Mit Lola durch Berlin. Bettina Arlt

Mit Lola durch Berlin - Bettina Arlt


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wo Groaaar? Hast du Bär gesehen?

       Beerensammlerin

      Bär? Hier Berl! Oder wie heißt…? (denkt kurz nach) „Sumpf! Matsch!“

       Bärenjäger

      Augenblick! Du sagst ‚Berl’, aber ich spreche von ‚Bär’! Dem großen, wilden Tier, von dessen Fleisch sich ein Dorf einen Monat lang ernähren kann, und dessen Fell einen vor der Kälte des Winters schützt.

       Beerensammlerin

      Ah! Medved! Honigesser! Nein! Die gibt es hier nicht. Hat es nie gegeben. Nur Waschbären und Eichhorn.

      Bärenjäger (enttäuscht)

      Da haben sie mir ja einen schönen Bären aufgebunden…

      Die beiden sehen sich an und lachen.

       Bärenjäger

      Berl! Die slawischen Händler, die ich auf dem Weg hierher traf, wollten mich nur vor dem Sumpf warnen!

      Inzwischen hat es aufgehört zu regnen und die beiden haben sich auf einen umgestürzten Baumstamm gesetzt. Es ist dunkel geworden, und weder der Mann noch die Frau würden den Weg zurück in ihr jeweiliges Dorf finden.

       Bärenjäger

      Ich bin für einen längeren Ausflug ausgerüstet und kann mir ein notdürftiges Lager bauen. (zögert kurz) Wenn du willst, kannst du heute Nacht bei mir bleiben. (fügt er rasch lächelnd hinzu) Ich verspreche dir auch, mich zu benehmen!

      Die Frau sieht ihn zunächst skeptisch an, dann lächelt sie.

       Beerensammlerin

      Nachtlager auf matschigem Berl-Boden? Warum nicht?

      Und die beiden schicken sich an, ihr Nachtlager zu bereiten, in der Absicht, im Morgengrauen sofort wieder in Richtung Heimatdorf aufzubrechen. Doch es kommt anders.

      Fünf Jahre später ist von den Bäumen und Büschen, die unseren Lagernden Schutz boten, nicht mehr viel übrig. Anstelle des Waldes steht nun eine kleine Siedlung mit fünf Holzhäusern. Aus der größten der Hütten kommt unser Bärenjäger mit einer Axt, um Feuerholz zu hacken. Hinter dem Haus spielen zwei Kinder, und die slawische Beerenpflückerin hockt neben einer Ziege und melkt diese. Am Ortseingang steht ein einfaches Schild auf einem Holzpflock mit der Aufschrift „Cölln“.

      Tatsächlich wird Cölln im Jahre 1237 auf der Spreeinsel erstmals urkundlich erwähnt. Ob dieser Name ebenfalls einer slawischen Umschreibung für Sumpf entsprang (Kol, Kollne) oder ob der reiselustige Bärenfänger ursprünglich aus dem schönen Rheinland stammte und vom Namen seiner Heimatstadt inspiriert wurde, ist nicht bekannt. Und obwohl Berlin erst sieben Jahre später aktenkundig wurde und sich erst 1307 mit Cölln zu einer Union zusammenschloss, gilt dieses Jahr allgemein als sein Entstehungsjahr.

      1.

      Götterdämmerung

      „Berlin ist mehr ein Weltteil als eine Stadt.“ (Jean Paul)

      Dort, wo sich unsere Begegnung zwischen Bärenjäger und Beerensammlerin zugetragen haben mag,

beginnt rund 800 Jahre später eine andere Geschichte. Wo früher nur Sumpf und Matsch waren, stehen heute fünf große Museen. Die nördliche Spitze der Spreeinsel ist als Museumsinsel weltbekannt.

      Vor Kopf steht das Alte Museum. Seine äußere Form erinnert an die Architektur der griechischen Antike und spiegelt somit den aufklärerischen Gedanken wider, nach dem das Museum ein Ort der Bildung für das Bürgertum sein sollte. In der Eingangsrotunde des Museums befinden sich auf zwei Etagen Skulpturen von 30 Göttern und Göttinnen aus der griechischen Mythologie. Die Rotunde lehnt sich in ihrer runden Form an das Pantheon in Rom an und suggeriert auf diese Weise das Sinnbild des Museums als heiligen Ort der Kunstverehrung.

      Eine Frühlingsnacht, irgendwann Anfang des 21. Jahrhunderts. Ein Gewitter zieht über Berlin, genau wie damals vor 800 Jahren, in jener Nacht als „Bärlin“ gegründet wurde. Im Pantheon des Alten Museums stehen die Götterskulpturen und werden immer mal wieder von einem Blitz erleuchtet. Plötzlich schlägt ein Blitz in die Kuppel ein und der Lichtstrahl leitet bis zum Boden.

      Da ertönt ein lautes Stöhnen aus einer Ecke. Es klingt, als wäre ein alter Mann aus hundert Jahre langem Schlaf erwacht. Verschlafen murmelt er vor sich hin.

       Professor Raat

      Ooooh, war das ein unangenehmer Traum! Ich war im Zirkus… oder im Kabarett? Jemand zerschlug rohe Eier auf meinem Kopf und ich krähte wie ein Hahn. Dann habe ich eine Frau gewürgt und kam in eine Zwangsjacke… Aber wo bin ich hier eigentlich? Ich seh gar nichts, es ist so finster! (hört ein gehöriges Rumsen) Au weia! Das gibt eine ansehnliche Beule. Da werden mich die Schüler wieder aufziehen. Wo hab ich denn nur… meine Streichhölzer? Ach hier!

      Knisternd wird ein Streichholz angezündet, und ein kleiner Lichtschein lässt einen gnomenhaft wirkenden älteren Mann von geringer Statur, einigermaßen großem Bauchumfang, zerzaustem grauen Haar und staubiger, etwas altmodisch anmutender Kleidung erkennen. Er hält das brennende Streichholz vor sich und versucht, die Natur seiner Umgebung näher zu bestimmen. Da das Streichholz nur einen kleinen Lichtkegel gewährt, macht auch er nur kleine, vorsichtige Schritte.

       Professor Raat

      Wo bin ich bloß? Hach…!!!

      Beinahe wäre er vor einen hohen Sockel gelaufen. Vor seiner Nase erblickt er ein paar Füße aus Stein. Als er sein Streichholz in die Höhe hält und nach oben blickt, sieht er, dass es sich um die unteren Extremitäten von Zeus, dem Göttervater handelt, der hochmütig und mit erhobener Nase in die Ferne blickt.

       Professor Raat

      Wen haben wir denn da? Eine griechische Gottheit? Wo bin ich nur? Im antiken Athen…?

      Im selben Augenblick kracht erneut ein Blitz. Das Pantheon ist sekundenlang taghell erleuchtet und der Blitz wird durch die Kuppel direkt auf die Skulptur des Zeus geleitet, den sie in gleißendes Licht hüllt. Der alte Mann wirft sich aus Angst, vom Blitz getroffen zu werden, auf den Boden und hebt seine Arme schützend über den Kopf. „Aaaaaahhh!!“ erklingt eine mächtige Stimme von der Stelle, wo eben noch der Zeuskopf herrisch thronte.

       Zeus

      Endlich! Ich dachte schon, dieser gottverfluchte Blitz trifft mich nie und ich müsste bis in alle Ewigkeit hier herumstehen wie ein Steinklotz.

      Der steinerne Zeus hat all seine Steifheit von sich geworfen und schüttelt erleichtert die schweren Glieder. Der alte Mann beobachtet das geisterhafte Spiel aus halbliegender Position und traut seinen Augen nicht. Dem alten Zeus scheint ein Gedanke zu kommen.

       Zeus

      Oh! Verzeiht, meine Kinder…

      Er schüttelt die Hand und ein Blitz schießt daraus hervor und verpufft erst, nachdem er alle anderen im Raum befindlichen Skulpturen getroffen und ebenfalls zum Leben erweckt hat. Ein allgemeines Knarren und Rieseln wird hörbar. Auch aus der oberen Etage der Räumlichkeit, die sich – jetzt wo die gemeinschaftliche Auferstehung der Statuen sie mit einem fahlen Schein erfüllt – als runder, hoher Raum mit einer Kuppel entpuppt. Der ältere Herr steht langsam wieder auf und kratzt sich den Kopf.

       Professor Raat

      Hm… Das kommt


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