Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
– Die Heftigkeit, womit ich diese Worte ausstieß, schien meinen Begleiter zu beunruhigen. “Ei”, sprach er, “wie sollten wir denn Euern Namen nicht wissen? Der Mann, der Euch herbrachte, nannte ihn ja ausdrücklich, und Ihr seid eingetragen in die Register des Hauses: Medardus, Bruder des Kapuzinerklosters zu B.” – Eiskalt bebte es mir durch die Glieder. Aber mochte der Unbekannte, der mich in das Krankenhaus gebracht hatte, sein, wer er wollte, mochte er eingeweiht sein in mein entsetzliches Geheimnis: er konnte nicht Böses wollen, denn er hatte ja freundlich für mich gesorgt, und ich war ja frei.
Ich lag im offnen Fenster und atmete in vollen Zügen die herrliche, warme Luft ein, die, durch Mark und Adern strömend, neues Leben in mir entzündete, als ich eine kleine, dürre Figur, ein spitzes Hütchen auf dem Kopfe und in einen ärmlichen, erblichenen Überrock gekleidet, den Hauptgang nach dem Hause herauf mehr hüpfen und trippeln als gehen sah. Als er mich erblickte, schwenkte er den Hut in der Luft und warf mir Kußhändchen zu. Das Männlein hatte etwas Bekanntes, doch konnte ich die Gesichtszüge nicht deutlich erkennen, und er verschwand unter den Bäumen, ehe ich mit mir einig worden, wer es wohl sein möge. Doch nicht lange dauerte es, so klopfte es an meine Türe, ich öffnete, und dieselbe Figur, die ich im Garten gesehen, trat herein. “Schönfeld”, rief ich voll Verwunderung, “Schönfeld, wie kommen Sie her, um des Himmels willen?” – Es war jener närrische Friseur aus der Handelsstadt, der mich damals rettete aus großer Gefahr. “Ach – ach, ach!” seufzte er, indem sich sein Gesicht auf komische Weise weinerlich verzog, “wie soll ich denn herkommen, ehrwürdiger Herr, wie soll ich denn herkommen anders als geworfen – geschleudert, von dem bösen Verhängnis, das alle Genies verfolgt! Eines Mordes wegen mußte ich fliehen …” “Eines Mordes wegen?” unterbrach ich ihn heftig. – “Ja, eines Mordes wegen”, fuhr er fort, “ich hatte im Zorn den linken Backenbart des jüngsten Kommerzienrates in der Stadt getötet und dem rechten gefährliche Wunden beigebracht.” – “Ich bitte Sie”, unterbrach ich ihn aufs neue, “lassen Sie die Possen, sein Sie einmal vernünftig und erzählen Sie im Zusammenhange oder verlassen Sie mich.” – “Ei, lieber Bruder Medardus”, fing er plötzlich sehr ernst an; “du willst mich fortschicken, nun du genesen, und mußtest mich doch in deiner Nähe leiden, als du krank dalagst und ich dein Stubenkamerad war und in jenem Bette schlief.” – “Was heißt das”, rief ich bestürzt aus, “wie kommen Sie auf den Namen Medardus?” – “Schauen Sie”, sprach er lächelnd, “den rechten Zipfel Ihrer Kutte gefälligst an.” Ich tat es und erstarrte vor Schreck und Erstaunen, denn ich fand, daß der Name Medardus hineingenäht war, so wie mich, bei genauerer Untersuchung, untrügliche Kennzeichen wahrnehmen ließen, daß ich ganz un-bezweifelt dieselbe Kutte trug, die ich auf der Flucht aus dem Schlosse des Barons von F. in einen hohlen Baum verborgen hatte. Schönfeld bemerkte meine innere Bewegung, er lächelte ganz seltsam; den Zeigefinger an die Nase gelegt, sich auf den Fußspitzen erhebend, schaute er mir ins Auge; ich blieb sprachlos, da fing er leise und bedächtig an: “Ew. Ehrwürden wundem sich merklich über das schöne Kleid, das Ihnen angelegt worden, es scheint Ihnen überall wunderbar anzustehen und zu passen, besser als jenes nußbraune Kleid mit schnöden besponnenen Knöpfen, das mein ernsthafter, vernünftiger Dämon Ihnen anlegte … Ich … ich … der verkannte, verbannte Pietro Belcampo war es, der Eure Blöße deckte mit diesem Kleide. Bruder Medardus! Ihr wart nicht im sonderlichsten Zustande, denn als Überrock – Spenzer – englischen Frack trugt Ihr simplerweise Eure eigne Haut, und an schickliche Frisur war nicht zu denken, da Ihr, eingreifend in meine Kunst, Euern Karakalla mit dem zehnzahnichten Kamm, der Euch an die Fauste gewachsen, selbst besorgtet.” – “Laßt die Narrheiten”, fuhr ich auf, “laßt die Narrheiten, Schönfeld” … “Pietro Belcampo heiße ich”, unterbrach er mich in vollem Zorne, “ja Pietro Belcampo, hier in Italien, und du magst es nur wissen, Medardus, ich selbst, ich selbst bin die Narrheit, die ist überall hinter dir her, um deiner Vernunft beizustehen, und du magst es nun einsehen oder nicht, in der Narrheit findest du nur dein Heil, denn deine Vernunft ist ein höchst miserables Ding und kann sich nicht aufrecht erhalten, sie taumelt hin und her wie ein gebrechliches Kind und muß mit der Narrheit in Kompanie treten, die hilft ihr auf und weiß den richtigen Weg zu finden nach der Heimat – das ist das Tollhaus, da sind wir beide richtig angelangt, mein Brüderchen Medardus.” – Ich schauderte zusammen, ich dachte an die Gestalten, die ich gesehen, an den springenden Mann im erdgelben Mantel, und konnte nicht zweifeln, daß Schönfeld in seinem Wahnsinn mir die Wahrheit sagte. “Ja, mein Brüderchen Medardus”, fuhr Schönfeld mit erhobener Stimme und heftig gestikulierend fort, “ja, mein liebes Brüderchen, die Narrheit erscheint auf Erden wie die wahre Geisterkönigin. Die Vernunft ist nur ein träger Statthalter, der sich nie darum kümmert, was außer den Grenzen des Reichs vorgeht, der nur aus Langerweile auf dem Paradeplatz die Soldaten exerzieren läßt, die können nachher keinen ordentlichen Schuß tun, wenn der Feind eindringt von außen. Aber die Narrheit, die wahre Königin des Volks, zieht ein mit Pauken und Trompeten: hussa hussa! – hinter ihr her Jubel – Jubel –
Die Vasallen erheben sich von den Plätzen, wo sie die Vernunft einsperrte, und wollen nicht mehr stehen, sitzen und liegen, wie der pedantische Hofmeister es will; der sieht die Nummern durch und spricht: >Seht, die Narrheit hat mir meine besten Eleven entrückt – fortgerückt – verrückt – ja sie sind verrückt worden.< Das ist ein Wortspiel, Brüderlein Medardus – ein Wortspiel ist ein glühendes Lockeneisen in der Hand der Narrheit, womit sie Gedanken krümmt.” – “Noch einmal”, fiel ich dem albernen Schönfeld in die Rede, “noch einmal bitte ich Euch, das unsinnige Geschwätz zu lassen, wenn Ihr es vermöget, und mir zu sagen, wie Ihr hergekommen seid und was Ihr von mir und von dem Kleide wißt, das ich trage.” – Ich hatte ihn mit diesen Worten bei den Händen gefaßt und in einen Stuhl gedrückt. Er schien sich zu besinnen, indem er die Augen niederschlug und tief Atem schöpfte. “Ich habe Ihnen”, fing er dann mit leiser, matter Stimme an, “ich habe Ihnen das Leben zum zweitenmal gerettet, ich war es ja, der Ihrer Flucht aus der Handelsstadt behilflich war, ich war es wiederum, der Sie herbrachte.” – “Aber um Gott, um der Heiligen willen, wo fanden Sie mich?” – So rief ich laut aus, indem ich ihn losließ, doch in dem Augenblick sprang er auf und schrie mit funkelnden Augen: “Ei, Bruder Medardus, hätt’ ich dich nicht, klein und schwach, wie ich bin, auf meinen Schultern fortgeschleppt, du lägst mit zerschmetterten Gliedern auf dem Rade.” – Ich erbebte – wie vernichtet sank ich in den Stuhl, die Türe öffnete sich, und hastig trat der mich pflegende Geistliche herein. “Wie kommt Ihr hieher? wer hat Euch erlaubt, dies Zimmer zu betreten?” So fuhr er auf Belcampo los, dem stürzten aber die Tränen aus den Augen, und er sprach mit flehender Stimme: “Ach, mein ehrwürdiger Herr! nicht länger konnte ich dem Drange widerstehen, meinen Freund zu sprechen, den ich dringender Todesgefahr entrissen!” Ich ermannte mich. “Sagt mir, mein lieber Bruder”, sprach ich zu dem Geistlichen, “hat mich dieser Mann wirklich hergebracht?” – Er stockte. – “Ich weiß jetzt, wo ich mich befinde”, fuhr ich fort, “ich kann vermuten, daß ich im schrecklichsten Zustande war, den es gibt, aber Ihr merkt, daß ich vollkommen genesen, und so darf ich wohl nun alles erfahren, was man mir bis jetzt absichtlich verschweigen mochte, weil man mich für reizbar hielt.” “So ist es in der Tat”, antwortete der Geistliche, “dieser Mann brachte Euch, es mögen ungefähr drei bis viertehalb Monate her sein, in unsere Anstalt. Er hatte Euch, wie er erzählte, für tot in dem Walde, der vier Meilen von hier das … sehe von unserm Gebiet scheidet, gefunden und Euch für den ihm früher bekannten Kapuzinermönch Medardus aus dem Kloster zu B. erkannt, der auf einer Reise nach Rom durch den Ort kam, wo er sonst wohnte. Ihr befandet Euch in einem vollkommen apathischen Zustande. Ihr gingt, wenn man Euch führte, Ihr bliebt stehen, wenn man Euch losließ, Ihr setztet, Ihr legtet Euch nieder, wenn man Euch die Richtung gab. Speise und Trank mußte man Euch einflößen. Nur dumpfe, unverständliche Laute vermochtet Ihr auszustoßen, Euer Blick schien ohne alle Sehkraft. Belcampo verließ Euch nicht, sondern war Euer treuer Wärter. Nach vier Wochen fielt Ihr in die schrecklichste Raserei, man war genötiget, Euch in eins der dazu bestimmten abgelegenen Gemächer zu bringen. Ihr wäret dem wilden Tier gleich – doch nicht näher mag ich Euch einen Zustand schildern, dessen Erinnerung Euch vielleicht zu schmerzlich sein würde. Nach vier Wochen kehrte plötzlich jener apathische Zustand wieder, der in eine vollkommene Starrsucht überging, aus der Ihr genesen erwachtet.” – Schönfeld hatte sich während dieser Erzählung des Geistlichen