Vorher Schadet Er. Блейк Пирс
einzige Chance, diese Nacht zu überleben, war Amy. Sie musste sie erreichen. Laut ihrer Berechnung waren es noch etwa drei Kilometer. Aber um die Nachbarschaft zu erreichen, in der Amy wohnte, würde sie dieses dämliche, nasse Feld überqueren müssen.
Vom ständigen Ausrutschen genervt, hielt sie lange genug an, um sich die Sandalen auszuziehen. Hätte sie mehr Zeit für die Vorbereitung gehabt, würde sie nun Turnschuhe tragen. Aber es war alles so schnell gegangen …
Sie hielt die Sandalen in der rechten Hand und rannte weiter. Sie kam nun etwas einfacher vorwärts, doch ihre zarten Füße begannen sofort, sich über die harte Erde unter dem Gras zu beschweren. Doch sie ignorierte den Schmerz und rannte so schnell sie konnte weiter. Sie musste es zu Amy schaffen.
Kurz warf sie einen Blick nach hinten und sah lediglich die treppenförmige Silhouette des Waldes – Bäume verschiedener Größe, die in der Dunkelheit wie ein seltsames Diagramm wirkten. Wenn ihr jemand folgte, dann konnte sie es nicht sehen. Aber sie war nicht naiv genug, zu glauben, niemanden auf ihrer Fährte zu haben. Sicherlich suchte jemand nach ihr, um sicherzugehen, dass sie es niemandem erzählte.
Das Feld endete abrupt und sie sprang über den Graben auf eine zweispurige Straße. Als sie auf dem Asphalt landete, schlitterte sie ein wenig und der Teer grub sich in ihre Fersen. Sie sah nach rechts in Richtung der Straßenlaternen, die in der Ferne leuchteten. Amy würde dort sein. Irgendwo inmitten des Leuchtens. Dieses Wissen gab ihren schmerzenden Beinen neue Kraft – obwohl sie bereits mehrere Kilometer durch den Wald und über die Felder gerannt war, um hier anzukommen.
Sie rannte die Straße entlang und vermutete, noch mindestens einen knappen Kilometer vor sich zu haben, bevor sie das Leuchten der Straßenlaternen erreichen würde. Sie dachte an ihr Handy, das sie irgendwo im Wald verloren hatte. Wie einfach wäre es, einfach anrufen zu können. Vor Frust hätte sie am liebsten geweint.
Und als sie weiterrannte, erlaubte sie sich, zu weinen. Sie rannte und weinte und suchte tief in ihren Lungen nach dem nächsten Atemzug.
Irgendwie schaffte sie es, die Wohngegend zu erreichen. Ihre Beine waren wie Wackelpudding und sie war so außer Atem, dass sie kleine schwarze Feuerwerksexplosionen vor Augen hatte. Aber das war in Ordnung, denn sie hatte es geschafft. Sie würde zu Amy gehen. Und Amy würde wissen, was zu tun war. Sie war sich nicht sicher, ob es überhaupt Sinn machte, die Polizei zu kontaktieren, aber das würde womöglich keine Rolle spielen. Sie musste lediglich mit Amy sprechen. Und der bloße Gedanke daran verschaffte ihr Erleichterung.
Als sie sich ihrem Haus näherte, musste sie sich davon abhalten, nach Amy zu rufen. Nur noch vier oder fünf Häuser, dann wäre sie sicher. Die aufsteigenden Nebelschwaden des Regens am Nachmittag dämpften das Licht der Straßenlaternen und die ganze Nachbarschaft sah aus, als entstamme sie einem Horrorfilm. Doch Amys Haus wartete wie ein Leuchtturm auf sie.
Sie konzentrierte sich so sehr auf die Form der Häuser, dass sie den aufjaulenden Motor hinter sich nicht hörte. Als sie endlich auf den Wagen aufmerksam wurde, blickte sie nach hinten. Das Auto kam ohne Licht auf sie zugerast. Sie versuchte, sich nach rechts zu werfen, doch das brachte nicht viel.
Der Wagen erwischte sie an ihrer rechten Seite. Kurz fühlte sie sich wie betäubt, als sie einen Meter über dem Boden einen Überschlag machte. Doch der Schmerz kam mit rasender Wut zurück, als sie auf dem Asphalt landete. Ihr Kopf schlug gegen die Straße und die Welt wurde schwarz.
Deshalb konnte sie das Gesicht der Person nicht sehen, die mitten in der Straße angehalten hatte, ausgestiegen war und nun mit einem Messer in der Hand auf sie zukam.
Sie wusste, dass die Person ihr die Kehle durchtrennte, aber die Schmerzen in ihrem Kopf und ihrem Rücken waren so stark, dass sie nichts davon spürte.
Während der Mörder zurück zum Wagen ging, entwich ihr das Leben mit rasendem Tempo.
Der Wagen war bereits verschwunden, als sie auf der regenbedeckten Fahrbahn ihren letzten Atemzug nahm.
KAPITEL ZWEI
Die Wohnung roch nach Rosmarin und Zitrone. Das Abendessen kochte auf dem Herd, die erste Flasche Wein war geöffnet worden und Spotify spielte The Cure. Jeder willkürliche Besucher hätte vermutlich gedacht, dass Mackenzie White einen fantastischen Nachmittag hatte. Nicht sichtbar jedoch war ihr innerlicher Kampf und die Aufregung. Ihre Nerven waren – wie ihr Magen auch – gereizt.
Das Hühnchen war fertig und der Spargel im Ofen. Mackenzie nippte an ihrem Rotwein und versuchte, eine Beschäftigung zu finden. Ellington saß mit Kevin auf dem Wohnzimmerboden und las ihm vor. Er sah zu ihr auf und verdrehte die Augen. Als er einen passenden Zeitpunkt zur Unterbrechung erreichte – der winzige Hundewelpe in der Geschichte war erneut unter den Zaun gekrabbelt – nahm er Kevin in den Arm und betrat mit ihm zusammen die Küche.
„Es ist nur deine Mutter“, sagte er. „Du tust ja so, als bekämen wir Besuch von der Steueraufsichtsbehörde oder so.“
„Du kennst sie nicht“, meinte Mackenzie.
„Ist sie dir ähnlich?“
„Bis auf die Tatsache, dass sie uns verlassen hat, schon.“
„Dann bin ich mir sicher, dass sie in Ordnung ist. Sag mir einfach, wieviel Charme ich versprühen soll.“
„Nicht zu viel. Sie wird deine Witze nicht verstehen.“
„Dann nehme ich es zurück“, sagte Ellington. „Ich kann die Frau jetzt schon nicht ausstehen.“ Er gab Kevin einen Kuss auf die Stirn und zuckte mit den Schultern. „Sie hat allerdings ein Recht darauf, ihren Enkel kennenzulernen. Bist du denn überhaupt nicht froh, dass sie ein Teil der Familie sein will?“
„Ich will ja froh sein. Aber es fällt mir schwer, ihr zu vertrauen.“
„Das verstehe ich“, meinte Ellington. „Mir wird auch nicht gerade warm ums Herz, wenn ich an meine Mom denke.“
„Aber zumindest stand sie sofort vor der Tür, als du ein Kind bekamst, oder?“
„Das stimmt. Aber wir sollten nicht davon ausgehen, dass das gut ist. Es könnte Jahre dauern, bevor wir verstehen, welchen traumatischen Einfluss das auf Kevin hatte.“
„Ich mache keine Witze, E. Die Frau ist schädlich. Sie ist …“
Sie war sich nicht sicher, wie sie den Satz beenden sollte, also verstummte sie. Was ist sie? Egoistisch wäre ein passendes Wort. Unreif ein anderes. Die Frau hatte sich nach dem Tod ihres Mannes quasi abgeschottet und dadurch Mackenzie und ihre Schwester ohne Mutterfigur zurückgelassen.
„Sie ist deine Mutter“, erwiderte Ellington. „Und ich freue mich, sie kennenzulernen.“
„Ich werde dich später an diese Worte erinnern.“
Sie küssten sich und Ellington kehrte ins Wohnzimmer zurück, um weiter von den Fehltritten des winzigen Hundewelpen vorzulesen. Mackenzie hörte zu, während sie erneut an ihrem Wein nippte und dann begann, den Tisch zu decken. Sie schielte auf die Uhr und bemerkte, dass nur sechs Minuten verblieben, bevor ihre Mutter sich angekündigt hatte. Sie musste zugeben, dass das Abendessen köstlich roch und Kevin niedlicher aussah als je zuvor. Für ihren Geschmack wuchs er viel zu schnell. Er zog sich bereits selbst hoch und flitzte durch die Wohnung. Sie rechneten jeden Tag mit seinen ersten Schritten.
Daran ließ sich gut festmachen, wieviel Zeit seit ihrem letzten Treffen mit ihrer Mutter vergangen war. Ihr Sohn würde bald laufen und ihre Mutter hatte ihn …
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Gedankengänge. Sie sah Ellington erschrocken an, woraufhin er grinste. Dann nahm er Kevin wieder in den Arm und streckte ihr seine freie Hand entgegen. Seit etwa einer Woche trug er keinen Gips mehr und es tat gut, ihm dabei zuzusehen, beide Arme zu benutzen.
Sie nahm seine Hand und er zog sie an sich. „Du hast es mit den härtesten Kerlen aufgenommen, die unsere Gesellschaft zu bieten hat“, erinnerte er sie. „Sicherlich kannst du auch diese Situation bewältigen.“
Sie nickte und gemeinsam gingen sie zur Tür. Als sie die Tür öffneten, musste Mackenzie kurz ihre Gedanken sammeln.
Ihre Mutter sah