Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
jetzige Statthalter des Herrn ist ein Kleinod der Tugend gegen Alexander den Sechsten, und da magst du dich vielleicht doch verrechnet haben! – Doch – spiele deine Rolle – ausgespielt ist bald, was munter und lustig begann. – Lebt wohl, mein sehr ehrwürdiger Herr!”
Mit gellendem Hohngelächter sprang der Abbate von dannen, erstarrt blieb ich stehen. Hielt ich seine letzte Äußerung mit meinen eignen Bemerkungen über den Papst zusammen, so mußte es mir wohl klar aufgehen, daß er keinesweges der nach dem Kampf mit dem Tier gekrönte Sieger war, für den ich ihn gehalten, und ebenso mußte ich auf entsetzliche Weise mich überzeugen, daß wenigstens dem eingeweihten Teil des Publikums meine Buße als ein heuchlerisches Bestreben erschienen war, mich auf diese oder jene Weise aufzuschwingen. Verwundet bis tief in das Innerste, kehrte ich in mein Kloster zurück und betete inbrünstig in der einsamen Kirche. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und ich erkannte bald die Versuchung der finstern Macht, die mich aufs neue zu verstricken getrachtet hatte, aber auch zugleich meine sündige Schwachheit und die Strafe des Himmels. – Nur schnelle Flucht konnte mich retten, und ich beschloß, mit dem frühesten Morgen mich auf den Weg zu machen. Schon war beinahe die Nacht eingebrochen, als die Hausglocke des Klosters stark angezogen wurde.
Bald darauf trat der Bruder Pförtner in meine Zelle und berichtete, daß ein seltsam gekleideter Mann durchaus begehre, mich zu sprechen. Ich ging nach dem Sprachzimmer, es war Belcampo, der nach seiner tollen Weise auf mich zusprang, bei beiden Armen mich packte und mich schnell in einen Winkel zog. “Medardus”, fing er leise und eilig an, “Medardus, du magst es nun anstellen, wie du willst, um dich zu verderben, die Narrheit ist hinter dir her auf den Flügeln des Westwindes – Südwindes oder auch Süd-Südwest – oder sonst und packt dich, ragt auch nur noch ein Zipfel deiner Kutte hervor aus dem Abgrunde, und zieht dich herauf – O Medardus, erkenne das – erkenne, was Freundschaft ist, erkenne, was Liebe vermag, glaube an David und Jonathan, liebster Kapuziner!” – “Ich habe Sie als Goliath bewundert”, fiel ich dem Schwätzer in die Rede, “aber sagen Sie mir schnell, worauf es ankommt – was Sie zu mir hertreibt?” – “Was mich hertreibt?” sprach Belcampo, “was mich hertreibt? – Wahnsinnige Liebe zu einem Kapuziner, dem ich einst den Kopf zurechtsetzte, der umherwarf mit blutiggoldenen Dukaten – der Umgang hatte mit scheußlichen Revenants – der, nachdem er was weniges gemordet hatte – die Schönste der Welt heiraten wollte, bürgerlicher – oder vielmehr adligerweise.” – “Halt ein”, rief ich, “halt ein, du grauenhafter Narr! Gebüßt habe ich schwer, was du mir vorwirfst im freveligen Mutwillen.” – “O Herr”, fuhr Belcampo fort, “noch ist die Stelle so empfindlich, wo Euch die feindliche Macht tiefe Wunden schlug? – Ei, so ist Eure Heilung noch nicht vollbracht. – Nun, ich will sanft und ruhig sein wie ein frommes Kind, ich will mich bezähmen, ich will nicht mehr springen, weder körperlich noch geistig, und Euch, geliebter Kapuziner, bloß sagen, daß ich Euch hauptsächlich Eurer sublimen Tollheit halber so zärtlich liebe, und da es überhaupt nützlich ist, daß jedes tolle Prinzip so lange lebe und gedeihe auf Erden als nur immer möglich, so rette ich dich aus jeder Todesgefahr, in die du mutwilligerweise dich begibst. In meinem Puppenkasten habe ich ein Gespräch belauscht, das dich betrifft. Der Papst will dich zum Prior des hiesigen Kapuzinerklosters und zu seinem Beichtiger erheben. Fliehe schnell, schnell fort von Rom, denn Dolche lauern auf dich. Ich kenne den Bravo, der dich ins Himmelreich spedieren soll. Du bist dem Dominikaner, der jetzt des Papstes Beichtiger ist, und seinem Anhange im Wege. – Morgen darfst du nicht mehr hier sein.” – Diese neue Begebenheit konnte ich gar gut mit den Äußerungen des unbekannten Abbates zusammenräumen; so betroffen war ich, daß ich kaum bemerkte, wie der possierliche Belcampo mich ein Mal über das andere an das Herz drückte und endlich mit seinen gewöhnlichen seltsamen Grimassen und Sprüngen Abschied nahm.
Mitternacht mochte vorüber sein, als ich die äußere Pforte des Klosters öffnen und einen Wagen dumpf über das Pflaster des Hofes hereinrollen hörte. Bald darauf kam es den Gang herauf; man klopfte an meine Zelle, ich öffnete und erblickte den Pater Guardian, dem ein tief vermummter Mann mit einer Fackel folgte. “Bruder Medardus”, sprach der Guardian, “ein Sterbender verlangt in der Todesnot Euern geistlichen Zuspruch und die letzte Ölung. Tut, was Eures Amtes ist, und folgt diesem Mann, der Euch dort hinführen wird, wo man Eurer bedarf.” – Mich überlief ein kalter Schauer, die Ahnung, daß man mich zum Tode führen wolle, regte sich in mir auf; doch durfte ich mich nicht weigern und folgte daher dem Vermummten, der den Schlag des Wagens öffnete und mich nötigte einzusteigen. Im Wagen fand ich zwei Männer, die mich in ihre Mitte nahmen. Ich frug, wo man mich hinführen wolle, – wer gerade von mir Zuspruch und letzte Ölung verlange. – Keine Antwort! In tiefem Schweigen ging es fort durch mehrere Straßen. Ich glaubte, an dem Klange wahrzunehmen, daß wir schon außerhalb Rom waren, doch bald vernahm ich deutlich, daß wir durch ein Tor und dann wieder durch gepflasterte Straßen fuhren. Endlich hielt der Wagen, und schnell wurden mir die Hände gebunden, und eine dicke Kappe fiel über mein Gesicht. “Euch soll nichts Böses widerfahren”, sprach eine rauhe Stimme, “nur schweigen müßt Ihr über alles, was Ihr sehen und hören werdet, sonst ist Euer augenblicklicher Tod gewiß.” – Man hob mich aus dem Wagen, Schlösser klirrten, und ein Tor dröhnte auf in schweren, ungefügigen Angeln. Man führte mich durch lange Gänge und endlich Treppen hinab – tiefer und tiefer. Der Schall der Tritte überzeugte mich, daß wir uns in Gewölben befanden, deren Bestimmung der durchdringende Totengeruch verriet. Endlich stand man still – die Hände wurden mir losgebunden, die Kappe mir vom Kopfe gezogen. Ich befand mich in einem geräumigen, von einer Ampel schwach beleuchteten Gewölbe, ein schwarz vermummter Mann, wahrscheinlich derselbe, der mich hergeführt hatte, stand neben mir, ringsumher saßen auf niedrigen Bänken Dominikanermönche. Der grauenhafte Traum, den ich einst in dem Kerker träumte, kam mir in den Sinn, ich hielt meinen qualvollen Tod für gewiß, doch blieb ich gefaßt und betete inbrünstig im stillen, nicht nur Rettung, sondern um ein seliges Ende. Nach einigen Minuten düstern, ahnungsvollen Schweigens trat einer der Mönche auf mich zu und sprach mit dumpfer Stimme: “Wir haben einen Eurer Ordensbrüder gerichtet, Medardus! das Urteil soll vollstreckt werden. Von Euch, einem heiligen Manne, erwartet er Absolution und Zuspruch im Tode! – Geht und tut, was Eures Amts ist.” Der Vermummte, welcher neben mir stand, faßte mich unter den Arm und führte mich weiter fort durch einen engen Gang in ein kleines Gewölbe. Hier lag, in einem Winkel, auf dem Strohlager ein bleiches, abgezehrtes, mit Lumpen behängtes Geripp. Der Vermummte setzte die Lampe, die er mitgebracht, auf dem steinernen Tisch in die Mitte des Gewölbes und entfernte sich. Ich nahte mich dem Gefangenen, er drehte sich mühsam nach mir um; ich erstarrte, als ich die ehrwürdigen Züge des frommen Cyrillus erkannte. Ein himmlisches, verklärtes Lächeln überflog sein Gesicht. “So haben mich”, fing er mit matter Stimme an, “die entsetzlichen Diener der Hölle, welche hier hausen, doch nicht getäuscht. Durch sie erfuhr ich, daß du, mein lieber Bruder Medardus, dich in Rom befändest, und als ich mich so sehnte nach dir, weil ich großes Unrecht an dir verübt habe, da versprachen sie mir, sie wollten dich zu mir führen in der Todesstunde. Die ist nun wohl gekommen, und sie haben Wort gehalten.” Ich kniete nieder bei dem frommen, ehrwürdigen Greis, ich beschwor ihn, mir nur vor allen Dingen zu sagen, wie es möglich gewesen sei, ihn einzukerkern, ihn zum Tode zu verdammen. “Mein lieber Bruder Medardus”, sprach Cyrill, “erst nachdem ich reuig bekannt, wie sündlich ich aus Irrtum an dir gehandelt, erst wenn du mich mit Gott versöhnt, darf ich von meinem Elende, von meinem irdischen Untergange zu dir reden! – Du weißt, daß ich und mit mir unser Kloster dich für den verruchtesten Sünder gehalten; die ungeheuersten Frevel hattest du (so glaubten wir) auf dein Haupt geladen, und ausgestoßen hatten wir dich aus aller Gemeinschaft. Und doch war es nur ein verhängnisvoller Augenblick, in dem der Teufel dir die Schlinge über den Hals warf und dich fortriß von der heiligen Stätte in das sündliche Weltleben. Dich um deinen Namen, um dein Kleid, um deine Gestalt betrügend, beging ein teuflischer Heuchler jene Untaten, die dir beinahe den schmachvollen Tod des Mörders zugezogen hätten. Die ewige Macht hat es auf wunderbare Weise offenbart, daß du zwar leichtsinnig sündigtest, indem dein Trachten darauf ausging, dein Gelübde zu brechen, daß du aber rein bist von jenen entsetzlichen Freveln. Kehre zurück in unser Kloster, Leonardus, die Brüder werden dich, den verloren Geglaubten, mit Liebe und Freudigkeit aufnehmen. – O Medardus…” – Der Greis, von Schwäche übermannt, sank in eine tiefe Ohnmacht. Ich widerstand der Spannung, die seine Worte, welche eine