Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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meditiere: es ist nötiger als Du weißt.«

      Stunde auf Stunde, bis zum Morgendämmern, bis das Mondlicht auf den hohen Bergspitzen erbleichte, und das, was wie ein schwarzer Gürtel an den fernen Bergen erschienen, sich als ein Wald von zartem Grün erwies, starrte der Lama fest auf die Wand. Zuweilen stöhnte er. Außerhalb der verriegelten Tür, wo sich ausgetriebene Rinder vor ihrem früheren Stall sammelten, gaben sich die Leute von Shamlegh und die Kulis dem Raub in Saus und Braus hin. Der Ao-chung-Mann war ihr Anführer und nachdem sie die Konserven-Büchsen der Sahibs versucht und gut gefunden hatten, war kein Halten mehr. Die Kleider der Fremden endeten auf dem Kehrichthaufen von Shamlegh. –

      Als Kim nach einer Nacht voll böser Träume in den Morgennebel hinaus trat, um seine Zähne zu bürsten, nahm eine Frau von heller Gesichtsfarbe, mit türkisenbesetztem Kopfschmuck, ihn beiseite und sprach:

      »Die andern sind fort. Sie ließen Dir dies Zelt, wie sie versprochen. Ich habe nicht gern mit Sahibs zu tun, aber Du wirst uns zum Dank einen Zauber machen. Wir wollen nicht, daß Klein-Shamlegh einen schlechten Namen bekommt wegen des – Zufalls. Ich bin das Weib von Shamlegh.« Sie blickte ihn mit kühnen, glänzenden Augen an, nicht mit dem verstohlenen Blick einer Gebirglerin.

      »Ganz sicher. Aber es muß im Geheimen geschehen.« Sie hob das schwere Zelt wie ein Spielzeug auf und warf es in ihre eigene Hütte.

      »Hinaus und verriegele die Tür. Laß keinen nahe kommen, bis es getan ist.«

      »Aber dann – werden wir miteinander reden?«

      Kim kippte das Zelt auf dem Boden um; ein Wasserfall von Vermessungs-Instrumenten, Büchern, Tagebüchern, Briefen, Karten und sonderbar riechenden einheimischen Briefschaften schoß hervor. Zuletzt kam ein gestrickter Beutel, der ein versiegeltes, vergoldetes und bemaltes Dokument barg, wie ein König es dem ansendet. Kim hielt vor Freude den Atem an und betrachtete die Situation vom Standpunkt eines Sahibs.

      »Die Bücher brauche ich nicht. Es sind Logarithmen, vermutlich Meßdienst betreffend.« Er legte sie zur Seite. »Die Briefe verstehe ich nicht, aber Oberst Creighton wird sie verstehen. Sie müssen alle aufbewahrt werden. Die Karten – sie zeichnen bessere Karten als ich – natürlich. Alle die einheimischen Briefe – oho! und besonders der Murasla.« Er schnüffelte an dem gestickten Beutel. »Der muß von Hilás oder Benár sein, und Hurree Babu hat wahr gesprochen. Donnerwetter! Das ist ein seiner Fund. Wollte, daß Hurree es wüßte … das übrige muß zum Fenster hinaus.« Er hielt einen prächtigen prismatischen Kompaß und die glänzende Spitze eines Theodolits in der Hand. Aber, immerhin, ein Sahib darf doch nicht stehlen, und die Sachen könnten später ein unangenehmer Beweis werden. Er suchte jedes Papierschnitzel, jede Karte und den Königsbrief zusammen und machte davon ein glattes Paket. Die drei Bücher mit Metallbeschlägen und fünf abgenutzte Taschenbücher legte er beiseite.

      »Die Briefe und den Murasla muß ich unter meinem Rock und Gürtel tragen; die geschriebenen Bücher müssen in den Futterbeutel. Es wird sehr schwer werden. Hier ist nichts weiter; wenn noch etwas da war, so haben die Kulis es in das Khud (Chutu: Landschaft in Ost-Asien) geworfen. So wäre alles in Ordnung. Nun gehe Du hinterher.« Er packte alles, was er los sein wollte, wie ein Zelt zusammen und hob es auf die Fensterschwelle. Tausend Fuß tiefer lag eine lange, träge, rundschulterige Bank von Nebel, noch nicht von der Morgensonne berührt. Unter dieser ein Wald von hundertjährigen Föhren. Er konnte die grünen Baumspitzen, wenn ein Wirbelwind den Nebel teilte, wie ein Bett von Moos heraufschimmern sehen.

      »Nein! Ich glaube nicht, daß jemand da hinterher steigt.« Der herumgewirbelte Korb spie seinen Inhalt aus. Der Theodolit schlug gegen eine vorstehende Klippe und zersplitterte wie Glas. Die Bücher, Tintenfässer, Tuschkasten, Kompasse und Lineale glichen einen Augenblick einem Bienenschwarm. Dann war alles verschwunden und ob auch Kim, halb aus dem Fenster gebogen, seine jungen Ohren anstrengte, kein Laut drang aus dem Abgrund herauf.

      »Nicht für fünfhundert, nicht für tausend Rupien könnte man sie wieder kaufen,« dachte er betrübt. »Es ist sehr verschwenderisch, aber ich habe doch alles andere – alles, was sie gearbeitet haben – hoffe ich. Nun, wie zum Kuckuck, kann ich Hurree Babu benachrichtigen, und was zum Kuckuck soll ich tun? Und mein alter Mann ist krank. Die Briefe muß ich in Öltuch wickeln, sonst werden sie feucht. Das muß zuerst geschehen; und ich bin ganz allein!« Er machte ein neues Paket, preßte das steife Öltuch an den Ecken fest zusammen: sein Vagabundenleben hatte ihn so methodisch gemacht, wie einen alten Jäger – und packte mit besonderer Sorgfalt die Bücher in den Futtersack.

      Die Frau rüttelte an der Tür.

      »Du hast keinen Zauber gemacht?« fragte sie, umherblickend.

      »Es ist nicht nötig.« Kim hatte die Notwendigkeit einer kleinen Plauderei vollständig vergessen. Die Frau lachte unehrerbietig über seine Verlegenheit.

      »Nicht nötig – für Dich. Du kannst mit einem Wink Deines Auges einen Zauber machen. Aber denke an uns armes Volk, wenn Du fort bist. Sie waren in letzter Nacht alle zu betrunken, um auf eine Frau zu hören. Du bist nicht betrunken?«

      »Ich bin ein Priester.« Kim hatte sich wieder gesammelt und die Frau, die nichts weniger als unschön war, verfolgte ihr Ziel weiter.

      »Ich sagte es ihnen, die Sahibs würden wütend sein, würden dem Rajah Bericht geben und sie in Untersuchung bringen. Und der Babu ist auch bei ihnen, und Schreiber haben lange Zungen.«

      »Ist das alles, was Dich beunruhigt?« Der Plan war schon fertig in Kims Kopf und er lächelte vergnügt.

      »Nicht alles,« sagte die Frau, ihm die harte, braune Hand, die mit silbergefaßten Türkisen überladen war, entgegen streckend.

      »Ich kann das in einem Augenblick ändern,« fuhr er rasch fort. »Der Babu ist derselbe Hakim (Du hast von ihm gehört?), der durch die Hügel bei Ziglaur wanderte. Ich kenne ihn.«

      »Für Geld wird er alles verraten. Sahibs können nicht einen Gebirgler vom anderen unterscheiden, aber Babus haben Augen für Männer – und Weiber.«

      »Bringe ihm ein Wort von mir.«

      »Für Dich würde ich alles tun.«

      Er nahm das Kompliment ruhig an, wie Männer es in einem Lande tun, wo Frauen den Hof machen, riß ein Blatt aus seinem Notizbuch und schrieb mit Bleistift in plumpem Shikast – der Schrift, die unartige, kleine Jungen brauchen, wenn sie Unsinn an die Wände schmieren: »Habe alles, was sie geschrieben, ihre Karten des Landes und viele Briefe. Besonders den Murasla. Sage mir, was ich tun soll. Ich bin zu Shamlegh unter dem Schnee. Der alle Mann ist krank.«

      »Bringe ihm dies. Es wird ihm den Mund verschließen. Er Kann noch nicht weit fort sein.«

      »Wahrlich, nein. Sie sind noch in dem Wald am Gebirgsvorsprung. Unsere Kinder haben sie dort bewacht, bis es hell wurde, und haben ihre Meldungen heraufgerufen, wenn sie weitergingen.« Kim war erstaunt. Von der Grenze der Weide her kam ein schriller, habichtähnlicher Triller. Ein Kind, das die Schafe hütete, hatte ihn von einem Bruder oder einer Schwester an der anderen Seite des Abhangs, der das Tal von Chini übersah, aufgenommen.

      »Meine Gatten sind auch dort, um Holz zu sammeln.«

      Sie zog eine Hand voll Wallnüsse aus ihrem Gewand, brach eine auf und begann zu essen. Kim heuchelte volle Unwissenheit.

      »Kennst du nicht die Bedeutung der Wallnuß, Priester?« fragte sie schmeichelnd und reichte ihm die geteilten Schalen.

      »Ein guter Gedanke!« Er schob das Stückchen Papier rasch zwischen beide. »Hast Du etwas Wachs, um sie über diesem Brief zusammen zu kleben?«

      Die Frau seufzte laut und Kim lenkte ein.

      »Es gibt erst einen Lohn, wenn der Dienst vollführt ist. Trage dies dem Babu hin und sage, der Sohn des Zaubers sende es.«

      »Ai! wirklich, wirklich! Ein Zauberer, der aussieht wie ein Sahib.«

      »Nein, Sohn des Zaubers! Und frage, ob Du eine Antwort bringen sollst.«

      »Wenn er aber zudringlich wird? Ich – ich bin ängstlich.« Kim lachte.


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