Tunichtgut und Sorglos. Petra Lukoschek

Tunichtgut und Sorglos - Petra Lukoschek


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Tunichtgut durch das Spektakel hindurch ihrem Freund zu.

      Sorglos starrte Tunichtgut erschrocken an. Er spürte plötzlich wieder ein Beben der Erde auf der er stand. Dann ein stärkeres Beben, ein Ruck und der Boden unter seinen Füßen öffnete sich einen Spalt breit. „Oh nein, oh nein! Tunichtgut, was ist das?“ Er blickte nach unten. Im nächsten Augenblick verlor er den Halt, hörte noch die Stimme seiner Gefährtin: „Ich hab‘ dich. Ich hab‘ dich. Ich hab‘ dich nicht!“ und fiel.

      Sorglos fiel in die Dunkelheit. Ein Schrei in seiner Kehle erstickte. Seine kleinen Elfenflügel wollten sich nicht öffnen. Zu groß war der Schreck! Zu gelungen das Überraschungsmoment!

      Er fiel und fiel und fiel, aber wohin eigentlich?

      Sollte Krambimbuli etwa von ihrem Plan erfahren haben? Befand er sich auf dem direkten Weg ins Verlies? So fühlte es sich also an, wenn der Zauberpinsel einen dorthin beförderte? Dann sollte es das also gewesen sein? Niemals den Nordpol sehen! Nie mehr die Sonne, die Sterne, die Schmetterlinge, die Freundin, nie mehr heimlich Löwenmäulchen Likör naschen!

      Der Aufprall war hart, die Erde kalt und noch ehe er sich sammeln und aufraffen konnte, wurde er wieder zu Boden gerissen von einem „AUA“ schreienden Etwas, das auf ihn fiel.

      „Tunichtgut! Kannst du nicht ein einziges Mal aufpassen, wo du hinfliegst? Du hast mich fast zermalmt. Hast du wieder von den Sahnebärchen genascht? Du bist schwer wie ein Sack Frischlinge!“ Mit hängenden Mundwinkeln und schniefend setzte Tunichtgut sich auf und zupfte ihr weißes Gewand gerade. „Gar nicht wahr! Ich bin eine Elfe. Elfen sind leicht wie Federn. Ich wollte nicht auf dich fallen. Du hast dich ja hier so breit gemacht. Der Platz hier gehört ja gar nicht dir.“ „Ich war aber zuerst hier!“ wetterte Sorglos zurück. Er war inzwischen aufgestanden und wanderte in der Dunkelheit umher.

      Die Erde war feucht und glitschig. Die nackten Füße mit den kleinen, knubbeligen Zehen versanken in Matsch. Es roch modrig. „Sorglos“, flüsterte Tunichtgut, „wo sind wir denn hier eigentlich?“ Er setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und versuchte einen Gang zu finden. Langsam gewöhnten seine Augen sich an das Fehlen einer Lichtquelle. Lediglich der Hauch seines eigenen Strahlens, welches hier unten aber fast unsichtbar war, schenkte ein wenig Sicht.

      „Sorglos? Was machst du denn?“ „Ich bringe uns hier heraus!“ Ja, da war er wieder, der mutige Freund, der furchtlose Sorglos, der Denker und Lenker eben. Sorglos atmete erleichtert ein und aus. Er hatte den Schrecken des unvorhergesehenen Sturzes hinter sich gelassen und konnte nun einen neuen Plan, an die neue Situation angepasst, schmieden. Sehr zufrieden mit sich, rieb er sich nachdenklich das Kinn.

      Die zwei Augenpaare, die die ganze Zeit auf sie gerichtet waren, bemerkte er nicht.

      Tunichtgut erblickte die in der Dunkelheit leuchtenden Augen zuerst. Sie hielt den Atem an und versuchte Sorglos wortlos, mithilfe einer Kopfbewegung, auf die Beobachter aufmerksam zu machen. Das fehlende Licht erschwerte dieses Vorhaben allerdings ungemein. Jedoch, auch im hellsten Sonnenschein wäre dieses Ansinnen wahrscheinlich gescheitert, denn ihr Freund war so sehr mit dem Schmieden seiner, selbstverständlich einzigartig, genialen Befreiungspläne beschäftigt, dass er ihre stummen Zeichen schlichtweg übersah.

      Tunichtgut wagte nicht, sich zu bewegen. Ohne ihren Blick von den Beobachtern abzuwenden hauchte sie:“ Sorglos, Soooorgloooos! Wir sind nicht allein.“ „Ich denke“, murmelte Sorglos, „wenn wir es so, mmmmmh, oder lieber anders. Halt, hier muss es einen Tunnel geben, der aus diesem Loch herausführt. Meine Flügel spüren hier und da einen Luftzug und der kommt nicht von oben.“ Er drehte sich im Kreis, hielt inne, drehte sich wieder. Dann befeuchtete er seinen Zeigefinger mit Elfenspucke und hielt ihn in die Höhe während er sich weiterdrehte. „DA! Ich hab‘s!“ Er machte einen Hüpfer, „Der Tunnel ist genau dort!“ Der schlaue Elf zeigte in die Richtung aus welcher der Windhauch gekommen war und blickte direkt in vier weit aufgerissene Augen.

      Sorglos stolperte zurück. „Tunichtgut, wir sind nicht allein!“ Er fiel rücklings auf seine Freundin.

      Die Augenpaare näherten sich in der Dunkelheit, langsam und lautlos.

      Tunichtgut und Sorglos hielten einander umarmt und warteten auf den Glockenschlag ihres letzten Stündchens.

      Ein Atemzug und noch ein Atemzug und schließlich wagten sie, ihre Umarmung ein wenig zu lockern. Sie schauten ins Dunkel.

      Vor ihnen tauchten zwei Gestalten auf, nicht größer als sie selbst und – und das war beinah amüsant- sie hatten ebenso viel Angst wie die Elfenfreunde.

      Eine der dunklen Gestalten entzündete eine kleine Laterne. Das unterirdische Verlies erhellte sich. Verzierte Wände wurden sichtbar, bunt bemalt mit tanzenden Libellen, mit spinnenden Spinnen, mit einer fliegenden Kutsche und, nanu? Waren das nicht Tunichtgut und Sorglos, die leuchtend auf die Wand gemalt worden waren?

      Die Erde war von Schlamm bedeckt. Hier und da ragte ein lehmiger Gesteinsbrocken hervor. Eine Öffnung führte hinaus in die Dunkelheit. Wohin, war nicht ersichtlich.

      Vier kleine Wesen standen sich nun gegenüber und beäugten sich misstrauisch und vorsichtig.

      Sorglos schluckte den Angstkloß in seinem Hals herunter und machte einen beherzten Schritt auf die unbekannten Gestalten zu.

      Sie sahen eigentlich nicht gefährlich aus, ein bisschen schmuddelig vielleicht, ein wenig grimmig oder war traurig das richtige Wort?

      „WER SEID IHR?“ fragte er pistolengeschossartig, so furchterregend, wie es einer Elfe nur möglich ist. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, machte seinen Rücken kerzengerade und legte seine Stirn in Falten.

      Sorglos bemerkte, dass die beiden dunklen Gestalten sich an den Händen hielten. Ein Lächeln wollte sich in sein Gesicht drängen. Er presste die Lippen zusammen, damit die Worte „Habt keine Angst vor uns!“ seinen Mund nicht verlassen konnten.

      „Wir sind aus Dunkelland. Jawohl! Wir sind stark und mutig. Wir wissen, wer ihr seid und wir wissen auch, dass ihr die Wunschpustesamen stehlen wolltet.“ Trotzig schob der Sprecher der beiden, sein Kinn nach vorn. Auch er machte sich ganz groß und runzelte seine staubige Stirn. „Und wir müssen euch gar nicht sagen, wie wir heißen, denn wir haben euch gefangen!“ „Genau“, sagte das feingliedrige Geschöpf neben ihm mit zartem Stimmchen. „Wir sagen nichts, wenn wir nicht wollen, nicht wahr, Magdichnicht?“

      Magdichnicht warf seinem Gefährten einen strafenden Blick zu. „Du bist einfach zu nichts zu gebrauchen, Keinezeit.“

      Keinezeit schaute grimmig zurück. Ein heftiges Wortgefecht setzte ein, in dem gegenseitige

      Beschuldigungen durch die Luft wirbelten, sich verknoteten und den modrigen Raum noch modriger machten.

      Sorglos hielt Tunichtgut ebenfalls bei der Hand und drückte sie fest. Dunkelland also, ein Ort, an dem eine Elfe ganz sicher nichts verloren hatte.

      Dunkelland war das Land unter den Wäldern. Ein Land, in dem die dunklen Gefühle regierten, die den Menschen Leid brachten, Neid und schlechte Laune, Rastlosigkeit und Eifersucht. Ein Land, in dem es verpönt war zu lachen, fröhlich und glücklich zu sein. Hier herrschte Karambuli, seinerseits mächtiger Zauberer und Beschützer seiner dunklen Ländereien und seiner Zwelfen, kleine, schattige Wesen der Unterwelt.

      Bei genauem Hinsehen waren sie wie unsere Elfenfreunde, zarte Personen, emsig und ihrem Volke treu. Ihre Aufgabe war es, den Menschen die Schattenseiten ihres Daseins zu schenken. „Warum?“ magst du dich fragen. Wie hätte man in unserem Dorf die Freude erkennen können, wenn man das Leid nicht kannte? Was wäre ein lachendes Auge ohne ein Weinendes? So fand auch das Dunkelland seinen Sinn in der Welt.

      Davon allerdings wussten unsere beiden Elfen Tunichtgut und Sorglos nicht viel. Sie hatten, schon als sie noch in den Kelchen der Narzisse geschaukelt wurden, gelernt, dass man das Dunkelland zu meiden hatte. Dort sollten grausame Monster ihr Unwesen treiben und Neidhammel und Miesepeter auf den Weiden genährt werden.

      Einst


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