Heimische Exoten. Mareike Milde
Fischer hier Zander, Aale und Barsche. Im Herbst 2018 wurde dann ein Fund von Hunderten der ockerfarben-braun gestreiften Stachelwelse gemeldet.
Doch wie konnten sich die asiatischen Neubürger innerhalb von nur einem halben Jahr verhundertfachen? Das ist selbst bei einer sehr brutfreudigen Spezies doch gewaltig. »Streng genommen haben wir die Drachenwelse schon seit 2014 immer wieder mal hier gefangen«, sagt Michael Höllein. »Wir haben sie jedoch für einen amerikanischen Katzenwels gehalten, der in deutschen Gewässern schon lange vertreten ist.« Die tatsächliche Klassifizierung erfolgte also erst im Mai 2018. Und erklärt somit auch die heimliche Vermehrung dieser asiatischen Art, die bis dato quasi unter dem Radar der Öffentlichkeit möglich gewesen war.
Wenn sie 2014 schon die ersten Male ins Netz gegangen waren, könnte es auch sein, dass sie bereits 2013 in die Donau gelangt waren. Dort waren nämlich weite Teile der Region unterhalb von Regensburg von der Jahrhundertflut betroffen und große Areale Land unter Wasser verschwunden. Es ist möglich, dass dabei auch Zierteiche überschwemmt wurden und damit Fische aus der Zucht in die freien Gewässer überschwappten. Eine andere, wenn auch unwahrscheinlichere Möglichkeit: Überforderte Aquarianer setzten einige Tiere im Bereich um die Gmünder Au aus. Das wäre nicht nur falsch verstandene Tierliebe, sondern auch sehr verantwortungslos: Immer wieder werden wir in diesem Buch über Exoten stolpern, die von ihrer überdrüssig gewordenen Tierhaltern in die Freiheit entlassen worden sind und das penibel austarierte Ökosystem dadurch durcheinanderbringen. Es hätte allerdings eine sehr große Anzahl von Drachenwelsen ausgesetzt werden müssen, um auf den heutigen Bestand zu kommen. So oder so: Der wahre Grund wird wohl auf dem Grund der Gmünder Au bleiben.
Die Drachenwelse scheinen sich auf jeden Fall prächtig zu vermehren und haben aktuell noch keine wirklichen Fressfeinde zu verzeichnen. Im Durchschnitt dauert es sechs bis acht Jahre, bis andere Tiere sich auf den Geschmack einer neuen Art einstellen. Nun hat der Drachenwels auf den Bauch- und Rückenflossen Stacheln, sogenannte Hartstrahlen, die an der Spitze kleine Widerhaken haben, und diese können sehr effektiv im Körper eines Feindes stecken bleiben. Auch an Menschenhänden können sie schmerzhafte, entzündliche Stichwunden verursachen. »Ist das ein so cleverer Schachzug, seinen Feind an sich zu binden, damit er einen nicht frisst?«, frage ich die beiden Michaels. – Nein, aber es spreche sich in der Tierwelt schnell herum, wie schmerzhaft so etwas sein kann. Der Drachenwels ist ein sehr wehrhafter Fisch und ein zappelnder Widerhaken in der Haut ist in jedem Fall unschön. Da hat nach kurzer Zeit keiner mehr Lust, zuzubeißen.
Seine Stacheln kann der Wels übrigens ausfahren und umherbewegen. Die bis zu 35 Zentimeter großen Fische werden dadurch noch ein wenig größer und imposanter, als sie eigentlich schon sind. Am Kopf sitzen vier Paar Barteln. Diese braucht der Drachenwels im trüben Wasser, um sich »zurechtzutasten« und den Geschmack seines Futters zu testen. Mit sauerstoffarmem Wasser scheint er ebenso gut zurechtzukommen. Damit ist er eigentlich perfekt ausgerüstet für ein Leben im Altarm der Donau.
Am erstaunlichsten für mich ist, dass diese Fischart keine Schuppen, sondern glatte Haut hat. Das habe ich noch nie gesehen. Tatsächlich kommt es aber öfters vor in der Tierwelt; Pangasius und Steinbutt zum Beispiel sind ebenfalls schuppenlos.
Die Altarme der Donau gelten als Kinderstube für die meisten heimischen Donaufische. Noch. Denn die Qualität des Wassers nimmt von Jahr zu Jahr ab. Dadurch, dass die Altarme meist nur unzureichend mit frischen Wassermengen aus dem nebenan strömenden Main-Donau-Kanal versorgt werden, sinkt der Sauerstoffgehalt stetig, sodass sich auch die Pflanzenfauna verringert. Wo keine Pflanzen, da sind auch keine Kleintiere, und wo keine Kleintiere, da macht es dem Fisch keinen Spaß, zu wohnen. Zumal er immer schlechter Luft bekommt. Und das fällt auch mir auf, als wir eine Weile über das Wasser schippern: Je mehr wir in die Sackgasse des Altarms hineinfahren, umso modriger und stiller wirkt das Wasser. Um nicht zu sagen: eher tot.
Seit über einer Stunde sind wir nun schon hier draußen. Es ist mittlerweile brütend heiß, die Luft flirrt, mehrere Reusen haben wir bereits aus dem Wasser gehoben, hin und wieder kommen Fische zutage, allerdings kein Drachenwels. Wir alle schwitzen. Doch keine Mücke weit und breit. Wie kann das sein?
Im Jahr 2014 wurde in dieser Gegend über mehrere Tage BTI per Helikopter versprüht: Bacillus thuringiensis israelensis. Vermarktet als biologisches Schädlingsbekämpfungsmittel, welches für andere Arten ungiftig ist, sollte es Niederbayern von den riesigen Zuckmückenschwärmen befreien, die seit einigen Wochen durch die Gegend gezogen waren. Durch das Hochwasser im Jahr zuvor mitsamt den vielen überschwemmten Wiesen und Wäldern schlüpften Mückenlarven aus jahrealten Eiern, die halbvertrocknet an den Gräsern hingen. So waren deutlich größere Populationen als üblich mit vielleicht doppelt oder dreimal so vielen Mücken entstanden. Teilweise waren die hellen Hauswände der umliegenden Ortschaften vollgekleistert mit ihren roten Körpern. So was kommt hin und wieder vor, gerade in von Hochwasser geplagten Landschaften. Das ist ärgerlich, tatsächlich aber natürlich. Aber ist es dann auch natürlich, fünf Jahre später keiner einzigen Mücke mehr zu begegnen?
Wir verlassen den Altarm zur einzigen Öffnung hin und stoßen auf den Main-Donau-Kanal, zu dessen Gunsten die ursprünglichen Donauwindungen abgeschnitten worden waren. Dadurch entstanden viele Altarme. Hier ist es mit der trügerischen Idylle vorbei; mit monotonem Rauschen pflügt der einbetonierte und reißende Wasserstrom durch die Landschaft. Der Kontrast ist hart, es ist ein hässlicher Anblick. Welch irreparabler Übergriff an der Natur, welch Verbrechen am Ökosystem, schießt es mir durch den Kopf. Als Dieter Hildebrandt den umstrittenen Kanalbau 1982 zum Mittelpunkt einer seiner Scheibenwischer-Folgen machte (eine Kabarettsendung, die von 1980 bis 2008 im Ersten ausgestrahlt wurde), war dies ein Skandal. Er benannte neben der Vernichtung von Millionen Quadratmetern Naturschutzgebiet die irritierend große Anzahl bayerischer Regierungsmitglieder in den Chefetagen der entsprechenden Betreibergesellschaften. Die bayerische Staatsregierung indes, allen voran der bereits erwähnte Franz Josef Strauß, protestierten daraufhin wegen angeblicher Unterstellungen und eines »bayernfeindlichen Programms« bei der ARD. Genutzt hat das alles nichts, weder die Proteste gegen das satirische Bühnenprogramm Hildebrandts, noch die Proteste gegen den Bau dieses Kanals, dessen wirtschaftlicher Nutzen bis heute umstritten ist.
Genauso blieben übrigens auch die Einwände einiger Politiker und Tierschützer ungehört, wie man auf den flächendeckenden Einsatz eines Insektizides setzen könne, dessen Langzeitwirkungen bis zum damaligen Zeitpunkt unbekannt waren. Nun war zu diesem Zeitpunkt des verstärkten Mückenbefalls gerade Fußball-WM in Rio. Sicher wollten sich die Leute nicht für den Fortbestand einer Mücke einsetzen, die ihnen damals jeden entspannten Fußballabend in einem Biergarten verdorben hätte. Somit wurde der Beschluss durchgewinkt, weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, die bald in stichfreier Ruhe unserer Mannschaft beim Gewinnen zujubeln konnte.
Was auf den ersten Blick sehr angenehm für uns Menschen war, hat einige verstörende Nachwirkungen. So finden wir in den Reusen nur sehr, sehr junge Fische oder riesige Zander und Barsche, um die sieben Jahre alt. Die Generationen dazwischen, die zwei- bis vierjährigen adulten Tiere, fehlen fast vollständig. Der Schluss liegt nahe, dass durch die zerstörten Mückenlarven die jungen Fischgenerationen ab 2014 nicht ausreichend ernährt werden konnten. Eigentlich fehlen drei ganze Generationen von Donaufischen in diesem Areal. Und die alten, riesigen Fische können zwar noch laichen, allerdings nicht mehr in der Menge und Qualität, wie dies die jüngeren Fische tun würden und wie es zum Erhalt einer Artenpopulation notwendig ist. Somit sind die Geburtsjahrgänge bis heute deutlich dezimiert. Ein irrer Kreislauf, der sich mit dem Einsatz eines biologischen Pestizidmittels für einen störungsfreien Fußballgenuss auch nicht mehr rechtfertigen lässt. Oder doch?
Die Befürchtung gegenüber dem Auftauchen des Gelben Drachenwelses ist es nun, dass die ohnehin dezimierten anderen Fischbestände der Donaualtarme von den Drachenwelsen gefressen werden, bevor diese schlüpfen können. Gewöhnlich leben sie hier, bis sie stark genug sind, in die fließenden Gewässer des Donaustroms überzusiedeln. Doch mir erscheint in Anbetracht der anderen Themen diese Gefahr nicht mehr als die dringlichste. Sicherlich sollte durch das Auftauchen des Drachenwelses der dauerhafte Bestand der kleinen heimischen Fischarten nicht stärker als üblich gefährdet werden. Theoretisch entsprechen diese jungen Fische der perfekten Fressgröße des Drachenwelses – neben seiner zweiten Leibspeise,