B'tong. Roland Platte

B'tong - Roland Platte


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Na siehste, erst schimpfst du und jetzt zeigt sich, dass du mir eigentlich danken solltest. Ich hab' dich gerettet, mein Lieber.

      - Na ja, jetzt gib mal nicht so an. … übrigens, sag mir mal, was wollen eigentlich die ganzen Leute unten an deinem Stamm?

      - Die? Ach nichts.

      - Wie nichts? Die sitzen doch nicht zufällig hier im Kreis um dich herum?

      - Naja, die sind hier, um mich zu verteidigen.

      - Dich verteidigen, gegen wen denn?

      - Naja, ich soll abgeholzt werden, weil hier eine neue Siedlung gebaut werden soll. Und da muss ich eben weg. Und das versuchen die liebenswerten Leutchen hier zu vermeiden. Aber sieh doch mal, dort drüben kommt ein Junge mit seiner Familie angerannt, ist das nicht der, der dich losgelassen hat?

      - Na endlich!

      15.

      - Papa, da sind ganz viele Leute um den Baum rum. Mensch, die sind ja alle aneinander gekettet.

      - Papa, die haben sich an den Baum gekettet.

      Carsten und Sybille sind etwas außer Atem, als sie endlich mit dem Rest der Leine in der Hand die Kinder eingeholt haben.

      Sie schauen erst auf die Leute, dann zum Drachen hoch, dann wieder auf die Leute.

      Schließlich löst einer von den Leuten seine Ketten, ein bärtiger, stark bebrillter, junger Mann und kommt auf sie zu. Er hat einen stechenden, fast aggressiven Blick der gut zu seinen roten, borstigen Haaren passt, spricht die Kinder aber freundlich an.

      - Hallo! Ich schätze mal, dass der Drachen da oben euch gehört. Da habt ihr aber richtig Glück gehabt.

      - Wieso, der ist uns abgehauen.

      - Ha, weil dieser Baum den Drachen abgefangen hat, er aber eigentlich gar nicht mehr hier stehen sollte. Und dann wäre der Drachen weitergeflogen, vielleicht sogar bis zu den Alpen oder noch weiter.

      - Und warum soll der Baum abgeholzt werden?

      - Da kommt eine Siedlung hin. Die Bagger stehen schon bereit und der Bautrupp dort drüben, und die Polizei übrigens auch …

      - Die Polizei?

      - Na, die Bullen sind natürlich wegen uns da. Wir haben uns um diesen Baum herumgesetzt, um ihn zu beschützen. Ist übrigens eine Ulme, eine der letzten Ulmen, hier in der Gegend. Die meisten sind eingegangen, weil eine schlimme Krankheit die Ulmen ansteckt und niederstreckt. Und das Arschloch von Bürgermeister hat einfach auf dem Reißbrett entschieden, die letzte hier abzuhacken.

      Jana und Jako kichern.

      - Papa, Papa, flüstert Jako seinem Vater zu, er hat Arschloch gesagt.

      - Ist schon gut, Jako. Carsten geht einen Schritt auf den Mann zu. Das ist wirklich eine tolle Aktion, die Sie hier betreiben, oder wie sagt man? Durchführen?

      - Das können Sie nennen, wie Sie wollen. Iss halt ne Öko-action. Der Baum hier hat's ja verdient, morgen wird der hundert Jahre alt. Sehen Sie? Hier steht's auf dem Schildchen.

      - Hundert Jahre! Mann, ist ja wahnsinnig. Und jetzt soll er weg.

      - Ja, aber vorher sollten wir noch euren Drachen da runterholen, oder nicht?

      Der bärtige Mann mit den rötlichen Stoppelhaaren grinst die Kinder an.

      - Ja, das wäre schön.

      - Wissen Sie was? Sie könnten uns einen Gefallen tun.

      - Wir?

      - Naja, Sie und Ihre Kinder. Oder noch besser, ich mache einen Deal, ein Abkommen mit euch: Wir holen euch den Drachen runter und ihr lasst Ihn hier steigen.

      - Na, wo ist denn dabei der Deal?

      - Also, wir schreiben etwas auf den Drachen drauf und hängen ihm noch einen neuen Schwanz dran. Wäre das was?

      - Hab' verstanden. Warum nicht? Ich muss aber vorher noch die Kinder fragen. Das müssen die entscheiden.

      Carsten wendet sich an Jana und Jako.

      - Habt ihr das gehört? Die holen uns den Drachen runter, schreiben etwas drauf und wir lassen ihn dann hier fliegen?

      - Toll, was schreiben wir denn drauf, antworten begeistert die Kinder. "Der Baum soll leben?"

      - Nein, „die Ulme soll leben!“

      In dem Moment kommt Sybille dazu.

      - Und was wollen Sie da drauf schreiben?

      - Naja, das was ihre Kinder gerade vorgeschlagen haben. Der Baum muss leben. Unsere Ulme muss leben!!! Ach übrigens, mein Name ist Roger, spricht man Französisch aus: Rosché! Ich bringe hier ein bisschen Leben in diese Gruppe!

      Während sie noch über den genauen Text nachsinnen, haben sich einige eifrige Mitglieder der Aktionsgruppe von ihren Ketten gelöst und sind schon in die hohe Krone der Ulme gestiegen, um vorsichtig den leicht mitgenommenen Drachen herunter zu reichen. Sie basteln eine Weile daran herum, richten ihn gerade, nehmen den alten Drachenschwanz ab und festigen mit Klebeband einen neuen langen Papierschwanz dran.

      Jana läuft mit der Leine über das Feld, während Carsten und Jako auf Kommando gemeinsam den Drachen loslassen. Dieser steigt dank der Abendbrise unter heftigem Applaus und lustigem Gegröle der jungen Leute steil in den Himmel hinauf und verkündet flatternd:

       "Die Ulme muss leben…"

      In dem Moment rollt auch der Drachenschwanz voll aus und ergänzt:

       "… sägt doch den Bürgermeister ab!!!"

      Die um die Ulme herumsitzenden und –stehenden Aktivisten schreien grölend auf und lassen wild die Ketten rasseln.

      16.

      Sybille steht unbeweglich am Fenster und schaut hinaus in den verregneten Garten, dahinter die triefend nasse Straße.

      Ihre Gedanken kreisen immer wieder um das eigenartige Gefühl, das Sie am Sonntag im Wald verspürt hat. Es hat sie doch stärker aufgewühlt, als sie es Carsten und den Kindern gegenüber zugegeben hat.

      Heute ist sie felsenfest davon überzeugt: Es ist eine Vorahnung gewesen! Sie hatte so etwas schon einmal verspürt. Es war kurz vor dem Tod ihres Vaters gewesen. Sie war mit Freundinnen über eine Wiese gelaufen und plötzlich hatte sie sich völlig allein gefühlt, total verlassen, einsam und kalt, und das am helllichten Tag, inmitten der damaligen Freundinnen auf der sonnigen Wiese. Es war ihr, als ob die Sonne plötzlich schwarz geworden war. Sie hatte schon gedacht, sie würde sterben. Aber nicht ihr Tod wurde angekündigt, sondern der ihres Vaters. Einen Tag später war er gestorben, und zwei Wochen später war sie mit ihrer Mutter in die fremde Stadt gezogen, in eine neue Welt, neues Gymnasium, neue Freunde, und ihr erster Freund: Carsten. Sollte jetzt Carsten sterben? Sie greift mit ihrer linken Hand an ihren Bernsteinschmuck, den sie an einer Kette um den Hals trägt und beginnt damit nervös zu spielen. Sie fühlt sich ein bisschen schuldig, da die unheilvolle Präkognition in ihr mehr aufwirbelt als das angekündigte Ableben ihres Mannes. Wieso Ableben? Quatsch, nichts ist sicher! Das sind doch alles nur Hirngespinste, redet sie sich ein.

      Draußen wird ein Baum von einer heftigen, regengetränkten Windböe erfasst und schüttelt sich heftig. Einen kurzen Moment lang geht die Straßenbeleuchtung an, schaltet sich jedoch sofort wieder aus. In diesem Moment klingelt das Telefon.

      Sybille löst sich von dem Fenster und hebt ab.

      - Hallo?

      - Bin ich bei Carsten Krause?

      - Ja, ich bin Frau Krause.

      - Ist Herr Krause nicht anwesend?

      - Nein, er ist gerade nicht da, haben Sie es denn auf seinem Handy probiert?

      - Ja, schon ein paar Mal, aber er hebt nicht ab.

      - Kann ich ihm denn etwas ausrichten?

      - Ja,


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