Unterwegs mit dir. Sharon Garlough Brown

Unterwegs mit dir - Sharon Garlough Brown


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Aber das Wäschefalten machte Mara nichts aus. Das Sortieren der Socken empfand sie als besonders befriedigend. Wenn sie das Gegenstück nicht finden konnte, legte sie die einzelne Socke in ihre oberste Kommodenschublade und wartete darauf, dass deren Partner wieder auftauchte. Aber leider war es so, dass ihre oberste Schublade mittlerweile vollgestopft war mit einzelnen Socken, die früher einmal zu einem Paar gehörten und die sie einfach nicht wegwerfen konnte.

      Es sollte einen Song darüber geben. Vielleicht gab es ja einen?

      Kevin erschien im Türrahmen, als Mara gerade Toms Unterhemden einräumte. „Ich soll dir von Papa ausrichten, dass er am Donnerstagabend erst spät nach Hause kommt.“

      Seit Kevin zu seinem 15. Geburtstag ein Mobiltelefon bekommen hatte, hatte Tom sich angewöhnt, nur noch über ihn mit ihr zu kommunizieren. Oder er schrieb eine SMS. In letzter Zeit hatte Mara kaum einmal persönlich mit Tom gesprochen, wenn er auf Reisen war. Oder auch zu Hause.

      Nachdem Kevin seine Botschaft überbracht hatte, verschwand er wieder. Sie wünschte, die Jungen würden nur einmal etwas länger bleiben, um sich mit ihr zu unterhalten – und nicht nur grunzen oder die Achseln zucken, wenn sie nach der Schule oder ihren Freunden fragte. In ganzen Sätzen sprachen sie nur mit ihr, wenn sie nach dem Essen oder der Wäsche fragten oder wenn sie irgendwohin gefahren werden wollten.

      „Kevin, vergiss nicht, dass du morgen einen Termin beim Kieferorthopäden hast!“, rief Mara ihm nach. Er antwortete nicht. „Kevin!“

      „Ja, ja, ich weiß!“, rief er aus seinem Zimmer.

      „Wo ist meine Jeans?“ Jetzt stand Brian in der Tür.

      „Ich habe sie in deine Kommode geräumt.“

      „Nein, die schwarze.“

      „Die habe ich nicht gesehen.“

      „Ich habe sie letztens in den Wäschekorb gesteckt!“

      „Hm. Heute Morgen habe ich den Wäschekorb geleert und alles gewaschen, was drin war.“

      „Und wo ist dann meine Jeans?“ Wie er da im Türrahmen stand, mit gerunzelter Stirn, die Arme vor der Brust verschränkt, sah er genauso aus wie sein Vater.

      „Sieh in deinem Zimmer nach. Neben deinem Schreibtisch liegt ein Klamottenhaufen.“

      Dawn, ihre Therapeutin, hatte ihr geraten, den Jungen nicht immer nachzugeben. Sie müssen Verantwortung übernehmen, hatte Dawn gesagt. Sie müssen lernen, mit den Konsequenzen ihres Handelns zu leben.

      Brian verschwand und kam mit der zu einem Ball zusammengeknüllten Jeans zurück. Er warf sie Mara zu. „Die brauche ich morgen“, sagte er und verließ das Zimmer.

      Mara ließ langsam den Atem entweichen und steckte die Jeans in den leeren Wäschekorb. Eines Tages würde alles vielleicht anders werden. Gott, bitte. Sie wusste nicht, wie lange sie noch so weitermachen könnte.

      Der Stammplatz der Familie Goodman war die erste Reihe, direkt vor der Kanzel, wo sie von allen gesehen wurden. Die achtjährige Charissa saß zwischen ihren Eltern und tat so, als würde sie aufmerksam der Predigt lauschen. Selbst wenn ihre Oberschenkel juckten oder ihre Taftschleife in der Taille zu fest gebunden war, Charissa rührte sich nicht.

      Sie saß auf ihrem Platz wie eine Statue – reglos und stoisch wie die Statuen, die vor vielen Jahrhunderten von Mutters griechischen Vorfahren in Stein gemeißelt worden waren. Auch Papas Vorfahren waren reglos und stoisch gewesen, aber sie waren Briten. Vielleicht sogar adliger Herkunft. Charissa mochte die Vorstellung, sie wäre eine Prinzessin. Papa sagte immer, sie hätte ein Gesicht, das tausend Schiffe bewegt, wie die schöne Helena von Troja.

      Charissa von Kingsbury.

      Sie mochte den Klang ihres Namens, aber leider musste sie die Leute immer korrigieren, die ihn falsch aussprachen. „Es heißt ‚Ka-Rissa‘“, erklärte sie dann. Ihr Name bedeutete „Anmut, Gunst“, und auch das gefiel Charissa. Sie bemühte sich, sich so anmutig und huldvoll wie möglich zu geben.

      In den Gottesdiensten saß Charissa nach außen meistens reglos da, doch ihre Gedanken waren immer in Bewegung. Bücher in die Kirche oder an den Abendbrottisch mitzubringen, erlaubte ihre Mutter ihr nicht, darum speicherte Charissa sie in ihrem Kopf. Dort lagerte eine ganze Bibliothek, und sie konnte die Bücher lesen, wann immer sie wollte. Niemand wusste, dass sie nur so tat, als würde sie auf die Predigt hören. Und jeden Sonntag schüttelte Reverend Hildenberg Charissa die Hand und betonte, was für eine Freude es sei, dass sie so aufmerksam zuhörte. Und ihr Papa legte dann seinen Arm um Charissas Schultern, lächelte und erwiderte: „Danke, Reverend. Wir sind sehr stolz auf sie.“

      

      Die 26-jährige Charissa Sinclair lehnte sich zurück, um ihre verspannten Schultern zu lockern, und erhob sich schließlich. Nur die Doktoranden an der Kingsbury-Universität bekamen kleine Stu­dienräume in der Zentralbibliothek zur Verfügung gestellt, und ihrer war vollgestopft mit den Klassikern der englischen Literatur. Sie überflog die Bücherregale und überlegte, welchen ihrer Lieblinge sie mit nach Hause nehmen sollte. Den Abend würde sie definitiv wieder mit Milton verbringen, und sie brauchte noch Sekundärliteratur über die Kultur und Gesellschaft im elisabethanischen England. Natürlich müsste sie auch langsam mal mit ihrer Arbeit über Shakespeare anfangen, sobald ihre Analyse von Das verlorene Paradies fertig war. Das Herbstsemester hatte gerade erst begonnen, und sie fühlte sich bereits vollkommen ausgelaugt.

      Sie band ihre langen dunklen Haare zusammen und warf einen Blick auf ihre Uhr. John wollte sie auf dem Heimweg von der Arbeit abholen. Vielleicht sollte sie ihn anrufen und ihm sagen, dass sie über Nacht in der Bibliothek blieb. Dann hätte sie Zugang zu allen Büchern, die sie vielleicht brauchte.

      Aber nein – das ging ja nicht. John müsste dann früh aufstehen und sie holen, damit sie vor ihrem Seminar um 8:00 Uhr noch duschen und sich umziehen könnte. Es war wirklich ärgerlich, dass sie nur ein Auto hatten.

      Aber dass sie so mit dem Geld haushalten mussten, war nur eine vorübergehende Phase. John hatte einen guten Job in der Werbeagentur, und Charissa würde bald Dozentin für englische Literatur werden. Noch vier Jahre Studium. Ihr Vater begriff nicht, warum sie sechs Jahre ihres Lebens investierte, um an einer kleinen christ­lichen Universität zu promovieren, wo sie doch auch an einer der Eliteunis hätte studieren können. Doch an der Englisch-Fakultät von Kingsbury war Charissa gut bekannt. Nachdem sie ihren Bachelor summa cum laude abgeschlossen hatte, genoss sie die Vorteile, die es hatte, ein großer Fisch in einem kleinen Teich zu sein. Obwohl Papa es lieber gesehen hätte, wenn sie eine profitablere Karriere in einer Anwaltskanzlei oder einem großen Unternehmen angestrebt hätte, gefiel es ihm doch, allen Leuten zu erzählen, dass sein kleines Mädchen promovierte. Und Charissa hatte keine Einwände.

      Sie packte ihren Laptop und einen Stapel Bücher zusammen, bevor sie nach draußen auf den Parkplatz ging, um auf ihren Mann zu warten.

      

      Am Dienstagabend war Charissa auf dem Weg zu ihrem kleinen Arbeitsraum in der Bibliothek, als ihr ein pflaumenblauer Flyer am Schwarzen Brett ins Auge stach. „Eine Einladung zu einer geist­lichen Reise“, stand da. Da mehrere Exemplare davon vorhanden waren, nahm sie einen aus dem Plastikhalter und steckte ihn in ihren Rucksack.

      Normalerweise hätte sie diesem Flyer keinerlei Beachtung geschenkt. Sie kannte das New Hope-Einkehrzentrum nicht und wusste auch nicht, welche Kurse dort angeboten wurden. Doch Dr. Allen, dessen Seminar Literatur und die christ­liche Vorstellungskraft sie besuchte, hatte seinen Studenten nahegelegt, ihrer persön­lichen Beziehung zu Gott größere Beachtung zu schenken.

      „Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat“, sagte er am Ende des Seminars, „möchte ich euch doch noch einmal sehr ans Herz legen, ergänzend zum Lehrplan zu arbeiten, wenn ihr die Literatur, mit der wir uns in diesem Semester beschäftigen werden, wirklich verstehen wollt. Ihr solltet euch die Mühe machen, euch den Verlauf und die Windungen eurer eigenen geist­lichen Reise einmal genau anzuschauen.“

      Er


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