Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
ringsumher, die sich wunderbarlich zusammenfügten, um das Martyrium der Heiligen darzustellen. Francesko war in sein Bild ganz und gar versunken, oder vielmehr das Bild war selbst der mächtige Geist worden, der ihn mit starken Armen umfaßte und emporhielt über das frevelige Weltleben, das er bisher getrieben. Nicht zu vollenden vermochte er aber das Gesicht der Heiligen, und das wurde ihm zu einer höllischen Qual, die wie mit spitzen Stacheln in sein inneres Gemüt bohrte. Er gedachte nicht mehr des Venusbildes, wohl aber war es ihm, als sähe er den alten Meister Leonardo, der ihn anblickte mit kläglicher Gebärde und ganz ängstlich und schmerzlich sprach: “Ach, ich wollte dir wohl helfen, aber ich darf es nicht, du mußt erst entsagen allem sündhaften Streben und in tiefer Reue und Demut die Fürbitte der Heiligen erflehen, gegen die du gefrevelt hast.” – Die Jünglinge, welche Francesko so lange geflohen, suchten ihn auf in seiner Werkstatt und fanden ihn, wie einen ohnmächtigen Kranken, ausgestreckt auf seinem Lager liegen. Da aber Francesko ihnen seine Not klagte, wie er, als habe ein böser Geist seine Kraft gebrochen, nicht das Bild der heiligen Rosalia fertigzumachen vermöge, da lachten sie alle auf und sprachen: “Ei mein Bruder, wie bist du denn mit einemmal so krank worden? – Laßt uns dem Äskulap und der freundlichen Hygeia ein Weinopfer bringen, damit jener Schwache dort genese!” Es wurde Syrakuser Wein gebracht, womit die Jünglinge die Trinkschalen füllten und, vor dem unvollendeten Bilde den heidnischen Göttern Libationen darbringend, ausgossen. Aber als sie dann wacker zu zechen begannen und dem Francesko Wein darboten, da wollte dieser nicht trinken und nicht teilnehmen an dem Gelage der wilden Brüder, unerachtet sie Frau Venus hochleben ließen! Da sprach einer unter ihnen: “Der törichte Maler da ist wohl wirklich in seinen Gedanken und Gliedmaßen krank, und ich muß nur einen Doktor herbeiholen.” Er warf seinen Mantel um, steckte seinen Stoßdegen an und schritt zur Türe hinaus. Es hatte aber nur wenige Augenblicke gedauert, als er wieder hereintrat und sagte: “Ei seht doch nur, ich bin ja selbst schon der Arzt, der jenen Siechling dort heilen will.” Der Jüngling, der gewiß einem alten Arzt in Gang und Stellung recht ähnlich zu sein begehrte, trippelte mit gekrümmten Knien einher und hatte sein jugendliches Gesicht seltsamlich in Runzeln und Falten verzogen, so daß er anzusehen war wie ein alter, recht häßlicher Mann und die Jünglinge sehr lachten und riefen: “Ei seht doch, was der Doktor für gelehrte Gesichter zu schneiden vermag!” Der Doktor näherte sich dem kranken Francesko und sprach mit rauher Stimme und verhöhnendem Ton: “Ei, du armer Geselle, ich muß dich wohl aufrichten aus trübseliger Ohnmacht! – Ei, du erbärmlicher Geselle, wie siehst du doch so blaß und krank aus, der Frau Venus wirst du so nicht gefallen! – Kann sein, daß Donna Rosalia sich deiner annehmen wird, wenn du gesundet! – Du ohnmächtiger Geselle, nippe von meiner Wunderarzenei. Da du Heilige malen willst, wird dich mein Trank wohl zu erkräftigen vermögen, es ist Wein aus dem Keller des heiligen Antonius.” Der angebliche Doktor hatte eine Flasche unter dem Mantel hervorgezogen, die er jetzt öffnete. Es stieg ein seltsamlicher Duft aus der Flasche, der die Jünglinge betäubte, so daß sie, wie von Schläfrigkeit übernommen, in die Sessel sanken und die Augen schlössen. Aber Francesko riß in wilder Wut, verhöhnt zu sein als ein ohnmächtiger Schwächling, die Flasche dem Doktor aus den Händen und trank in vollen Zügen. “Wohl bekomm dir’s”, rief der Jüngling, der nun wieder sein jugendliches Gesicht und seinen kräftigen Gang angenommen hatte. Dann rief er die ändern Jünglinge aus dem Schlafe auf, worin sie versunken, und sie taumelten mit ihm die Treppe hinab. – So wie der Berg Vesuv in wildem Brausen verzehrende Flammen aussprüht, so tobte es jetzt in Feuerströmen heraus aus Franceskos Innern. Alle heidnische Geschichten, die er jemals gemalt, sah er vor Augen, als ob sie lebendig worden, und er rief mit gewaltiger Stimme: “Auch du mußt kommen, meine geliebte Göttin, du mußt leben und mein sein, oder ich weihe mich den unterirdischen Göttern!” Da erblickte er Frau Venus, dicht vor dem Bilde stehend und ihm freundlich zuwinkend. Er sprang auf von seinem Lager und begann an dem Kopfe der heiligen Rosalia zu malen, weil er nun der Frau Venus reizendes Angesicht ganz getreulich abzukonterfeien gedachte. Es war ihm so, als könne der feste Wille nicht gebieten der Hand, denn immer glitt der Pinsel ab von den Nebeln, in denen der Kopf der heiligen Rosalia eingehüllt war, und strich unwillkürlich an den Häuptern der barbarischen Männer, von denen sie umgeben. Und doch kam das himmlische Antlitz der Heiligen immer sichtbarlicher zum Vorschein und blickte den Francesko plötzlich mit solchen lebendig strahlenden Augen an, daß er, wie von einem herabfahrenden Blitze tödlich getroffen, zu Boden stürzte. Als er wieder nur etwas weniges seiner Sinnen mächtig worden, richtete er sich mühsam in die Höhe, er wagte jedoch nicht, nach dem Bilde, das ihm so schrecklich worden, hinzublicken, sondern schlich mit gesenktem Haupte nach dem Tische, auf dem des Doktors Weinflasche stand, aus der er einen tüchtigen Zug tat. Da war Francesko wieder ganz erkräftigt, er schaute nach seinem Bilde, es stand, bis auf den letzten Pinselstrich vollendet, vor ihm, und nicht das Antlitz der heiligen Rosalia, sondern das geliebte Venusbild lachte ihn mit üppigem Liebesblicke an. In demselben Augenblick wurde Francesko von wilden, freveligen Trieben entzündet. Er heulte vor wahnsinniger Begier, er gedachte des heidnischen Bildhauers Pygmalion, dessen Geschichte er gemalt, und flehte so wie er zur Frau Venus, daß sie seinem Bilde Leben einhauchen möge. Bald war es ihm auch, als finge das Bild an, sich zu regen, doch als er es in seine Arme fassen wollte, sah er wohl, daß es tote Leinewand geblieben. Dann zerraufte er sein Haar und gebärdete sich wie einer, der von dem Satan besessen. Schon zwei Tage und zwei Nächte hatte es Francesko so getrieben; am dritten Tag, als er wie eine erstarrte Bildsäule vor dem Bilde stand, ging die Türe seines Gemachs auf, und es rauschte hinter ihm wie mit weiblichen Gewändern. Er drehte sich um und erblickte ein Weib, das er für das Original seines Bildes erkannte. Es wären ihm schier die Sinne vergangen, als er das Bild, welches er aus seinen innersten Gedanken nach einem Marmorbilde erschaffen, nun lebendig vor sich in aller nur erdenklichen Schönheit erblickte, und es wandelte ihn beinahe ein Grausen an, wenn er das Gemälde ansah, das nun wie eine getreuliche Abspiegelung des fremden Weibes erschien. Es geschah ihm dasjenige, was die wunderbarliche Erscheinung eines Geistes zu bewirken pflegt, die Zunge war ihm gebunden, und er fiel lautlos vor der Fremden auf die Kniee und hob die Hände wie anbetend zu ihr empor. Das fremde Weib richtete ihn aber lächelnd auf und sagte ihm, daß sie ihn schon damals, als er in der Malerschule des alten Leonardo da Vinci gewesen, als ein kleines Mädchen oftmals gesehen und eine unsägliche Liebe zu ihm gefaßt habe. Eltern und Verwandte habe sie nun verlassen und sei allein nach Rom gewandert, um ihn wiederzufinden, da eine in ihrem Innern ertönende Stimme ihr gesagt habe, daß er sie sehr liebe und sie aus lauter Sehnsucht und Begierde abkonterfeit habe, was denn, wie sie jetzt sehe, auch wirklich wahr sei. Francesko merkte nun, daß ein geheimnisvolles Seelenverständnis mit dem fremden Weibe obgewaltet und daß dieses Verständnis das wunderbare Bild und seine wahnsinnige Liebe zu demselben geschaffen hatte. Er umarmte das Weib voll inbrünstiger Liebe und wollte sie sogleich nach der Kirche führen, damit ein Priester sie durch das heilige Sakrament der Ehe auf ewig binde. Dafür schien sich das Weib aber zu entsetzen, und sie sprach: “Ei, mein geliebter Francesko, bist du denn nicht ein wackrer Künstler, der sich nicht fesseln läßt von den Banden der christlichen Kirche? Bist du nicht mit Leib und Seele dem freudigen, frischen Altertum und seinen dem Leben freundlichen Göttern zugewandt? Was geht unser Bündnis die traurigen Priester an, die in düstern Hallen ihr Leben in hoffnungsloser Klage verjammern? Laß uns heiter und hell das Fest unserer Liebe feiern.” Francesko wurde von diesen Reden des Weibes verführt, und so geschah es, daß er mit den von sündigem, freveligem Leichtsinn befangenen Jünglingen, die sich seine Freunde nannten, noch an demselben Abende sein Hochzeitsfest mit dem fremden Weibe nach heidnischen Gebräuchen beging. Es fand sich, daß das Weib eine Kiste mit Kleinodien und barem Gelde mitgebracht hatte, und Francesko lebte mit ihr, in sündlichen Genüssen schwelgend und seiner Kunst entsagend, lange Zeit hindurch. Das Weib fühlte sich schwanger und blühte nun erst immer herrlicher und herrlicher in leuchtender Schönheit auf, sie schien ganz und gar das erweckte Venusbild, und Francesko vermochte kaum, die üppige Lust seines Lebens zu ertragen. Ein dumpfes, angstvolles Stöhnen weckte in einer Nacht den Francesko aus dem Schlafe; als er erschrocken aufsprang und mit der Leuchte in der Hand nach seinem Weibe sah, hatte sie ihm ein Knäblein geboren. Schnell mußten die Diener eilen, um Wehmutter und Arzt herbeizurufen. Francesko nahm das Kind von dem Schöße der Mutter, aber in demselben Augenblick stieß das Weib einen entsetzlichen, durchdringenden Schrei aus und krümmte sich, wie von gewaltigen Fäusten gepackt, zusammen. Die Wehmutter kam mit ihrer Dienerin, ihr folgte der Arzt; als sie nun aber dem Weibe Hülfe leisten wollten,