Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
tuts? Wo ich ihn in sechs Monaten bei mir jenseit Balkh haben muß? Ich komme, dank diesem Hühnchen von Babu, hier an mit zehn lahmen Kracken und drei starkrückigen Männern, um einen Kranken Jungen mit Gewalt aus dem Hause einer alten Schwätzerin zu entführen – und nun scheint’s, ich sehe zu, wie ein junger Sahib in, Allah weiß, welchen götzendienerischen Himmel aufgewunden wird, durch Vermittelung eines alten Rothutes! Und ich zähle doch auch etwas mit als Spieler im Spiel! Aber der verrückte Alte hat den Jungen lieb; und so muß ich auch etwas vernünftig verrückt sein.«
»Für wen betest Du?« fragte der Lama, als das rauhe Pashtu in den roten Bart hineinrollte.
»Einerlei! Aber, da ich nun verstehe, daß der Junge, des Paradieses sicher, doch in Regierungs-Dienst treten kann, bin ich beruhigt. Ich muß zu meinen Pferden. Es wird dunkel. Weck ihn nicht auf. Mich gelüstet’s nicht. Dich von ihm Meister nennen zu hören.«
»Aber er ist mein Schüler. Was sonst?«
»Er sagte so.« Mahbub schluckte seinen Anfall von Hypochondrie hinunter und erhob sich lachend. »Ich bin nicht vollständig Deines Glaubens, Rothut – wenn solche Kleinigkeit Dich kümmert.«
»Das tut nichts,« sagte der Lama.
»Ich dachte es mir. Deshalb wird es Dir nicht schaden, sündenfrei, frisch gewaschen und dreiviertel untergetaucht bis auf die Sohlen wie Du bist, wenn ich Dir sage: Du bist ein guter Mann, – ein sehr guter Mann. Wir haben vier oder fünf Abende miteinander geredet, und wenn ich auch ein Roßtäuscher bin, kann ich doch, wie man zu sagen pflegt, Heiligkeit über den Beinen eines Pferdes hinweg sehen. Ja, könnte auch sehen, wie unser Freund aller Welt seine Hand zuerst in Deine legt. Behandle ihn gut und dulde, daß er als ein Lehrer in die Welt zurückkehrt, wenn Du – seine Beine gebadet hast – wenn das die richtige Medizin für das Füllen ist.«
»Warum nicht selbst dem Weg folgen und so den Knaben begleiten?«
Mahbub starrte verblüfft bei der erhabenen Unverschämtheit dieser Frage, auf die er jenseits der Grenze mit Schlägen geantwortet haben würde. Bald aber gewann der Humor der Sache wieder Macht über seine weltliche Seele.
»Sachte – sachte – ein Fuß zur Zeit, wie der lahme Wallach über die Umballa-Hindernisse (beim Rennen) setzte. Ich komme vielleicht später ins Paradies – ich habe da herum zu tun – große Geschäfte – und ich danke sie Deiner Einfalt. Du hast niemals gelogen?«
»Wozu?«
»Oh, Allah, höre ihn! ›Wozu‹ in dieser, Deiner Welt! Noch je einem Menschen wehe getan?«
»Einmal – mit einem Federkasten – bevor ich weise war.«
»So? Ich denke um so besser von Dir. Deine Lehren sind gut. Du hast einen Mann, den ich kenne, vom Pfad des Unrechts abgewendet.« Er lachte unbändig. »Er kam hierher in bester Absicht, ein Dacoity (Hauseinbruch mit Gewalttat) zu verüben. Ja, zu schneiden, rauben, töten und fortzuschleppen, was er haben wollte.«
»Eine große Torheit!«
»Oh, schwarze Schande dazu! So dachte er, nachdem er Dich gesehen, Dich – und einige andere, Männlein und Weiblein. So ließ er davon ab; und jetzt geht er, um einen großen, fetten Babu-Menschen durchzuprügeln.«
»Ich verstehe nicht –«
»Allah möge das auch verhüten! Es gibt Männer, die stark im Wissen sind, Rothut; aber Deine Stärke ist noch stärker. Bewahre sie – ich denke, Du wirst es tun. Wenn der Junge Dir nicht ein guter Diener ist, reiße ihm die Ohren ab.«
Mit einem Zuschnappen seines breiten Bokhariot-Gürtels stampfte der Pathan in die Dämmerung hinein, und der Lama kam soweit aus den Wolken herab, um dem breiten Rücken nachzuschauen.
»Diese Person ermangelt der Höflichkeit und wird getäuscht durch den Schatten des Scheines. Aber er sprach gut von meinem Chela, der jetzt in seine Belohnung eintritt. Ich will das Gebet beten! … Erwache, o Glücklicher, vor allen vom Weibe Geborenen. Erwache! Er ist gefunden!«
Kim kam hervor aus diesen tiefen Fluten: der Lama bewachte sein behagliches Gähnen und schnappte mit den Fingern, um böse Geister abzuwehren.
»Ich habe hundert Jahre geschlafen. Wo –? Heiliger, bist Du schon lange hier? Ich ging fort um Dich zu suchen, aber« – er lachte schläfrig – »ich schlief auf dem Wege ein. Ich bin jetzt ganz wohl. Hast Du gegessen? Laß uns ins Haus gehen. Seit vielen Tagen habe ich nicht für Dich gesorgt. Und die Sahiba hat Dich wohl gepflegt? Wer rieb Deine Beine? Wie ist’s mit der Mattigkeit, dem Magen und dem Nacken und dem Hämmern in den Ohren?«
»Vorüber – alles fort. Weißt Du nicht –?«
»Ich weiß nichts: nur, daß ich Dich eine Ewigkeit nicht gesehen habe. Was soll ich wissen?«
»Wunderbar, daß die Erkenntnis nicht Dich erreichte, da doch alle meine Gedanken zu Dir gingen.«
»Dein Gesicht kann ich nicht sehen. Deine Stimme aber tönt wie ein Gong. Hat die Sahiba Dich durch ihre Kost wieder jung gemacht?«
Er spähte scharf nach der mit gekreuzten Beinen ruhenden Gestalt, die sich dunkel gegen die zitronenfarbene Lichtströmung abhob. So sitzt der Budhisat von Stein da, der niederblickt auf die Drehkreuze des Lahore-Museums.
Der Lama schwieg. Die sanfte, rauchgeschwängerte Stille des indischen Abends hüllte sie ein, unterbrochen nur von dem Klick des Rosenkranzes und dem schwachen Klack-Klack von Mahbubs verhallenden Schritten.
»Höre mich! Ich bringe neue Botschaft.«
»Aber laß uns –«
Die lange, gelbe Hand schoß vorwärts, Schweigen gebietend. Gehorsam zog Kim die Füße unter den Rand seines Gewandes.
»Höre mich! Ich bringe neue Kunde! Die Suche ist beendet. Jetzt kommt die Vergeltung … Also … Da wir zwischen den Bergen waren, lebte ich von Deiner Kraft, bis der junge Zweig sich beugte und nahezu brach. Als wir aus den Bergen hervor kamen, war ich unruhig um Dich und um anderes, das ich in meinem Herzen barg. Dem Schiff meiner Seele mangelte Lenkung. Die Ursache der Dinge konnte ich nicht schauen. So übergab ich Dich der tugendhaften Frau ganz und gar. Ich nahm keine Speise. Ich trank kein Wasser. Doch sah ich nicht den Weg. Sie wollten mir Nahrung aufdrängen und riefen vor meiner verschlossenen Tür. Da begab ich mich weg, nach einer Höhle unter einem Baum. Ich nahm nicht Speise. Ich nahm nicht Wasser. Ich saß in Meditationen zwei Tage und zwei Nächte, meinen Geist läuternd, einatmend und ausatmend in der vorgeschriebenen Weise … In der zweiten Nacht – so groß war mein Lohn – löste die weise Seele sich von dem törichten Leib und erging sich frei. Dies habe ich nie zuvor erreicht, obwohl ich oft auf der Schwelle davor stand. Beachte wohl, denn es ist ein Wunder!«
»Ein Wunder in Wahrheit! Zwei Tage und zwei Nächte ohne Essen! Wo war die Sahiba?« sagte Kim leise zu sich selbst.
»Ja, meine Seele erging sich frei, und wie ein Adler kreisend, sah sie in Wahrheit, da war kein Teshoo Lama, noch eine andere Seele. Wie ein Tropfen sich zum Wasser hinzieht, so zog meine Seele sich hin zu der Großen Seele, die über allen Dingen ist. In dem Augenblick, geläutert durch Betrachtung, sah ich all Kind, von Ceylon in der See bis zu den Bergen, meinen eigenen bunten Bergen zu Such-zen. Ich sah jedes Dorf, jedes Feld bis ins Kleinste, wo wir jemals gerastet. Ich sah sie zu gleicher Zeit, an derselben Stelle, denn sie waren im Innern der Seele. Da wußte ich, daß ich frei war. Ich sah Dich in Deinem Bette liegen, ich sah Dich den Berg hinabfallen unter dem Götzendiener – zu gleicher Zeit, an derselben Stelle, in meiner Seele, welche, wie ich sage, die Große Seele berührt halte. Auch sah ich den einfältigen Körper des Teshoo Lama unten liegen und der Hakim von Dacca kniete daneben und schrie ihm ins Ohr. Dann war meine Seele ganz allein und ich sah nichts, denn ich war selbst in allem, da ich die große Seele erreicht hatte. Und ich meditierte tausend, tausend Jahre, ohne Leidenschaft, wohl bewußt der Ursache aller Dinge. Dann rief eine Stimme: »Was soll aus dem Knaben werden, wenn Du tot bist?« Und ich ward in mir selbst hin und her geworfen in Mitleid für Dich: und ich sprach: »Ich will zurückkehren zu meinem Chela, aus Furcht, daß er den Weg verfehle.« Darauf riß diese meine Seele, welche