Geschmackssache oder Warum wir kochen. Günther Henzel

Geschmackssache oder Warum wir kochen - Günther Henzel


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in denen wir Naturalien bewahren oder die wir mit Wasser, Wein oder Öl befüllen.

      5.2 Gefäße ermöglichen das Garen in Wasser

      Mit dem Aufkommen einer Gefäßkultur180 wurde die uralte Praxis, Kokosnussschalen, Schädelkalotten, Straußeneier oder Kalebassen als Behältnisse zu verwenden, verdrängt (LEAKEY; LEWIN 1986). Nun konnten Lebensmittel und Flüssigkeiten nicht nur länger gelagert und vor Tierfraß geschützt (bisher in Körben oder Fellbeuteln), sondern auch direkt auf die Glut gestellt werden. Gefäße, die das Essen nicht nur vor direktem Feuer schützen, starke Verbrennungen oder Verschmutzung durch Sand oder Asche verhindern, können mit unterschiedlichen Rohstoffen befüllt werden, die gemeinsam garen. Das war etwas grundlegend Neues in der sich entwickelnden Zubereitungstechnologie. Mit der Herstellung und Nutzung gartauglicher Gefäße veränderte sich das Ernährungsspektrum in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Vermutlich begannen hier auch die ersten Aromaexperimente mit Rohstoffen, die in Wasser gegart wurden (Entdeckung der Wasseraromatisierung). Damit war eine Zubereitungsmöglichkeit erfunden worden, die Schmackhaftigkeit weit über das Gegebene hinaus erzeugte. Es war der Beginn einer »aromaorientierten Zubereitung«, die den Coctivor (MUTH; POLLMER 2010), den kochenden Menschen, zum Homo sapiens, dem 'erkennenden' (wissenden) und schmeckenden Menschen machte. Dieser 'weiß', wie man Rohstoffe schmackhaft zubereitet.

      5.3 Von der Beobachtung zur Zubereitung – Übersicht

      Es ist davon auszugehen, dass alle Verfahrenstechniken zunächst auf Beobachtungen zurückgehen, die unsere Vorfahren in ihren Habitaten und natürlichen Lebenswelten machen konnten. Es sind physikalische und chemische Faktoren – natürliche Wechselwirkungen aufgrund von Naturkonstanten – die ihre Rohstoffe veränderten.

       Tabelle 1 Übersicht: Von der Beobachtung der Zubereitung

BeobachtungEffekte
TrocknungsvorgängePflanzen: Einige Pflanzen sind lagerfähig, trocknen, ohne rasch zu verderben; der Gehalt an aromaintensiven Inhaltsstoffen erhöht sich im Maße der Verdunstung; »Vorläufer« der Gewürze Tierische Nahrung: An windigen (kühlen) Stellen (Steilküsten) trocknet gelagerter Fisch und bleibt länger haltbar; Salz – z. T. durch Verdunstung von Meerwasser am Fels haftend – erhöht die Lager-fähigkeit. Jagdbeute wird aus Schutz vor Fraß im Geäst aufgehängt, wobei Trocknungseffekte auftreten, die ihre relative Haltbarkeit erkennen lassen
QuellvorgängeGetrocknete Pflanzen, Körner verändern in Wasser ihre festen, trockenen Eigenschaften; werden weicher und z. T. saftig; heißes Wasser beschleunigt diese Vorgänge – lässt Stärke verkleistern
Wirkung thermischer Strahlung – LagerfeuerErbeutete Tiere werden zum Lagerplatz geschleppt und in unmittelbarer Nähe des Lagerfeuers abgelegt, mit Steinklingen zerteilt und verzehrt. Aufgrund der Wärmestrahlung rösten/denaturieren Teile des Fleisches (Grilleffekt) an jenen Stellen, die dichter am Feuer liegen. Fleischmahlzeiten bestehen daher sowohl aus rohen als auch gegarten Teilen. Die zunehmende Präferenz für Gegartes erklärt sich aus der besseren Verdaubarkeit und verbesserter Genusswerte
Gareffekte auf heißen Steinen / in heißem Sand, heißen QuellenBesonders durch Lagerfeuer erhitztes Gestein (o. erhitzter Sand) speichert für lange Zeit Hitze; Rohstoffe aller Art, die darauf/darin liegen, werden »gar«; gleiches gilt für heiße Thermalquellen, die bis zu 100°C heißes Wasser oder heißen Wasserdampf ausstoßen können
Gareffekte in heißer Asche/GlutPflanzen und stärkereiche Knollen, die sich neben/unter lange brennenden (glimmenden) Harthölzern befinden, verändern ihre Konsistenz: werden weicher, verkleistern. Als natürlicher Trenn- u. Glutschutz eignen sich Blätter oder ein Lehmmantel
Gär- und FermentierungsprozesseFruchtmark, Fruchtfleisch wurde/wird mit natürlich vorkommenden Hefen vergoren (vermutlich zuerst vor etwa 9000 Jahren in China); auch Stärkebrei lässt sich mittels Speichelamylase fermentieren; Ursprung der Bierherstellung (historisch jüngeren Datums: etwa 5000 Jahre v.Ch.) in China; Göbekli Tepe (Türkei)
Dickwerden der MilchIn Mägen der Kälber fand man Quark: Dicklegung erfolgt durch das Labferment Chymosin (auch Rennin), ein Milchgerinnungsenzym aus der Schleimhaut des Labmagens (wird heute gentechnisch hergestellt)
Effekte des Salzens/ Räucherns/SäuernsHaltbarkeitseffekte (besonders bei tierischen LM) wurden zufällig erkannt; Salz ist hygroskopisch, führt zur Herabsetzung des aw-Wertes; Rauchschwaden des Feuers reduzieren ebenfalls freies Wasser; Aerosole und Säuren (Essigsäure, Milchsäure) sind u. a. bakterizid, verbessern die Haltbarkeit
Geschmacksunterschiede, WasseraromatisierungGelagertes Fleisch verdirbt weniger rasch, wenn es mit bestimmten Pflanzen (den späteren 'Gewürzen') eingewickelt transportiert/gelagert wird; aus zeitökonomischen Gründen werden Rohstoffanteile gleichzeitig in derselben Flüssigkeit gegart, die ein entsprechendes Aroma erhält

      170 Der Gebrauch von Feuer wurde in Swartkrans auf bis vor 1 Million Jahre datiert und wird als zweitältester bekannter Nachweis für die Nutzung des Feuers in der Welt angesehen; dazu auch Wikipedia: Swartkrans. Aus heutiger Sicht wird der Gebrauch des Feuers zur Herstellung leichter verdaulicher Nahrung als die eigentliche Ursache für die Entwicklung zum vernunftbegabten Menschen gesehen (WRANGHAM 2009)

      171 Die Länge und Dauer des Weges wird vom Tagesrhythmus (Helligkeitsdauer) bestimmt. Auf diese Weise gibt es ein natürliches Gleichgewicht zwischen dem Sammelerfolg (Nahrungsmenge) und der Populationsgröße des Dorfes. Es können maximal so viele Menschen ernährt werden, wie der Sammelerfolg in einem Ablauf-Radius um das Dorf ermöglicht. Je nach Region und Klimagürtel sind das zwischen 35 und 65 Menschen (LEAKEY; LEWIN 1980)

      172 Noch im letzten Jahrhundert warfen Landarbeiter liegengebliebene Kartoffeln nach der Kartoffelernte in die Glut/ Asche des verbrennenden Kartoffelkrauts

      173 Asche-/Erdanhaftungen oder der Verzehr spezieller Tonerden (Geophagie) dienen manchen Populationen auch als Mittel zur Entgiftung von kochstabilen Alkaloiden (z. B. Blausäure – hemmt die Atmungskette in den Mitochondrien); a. a. O., S. 47

      174 A. a. O., S. 133

      175 Offenbar verfügen sie über 'Kenntnisse', welche Pflanzen sich zu diesem Zweck – der Herstellung von 'Dschungelwürsten' – eignen. Auch belegen diese Techniken, dass alle Teile des Tieres verwendet werden

      176 Der Wasserstand der Mulde ist mit dem Wasserspiegel des Baches auf gleicher Höhe und versickert nicht (physikalisches »Prinzip kommunizierender Röhren/Gefäße«)

      177 Auch Aborigines in Australien verwenden bis heute unterschiedliche Formen von Erdöfen; ebenso kalifornische Indianer, in der Karibik und Südamerika; siehe auch Wikipedia: Kochstein

      178 Sehr informativ dazu auch Wikipedia: Urgeschichte

      179 Das Töpferhandwerk hat eine Vielzahl weiterer kulturbedeutsamer Techniken nach sich gezogen, z.B. ein »Expertenwissen« über Bodenbeschaffenheit, Brenn-, Lager- und Transporttechniken, sowie die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten und den Handel mit diesen neuen Gebrauchsgegenständen

      180 Fragmente von Keramikgefäßen wurden in einer Höhle in der chinesischen Provinz Jiangxi gefunden und sind etwa 20 000 Jahre alt. An den Keramik-Scherben aus der Xianrendong-Höhle wurden Brandspuren entdeckt, die ihre Verwendung als Kochgefäße erkennen lassen (WEBER 2012). Tatsächlich ist die Verwendung von Gefäßen auch zu Garzwecken vermutlich wesentlich älter – nur kann das nicht belegt werden, weil entsprechende Funde fehlen

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