Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
umschlinge ich sie mit meinen Armen. – Alle Ohnmacht ist von mir gewichen, aber da legt es sich glühend an meine Brust -rauhe Borsten zerkratzen meine Augen, und der Satan lacht gellend auf: “Nun bist du ganz mein!” – Mit dem Schrei des Entsetzens erwache ich, und bald fließt mein Blut in Strömen von den Hieben der Stachelpeitsche, mit der ich mich in trostloser Verzweiflung züchtige. Denn selbst die Frevel des Traums, jeder sündliche Gedanke fordert doppelte Buße. –Endlich war die Zeit, die der Prior zur strengsten Buße bestimmt hatte, verstrichen, und ich stieg empor aus dem Totengewölbe, um in dem Kloster selbst, aber in abgesonderter Zelle, entfernt von den Brüdern, die nun mir auferlegten Bußübungen vorzunehmen. Dann, immer in geringern Graden der Buße, wurde mir der Eintritt in die Kirche und in den Chor der Brüder erlaubt. Doch mir selbst genügte nicht diese letzte Art der Buße, die nur in täglicher gewöhnlicher Geißelung bestehen sollte. Ich wies standhaft jede bessere Kost zurück, die man mir reichen wollte, ganze Tage lag ich ausgestreckt auf dem kalten Marmorboden vor dem Bilde der heiligen Rosalia und marterte mich in einsamer Zelle selbst auf die grausamste Weise, denn durch äußere Qualen gedachte ich, die innere gräßliche Marter zu übertäuben. Es war vergebens, immer kehrten jene Gestalten, von dem Gedanken erzeugt, wieder, und dem Satan selbst war ich preisgegeben, daß er mich höhnend foltere und verlocke zur Sünde. Meine strenge Buße, die unerhörte Weise, wie ich sie vollzog, erregte die Aufmerksamkeit der Mönche. Sie betrachteten mich mit ehrfurchtsvoller Scheu, und ich hörte es sogar unter ihnen flüstern: “Das ist ein Heiliger!” Dies Wort war mir entsetzlich, denn nur zu lebhaft erinnerte es mich an jenen gräßlichen Augenblick in der Kapuzinerkirche zu B., als ich dem mich anstarrenden Maler in vermessenem Wahnsinn entgegenrief: “Ich bin der heilige Antonius!” – Die letzte von dem Prior bestimmte Zeit der Buße war endlich auch verflossen, ohne daß ich davon abließ, mich zu martern, unerachtet meine Natur der Qual zu erliegen schien. Meine Augen waren erloschen, mein wunder Körper ein blutendes Gerippe, und es kam dahin, daß, wenn ich stundenlang am Boden gelegen, ich ohne Hilfe anderer nicht aufzustehen vermochte. Der Prior ließ mich in sein Sprachzimmer bringen. “Fühlst du, mein Bruder!” fing er an, “durch die strenge Buße dein Inneres erleichtert? Ist Trost des Himmels dir worden?” – “Nein, ehrwürdiger Herr”, erwiderte ich in dumpfer Verzweiflung. “Indem ich dir”, fuhr der Prior mit erhöhter Stimme fort, “indem ich dir, mein Bruder! da du mir eine Reihe entsetzlicher Taten gebeichtet hattest, die strengste Buße auflegte, genügte ich den Gesetzen der Kirche, welche wollen, daß der Übeltäter, den der Arm der Gerechtigkeit nicht erreichte und der reuig dem Diener des Herrn seine Verbrechen bekannte, auch durch äußere Handlungen die Wahrheit seiner Reue kundtue. Er soll den Geist ganz dem Himmlischen zuwenden und doch das Fleisch peinigen, damit die irdische Marter jede teuflische Lust der Untaten aufwäge. Doch glaube ich, und mir stimmen berühmte Kirchenlehrer bei, daß die entsetzlichsten Qualen, die sich der Büßende zufügt, dem Gewicht seiner Sünden auch nicht ein Quentlein entnehmen, sobald er darauf seine Zuversicht stützt und der Gnade des Ewigen deshalb sich würdig dünkt. Keiner menschlichen Vernunft erforschlich ist es, wie der Ewige unsere Taten mißt, verloren ist der, der, ist er auch von wirklichem Frevel rein, vermessen glaubt, den Himmel zu erstürmen durch äußeres Frommtun, und der Büßende, welcher nach der Bußübung seinen Frevel vertilgt glaubt, beweiset, daß seine innere Reue nicht wahrhaft ist. Du, lieber Bruder Medardus, empfindest noch keine Tröstung, das beweiset die Wahrhaftigkeit deiner Reue, unterlasse jetzt, ich will es, alle Geißelungen, nimm bessere Speise zu dir und fliehe nicht mehr den Umgang der Brüder. – Wisse, daß dein geheimnisvolles Leben mir in allen seinen wunderbarsten Verschlingungen besser bekannt worden als dir selbst. – Ein Verhängnis, dem du nicht entrinnen konntest, gab dem Satan Macht über dich, und indem du freveltest, warst du nur sein Werkzeug. Wähne aber nicht, daß du deshalb weniger sündig vor den Augen des Herrn erschienest, denn dir war die Kraft gegeben, im rüstigen Kampf den Satan zu bezwingen. In wessen Menschen Herz stürmt nicht der Böse und widerstrebt dem Guten; aber ohne diesen Kampf gäb’ es keine Tugend, denn diese ist nur der Sieg des guten Prinzips über das böse, so wie aus dem umgekehrten die Sünde entspringt. – Wisse fürs erste, daß du dich eines Verbrechens anklagst, welches du nur im Willen vollbrachtest. – Aurelie lebt, in wildem Wahnsinn verletztest du dich selbst, das Blut deiner eigenen Wunde war es, was über deine Hand floß … Aurelie lebt … ich weiß es.”
Ich stürzte auf die Knie, ich hob meine Hände betend empor, tiefe Seufzer entflohen der Brust, Tränen quollen aus den Augen! – “Wisse ferner”, fuhr der Prior fort, “daß jener alte, fremde Maler, von dem du in der Beichte gesprochen, schon so lange, als ich denken kann, zuweilen unser Kloster besucht hat und vielleicht bald wieder eintreffen wird. Er hat ein Buch mir in Verwahrung gegeben, welches verschiedene Zeichnungen, vorzüglich aber eine Geschichte enthält, der er jedesmal, wenn er bei uns einsprach, einige Zeilen zusetzte. – Er hat mir nicht verboten, das Buch jemanden in die Hände zu geben, und um so mehr will ich es dir anvertrauen, als dies meine heiligste Pflicht ist. Den Zusammenhang deiner eignen seltsamen Schicksale, die dich bald in eine höhere Welt wunderbarer Visionen, bald in das gemeinste Leben versetzten, wirst du erfahren. Man sagt, das Wunderbare sei von der Erde verschwunden, ich glaube nicht daran. Die Wunder sind geblieben, denn wenn wir selbst das Wunderbarste, von dem wir täglich umgeben, deshalb nicht mehr so nennen wollen, weil wir einer Reihe von Erscheinungen die Regel der zyklischen Wiederkehr abgelauert haben, so fährt doch oft durch jenen Kreis ein Phänomen, das all unsre Klugheit zuschanden macht und an das wir, weil wir es nicht zu erfassen vermögen, in stumpfsinniger Verstocktheit nicht glauben. Hartnäckig leugnen wir dem innern Auge deshalb die Erscheinung ab, weil sie zu durchsichtig war, um sich auf der rauhen Fläche des äußern Auges abzuspiegeln. – Jenen seltsamen Maler rechne ich zu den außerordentlichen Erscheinungen, die jeder erlauerten Regel spotten; ich bin zweifelhaft, ob seine körperliche Erscheinung das ist, was wir wahr nennen. Soviel ist gewiß, daß niemand die gewöhnlichen Funktionen des Lebens bei ihm bemerkt hat. Auch sah ich ihn niemals schreiben oder zeichnen, unerachtet im Buch, worin er nur zu lesen schien, jedesmal, wenn er bei uns gewesen, mehr Blätter als vorher beschrieben waren. Seltsam ist es auch, daß mir alles im Buche nur verworrenes Gekritzel, undeutliche Skizze eines phantastischen Malers zu sein schien und nur dann erst erkennbar und lesbar wurde, als du, mein lieber Bruder Medardus! mir gebeichtet hattest. – Nicht näher darf ich mich darüber auslassen, was ich rücksichts des Malers ahne und glaube. Du selbst wirst es erraten, oder vielmehr das Geheimnis wird sich dir von selbst auftun. Gehe, erkräftige dich, und fühlst du dich, wie ich glaube, daß es in wenigen Tagen geschehen wird, im Geiste aufgerichtet, so erhältst du von mir des fremden Malers wunderbares Buch.”
Ich tat nach dem Willen des Priors, ich aß mit den Brüdern, ich unterließ die Kasteiungen und beschränkte mich auf inbrünstiges Gebet an den Altären der Heiligen. Blutete auch meine Herzenswunde fort, wurde auch nicht milder der Schmerz, der aus dem Innern heraus mich durchbohrte, so verließen mich doch die entsetzlichen Traumbilder, und oft, wenn ich zum Tode matt auf dem harten Lager schlaflos lag, umwehte es mich wie mit Engelsfittichen, und ich sah die holde Gestalt der lebenden Aurelie, die, himmlisches Mitleiden im Auge voll Tränen, sich über mich hinbeugte. Sie streckte die Hand, wie mich beschirmend, aus über mein Haupt, da senkten sich meine Augenlider, und ein sanfter, erquickender Schlummer goß neue Lebenskraft in meine Adern. Als der Prior bemerkte, daß mein Geist wieder einige Spannung gewonnen, gab er mir des Malers Buch und ermahnte mich, es aufmerksam in seiner Zelle zu lesen. – Ich schlug es auf, und das erste, was mir ins Auge fiel, waren die in Umrissen angedeuteten und dann in Licht und Schatten ausgeführten Zeichnungen der Fresko-Gemälde in der heiligen Linde. Nicht das mindeste Erstaunen, nicht die mindeste Begierde, schnell das Rätsel zu lösen, regte sich in mir auf. Nein! – es gab kein Rätsel für mich, längst wußte ich ja alles, was in diesem Malerbuch aufbewahrt worden. Das, was der Maler auf den letzten Seiten des Buchs in kleiner, kaum lesbarer, bunt gefärbter Schrift zusammengetragen hatte, waren meine Träume, meine Ahnungen, nur deutlich, bestimmt in scharfen Zügen dargestellt, wie ich es niemals zu tun vermochte.
Eingeschaltete Anmerkung des Herausgebers
Bruder Medardus fährt hier, ohne sich weiter auf das, was er im Malerbuche fand, einzulassen, in seiner Erzählung fort, wie er Abschied nahm von dem in seine Geheimnisse eingeweihten Prior und von den freundlichen Brüdern und wie er nach Rom pilgerte und überall, in Sankt Peter, in St. Sebastian und Laurenz, in St. Giovanni