Erleichterung schloß er Mahbubs Pistole, das Öltuch-Brief-Paket und die Tagebücher ein. Sonderbarerweise hatte das Gewicht auf seinen Schultern ihn weniger gedrückt, als das auf seiner armen Seele. Sein Genick schmerzte nachts unter dieser Last.

      »Deine Krankheit ist ungewöhnlich für die Jugend unserer Tage,« sprach die Sahiba, »denn die Jugend hat verlernt, die Alten zu pflegen. Schlaf ist das Heilmittel für Dich und gewisse Tränke.« Und Kim versank in die Leere, die ihn halb ängstigte, halb besänftigte.

      Sie braute Tränke in einem mysteriösen asiatischen Ersatz von Destillations-Raum – Flüssigkeiten, die pestilenzialisch rochen und noch schlimmer schmeckten. Sie beugte sich über Kim, bis sie hinunter gewürgt waren und war unerschöpflich in Fragen, wenn sie wieder herauf kamen. Sie legte einen Tabu auf den Vorhof und erzwang seine Beachtung durch einen bewaffneten Mann. Zwar, die Wache war über siebzig Jahre und ihr in der Scheide steckendes Schwert hörte beim Griff auf; aber immerhin repräsentierte sie die Autorität der Sahiba, und Lastwagen, schwatzende Diener, Kälber, Hunde, Hennen und dergleichen hatten einen weiten Bogen zu machen. Dann suchte sie unter der Menge armer Verwandten (Haushalts-Hunde nennen wir sie), die sich in den Hintergebäuden zusammendrängten, die Witwe eines Vetters hervor, die geübt war in, was die Europäer, die nichts davon verstehen, Massage nennen. Diese, mit einer Assistentin, packten Kim, schoben ihn ostwärts und westwärts, damit die geheimnisvollen Erdströmungen, die den menschlichen Leib durchrieseln, helfen aber nicht hindern sollten, und nahmen ihn stückweise vor, Muskel für Muskel, Knochen für Knochen, Sehne für Sehne und schließlich Nerv für Nerv. Kim, zu einer unzurechnungsfähigen breiigen Masse geknetet, halb hypnotisiert durch das ewige Niederfallen und Zurückschlagen der unbequemen Kopftücher, die die Augen verhüllen, glitt zehntausend Meilen weit weg in Schlummer. Sechsunddreißig Stunden hielt der Schlaf an, der sich einsaugte wie Regen nach der Dürre.

      Dann fütterte sie ihn und das Haus wirbelte von ihrem Lärm. Sie befahl, Hühner zu schlachten, Gemüse herbeizuschaffen (der schwerfällige Gärtner, fast so alt, wie sie selbst, schwitzte), nahm Gewürze und Milch und Zwiebeln und kleine Fische aus den Bächen, forderte Zitronen zu Sherbet, Wachteln aus der Erdgrube, briet Hühnerleber mit geschabtem Ingwer am Spieß.

      »Ich habe etwas von dieser Welt gesehen,« sprach sie über dem Haufen von Schüsseln, »es gibt nur zwei Arten von Frauen darin; die, die dem Manne die Stärke nehmen und die, die sie ihm zurückgeben. Einst gehörte ich zu den Ersten, jetzt zu den Letzten. Nein – spiele nicht das Priesterlein gegen mich aus. Es war nur ein Scherz? aber wenn er Dir jetzt nicht gefällt, wird er Dir gefallen, wenn Du wieder auf der Heerstraße bist, Kusine« – dies zu der armen Verwandten, die nie aufhörte, die Mildtätigkeit ihrer Patronesse auszuposaunen – – »seine Haut blüht wie die eines frisch gestriegelten Pferdes. Wir arbeiten, um Juwelen zu polieren, die vielleicht einem Tanzmädchen hingeworfen werden – he?«

      Kim saß aufrecht und lächelte. Die furchtbare Schwäche hatte er abgeschüttelt wie einen alten Schuh. Seine Zunge juckte wieder nach freier Rede, während vor einer Woche kaum noch ein kleines Wort, wie von Asche beschwert, hervorkam. Der Schmerz im Genick (er mußte von dem Lama angesteckt sein) war verschwunden mit dem Dengfieber und dem üblen Geschmack im Munde. Die beiden alten Frauen, wenig vorsichtig mit ihren Schleiern, kluckten so lustig wie die Hennen, die durch die offene Tür hereinkamen.

      »Wo ist mein Heiliger?« fragte Kim.

      »Hör ihn! Dein Heiliger ist wohl,« schnappte sie maliziös, »obwohl das nicht seine Schuld ist. Wüßte ich einen Zauber, um ihn weise zu machen, würde ich meine Juwelen dafür hingeben. Das gute Futter, das ich selbst gekocht, nicht zu essen – zwei Nächte in den Feldern herum zu rennen mit leerem Bauch – und zuletzt in einen Graben zu fallen – nennst Du das Heiligkeit? Und dann, wenn er das Stückchen von meinem Herzen, das von der Angst um Dich übrig geblieben, vor Sorge fast gebrochen hat, spricht er, er habe Verdienst erworben. Oh, alle Männer sind sich gleich! Aber das ist noch nicht genug – er sagt mir, daß er befreit von jeder Sünde ist. Ich hätte ihm das sagen können, ohne daß er sich über und über naß machte! Nun ist er wohl – dies passierte vor einer Woche – aber solche Heiligkeit kann mir gestohlen werden! Ein Baby von drei Jahren würde es nicht so machen. Beunruhige Dich nicht um den Heiligen. Wenn er nicht in unsern Wassergräben herumwatet, bewacht er Dich mit beiden Augen.«

      »Ich erinnere mich nicht, ihn gesehen zu haben. Ich erinnere mich nur, daß die Nächte und die Tage sich öffneten und schlossen wie schwarze und weiße Bretter. Ich war nicht krank: ich war nur müde.«

      »Eine Lethargie, die von rechtswegen ein Schock Jahre später kommt. Aber jetzt ist alles vorüber.«

      »Maharanee,« begann Kim, aber nach einem Blick in ihr Auge wandelte er diesen Titel in das Wort der tiefsten Liebe – »Mutter, ich schulde Dir mein Leben. Wie soll ich Dir danken? Zehntausend Segnungen über Dein Haus, und –«

      »Das Haus kann ohne Segen fertig werden.« (Es ist unmöglich, die Worte der alten Dame genau wieder zu geben.) »Danke den Göttern als Priester, wenn Du willst, mir aber danke, wenn Du danken willst, wie ein Sohn. Habe ich Dich geschoben und gehoben und gehackt und Deine zehn Zehen gedreht, um mir Textsprüche an den Kopf werfen zu lassen? Irgendwo muß Dich ja eine Mutter zu ihrem Herzeleid geboren haben! Was warst Du ihr nütze – Sohn?«

      »Ich hatte keine Mutter, meine Mutter,« sprach Kim. »Sie starb, so sagte man mir, als ich noch klein war.«

      »Hai mal! Dann kann also niemand sagen, daß ich sie beraubt habe – wenn Du weiter wanderst und dieses Haus nur eins unter vielen ist, die Dir Obdach gewährten und vergessen wurden nach einem leicht hingeworfenen Segen –« sie stampfte mit dem Fuß gegen die arme Verwandte: »Trage die Schüsseln ins Haus. Was sollen die abgestandenen Speisen hier, o Weib von bösem Geist?«

      »Ich ha–habe auch einen Sohn geboren zu meiner Zeit, aber er starb,« wimmerte die gebeugte Gestalt hinter dem Kopftuch, Du weißt, daß er starb! Ich wartete nur auf Deinen Befehl, die Platte fortzunehmen.«

      »Ich bin das Weib vom bösen Geist,« rief die alte Dame reuevoll. »Wir, die wir niedersteigen zu der Chattris, klammern uns hart an die Träger der Chattris. Wenn man nicht mit tanzen kann beim Feste, muß man eben aus dem Fenster schauen und Großmutterspielen nimmt alle Zeit in Anspruch. Dein Meister gibt mir jetzt alle Zauber, die ich wünsche für den Ältesten meiner Tochter, aus dem Grunde – nicht wahr? daß er jetzt ganz frei von Sünde ist. Der Hakim ist sehr herunter gekommen. Er geht herum und vergiftet meine Diener, da er nichts Besseres hat.«

      »Welcher Hakim, Mutter?«

      »Derselbe Dacca-Mann, der mir die Pille gab, die mich in drei Stücke riß. Vor einer Woche tauchte er auf, wie ein verlaufenes Kamel und versicherte, daß Du und er wie Blutbrüder gewesen seid auf der Kulu-Straße, und tat so, als trüge er große Sorge um Deine Gesundheit. Er war sehr mager und hungrig; ich gab Befehl, ihn zu füttern – ihn


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