Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
die Frau, “mein Unglück ist gewiß, soeben saß die kleine Euphemie auf meinem Schöße und juchzte und lachte, aber mit einemmal läßt sie das Köpfchen sinken und ist tot. – Blaue Flecken hat sie auf der Stirn, und so wird man mir Schuld geben, daß ich sie habe fallen lassen!” – Schnell trat Franz hinein, und als er das tote Kind erblickte, gewahrte er, wie das Verhängnis das Leben seines Kindes wollte, denn es war mit der toten Euphemie auf wunderbare Weise gleich gebildet und gestaltet. Die Wärterin, vielleicht nicht so unschuldig an dem Tode des Kindes, als sie vorgab, und bestochen durch Franzens reichliches Geschenk, ließ sich den Tausch gefallen; Franz wickelte nun das tote Kind in die Tücher und warf es in den Strom. Aureliens Kind wurde als die Tochter der Baronesse von S., Euphemie mit Namen, erzogen, und der Welt blieb das Geheimnis ihrer Geburt verborgen. Die Unselige wurde nicht durch das Sakrament der heiligen Taufe in den Schoß der Kirche aufgenommen, denn getauft war schon das Kind, dessen Tod ihr Leben erhielt. Aurelie hat sich nach mehreren Jahren mit dem Baron von F. vermählt; zwei Kinder, Hermogen und Aurelie, sind die Frucht dieser Vermählung.
Die ewige Macht des Himmels hatte es mir vergönnt, daß, als der Prinz mit Francesko (so nannte er den Franz auf italienische Weise) nach der Residenzstadt des fürstlichen Bruders zu gehen gedachte, ich zu ihnen treten und mitziehen durfte. Mit kräftigem Arm wollte ich den schwankenden Francesko erfassen, wenn er sich dem Abgrunde nahte, der sich vor ihm aufgetan. Törichtes Beginnen des ohnmächtigen Sünders, der noch nicht Gnade gefunden vor dem Throne des Herrn! – Francesko ermordete den Bruder, nachdem er an Giazinta verruchten Frevel geübt! Franceskos Sohn ist der unselige Knabe, den der Fürst unter dem Namen des Grafen Viktorin erziehen läßt. Der Mörder Francesko gedachte sich zu vermählen mit der frommen Schwester der Fürstin, aber ich vermochte dem Frevel vorzubeugen in dem Augenblick, als er begangen werden sollte an heiliger Stätte.
Wohl bedurfte es des tiefen Elends, in das Franz versank – nachdem er, gefoltert von dem Gedanken nie abzubüßender Sünde, entflohen – um ihn zur Reue zu wenden. Von Gram und Krankheit gebeugt, kam er auf der Flucht zu einem Landmann, der ihn freundlich aufnahm. Des Landmanns Tochter, eine fromme, stille Jungfrau, faßte wunderbare Liebe zu dem Fremden und pflegte ihn sorglich. So geschah es, daß, als Francesko genesen, er der Jungfrau Liebe erwiderte, und sie wurden durch das heilige Sakrament der Ehe vereinigt. Es gelang ihm, durch seine Klugheit und Wissenschaft sich aufzuschwingen und des Vaters nicht geringen Nachlaß reichlich zu vermehren, so daß er viel irdischen Wohlstand genoß. Aber unsicher und eitel ist das Glück des mit Gott nicht versöhnten Sünders. Franz sank zurück in die bitterste Armut, und tötend war sein Elend, denn er fühlte, wie Geist und Körper hinschwanden in kränkelnder Siechheit. Sein Leben wurde eine fortwährende Bußübung. Endlich sandte ihm der Himmel einen Strahl des Trostes. – Er soll pilgern nach der heiligen Linde, und dort wird ihm die Geburt eines Sohnes die Gnade des Herrn verkünden.
In dem Walde, der das Kloster zur heiligen Linde umschließt, trat ich zu der bedrängten Mutter, als sie über dem neugebornen, vaterlosen Knäblein weinte, und erquickte sie mit Worten des Trostes.
Wunderbar geht die Gnade des Herrn auf dem Kinde, das geboren wird in dem segensreichen Heiligtum der Gebenedeiten! Oftmals begibt es sich, daß das Jesuskindlein sichtbarlich zu ihm tritt und früh in dem kindischen Gemüt den Funken der Liebe entzündet.
Die Mutter hat in heiliger Taufe dem Knaben des Vaters Namen, Franz, geben lassen! – Wirst du es denn sein, Franziskus, der, an heiliger Stätte geboren, durch frommen Wandel den verbrecherischen Ahnherrn entsündigt und ihm Ruhe schafft im Grabe? Fern von der Welt und ihren verführerischen Lockungen soll der Knabe sich ganz dem Himmlischen zuwenden. Er soll geistlich werden. So hat es der heilige Mann, der wunderbaren Trost in meine Seele goß, der Mutter verkündet, und es mag wohl die Prophezeiung der Gnade sein, die mich mit wundervoller Klarheit erleuchtet, so daß ich in meinem Innern das lebendige Bild der Zukunft zu erschauen vermeine. Ich sehe den Jüngling den Todeskampf streiten mit der finstern Macht, die auf ihn eindringt mit furchtbarer Waffe! – Er fällt, doch ein göttlich Weib erhebt über sein Haupt die Siegeskrone! – Es ist die heilige Rosalia selbst, die ihn errettet! – Sooft es mir die ewige Macht des Himmels vergönnt, will ich dem Knaben, dem Jünglinge, dem Manne nahe sein und ihn schützen, wie es die mir verliehene Kraft vermag. – Er wird sein wie –
Anmerkung des Herausgebers.
Hier wird, günstiger Leser! die halb erloschene Schrift des alten Malers so undeutlich, daß weiter etwas zu entziffern ganz unmöglich ist. Wir kehren zu dem Manuskript des merkwürdigen Kapuziners Medardus zurück.
Dritter Abschnitt
Die Rückkehr in das Kloster
Es war so weit gekommen, daß überall, wo ich mich in den Straßen von Rom blicken ließ, einzelne aus dem Volk stillstanden und in gebeugter, demütiger Stellung um meinen Segen baten. Mocht’ es sein, daß meine strenge Bußübungen, die ich fortsetzte, schon Aufsehen erregten, aber gewiß war es, daß meine fremdartige, wunderliche Erscheinung den lebhaften, phantastischen Römern bald zu einer Legende werden mußte und daß sie mich vielleicht, ohne daß ich es ahnte, zu dem Helden irgendeines frommen Märchens erhoben hatten. Oft weckten mich bange Seufzer und das Gemurmel leiser Gebete aus tiefer Betrachtung, in die ich, auf den Stufen des Altars liegend, versunken, und ich bemerkte dann, wie rings um mich her Andächtige knieten und meine Fürbitte zu erflehen schienen. So wie in jenem Kapuzinerkloster hörte ich hinter mir rufen: il Santo! – und schmerzhafte Dolchstiche fuhren durch meine Brust. Ich wollte Rom verlassen, doch wie erschrak ich, als der Prior des Klosters, in dem ich mich aufhielt, mir ankündigte, daß der Papst mich hätte zu sich gebieten lassen. Düstre Ahnungen stiegen in mir auf, daß vielleicht aufs neue die böse Macht in feindlichen Verkettungen mich festzubannen trachte, indessen faßte ich Mut und ging zur bestimmten Stunde nach dem Vatikan. Der Papst, ein wohlgebildeter Mann, noch in den Jahren der vollen Kraft, empfing mich, auf einem reich verzierten Lehnstuhl sitzend. Zwei wunderschöne, geistlich gekleidete Knaben bedienten ihn mit Eiswasser und durchfächelten das Zimmer mit Reiherbüschen, um, da der Tag überheiß war, die Kühle zu erhalten. Demütig trat ich auf ihn zu und machte die gewöhnliche Kniebeugung. Er sah mich scharf an, der Blick hatte aber etwas Gutmütiges, und statt des strengen Ernstes, der sonst, wie ich aus der Ferne wahrzunehmen geglaubt, auf seinem Gesicht ruhte, ging ein sanftes Lächeln durch alle Züge. Er frug, woher ich käme, was mich nach Rom gebracht – kurz, das Gewöhnlichste über meine persönliche Verhältnisse und stand dann auf, indem er sprach: “Ich ließ Euch rufen, weil man mir von Eurer seltenen Frömmigkeit erzählt. – Warum, Mönch Medardus, treibst du deine Andachtsübungen öffentlich vor dem Volk in den besuchtesten Kirchen? – Gedenkst du zu erscheinen als ein Heiliger des Herrn und angebetet zu werden von dem fanatischen Pöbel, so greife in deine Brust und forsche wohl, wie der innerste Gedanke beschaffen, der dich so zu handeln treibt. – Bist du nicht rein vor dem Herrn und vor mir, seinem Statthalter, so nimmst du bald ein schmähliches Ende, Mönch Medardus!” – Diese Worte sprach der Papst mit starker, durchdringender Stimme, und wie treffende Blitze funkelte es aus seinen Augen. Nach langer Zeit zum erstenmal fühlte ich mich nicht der Sünde schuldig, der ich angeklagt wurde, und so mußte es wohl kommen, daß ich nicht allein meine Fassung behielt, sondern auch von dem Gedanken, daß meine Buße aus wahrer innerer Zerknirschung hervorgegangen, erhoben wurde und wie ein Begeisterter zu sprechen vermochte: “Ihr hochheiliger Statthalter des Herrn, wohl ist Euch die Kraft verliehen, in mein Inneres zu schauen; wohl mögt Ihr es wissen, daß zentnerschwer mich die unsägliche Last meiner Sünden zu Boden drückt, aber ebenso werdet Ihr die Wahrheit meiner Reue erkennen. Fern von mir ist der Gedanke schnöder Heuchelei, fern von mir jede ehrgeizige Absicht, das Volk zu täuschen auf verruchte Weise. – Vergönnt es dem büßenden Mönche, o hochheiliger Herr! daß er in kurzen Worten sein verbrecherisches Leben, aber auch das, was er in der tiefsten Reue und Zerknirschung begonnen, Euch enthülle!” – So fing ich an und erzählte nun, ohne Namen zu nennen und so gedrängt als möglich, meinen ganzen Lebenslauf. Aufmerksamer und aufmerksamer wurde der Papst. Er setzte sich in den Lehnstuhl und stützte den Kopf in die Hand; er sah zur Erde nieder, dann fuhr er plötzlich