Demokratie und Sozialismus und Freiheit. Frank Kell
der DDR-Bürgerrechtsbewegung als die Herausbildung eines gemeinsamen Denk- und Handlungszusammenhangs zu konzeptualisieren, der es erlaubt, die verschiedenen „Wege in die Opposition“18 als eine zusammenhängende und gleichzeitig nach außen abgrenzbare soziale Bewegung zu begreifen. Nachdem im ersten Teil das politisch-ideologische Konglomerat herauspräpariert wurde, verfolgt der zweite Teil der Arbeit (Kapitel 4 und 5) dessen Bedeutung für die soziale Wirklichkeit in der Revolution von 1989/90. Dabei orientiert sich dieser zweite Teil an der gängigen Einteilung des Ereigniskomplexes in zwei Phasen mit je verschiedenen, teilweise gegenläufigen Inhalten und Entwicklungen. Kapitel 4 konzentriert sich auf den Herbst 1989 und damit auf eine Zeit, in der die Massenproteste gegen das SED-Regime und die Forderungen nach demokratischer Mitsprache und Reformierung des Staates im Vordergrund standen. Insbesondere wird hier die Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz vom 4. November 1989 und deren Bedeutung für die Bürgerrechtsbewegung in den Blick genommen. Kapitel 5 beschäftigt sich dann mit dem darauffolgenden Zeitabschnitt bis etwa zur Konstituierung der Volkskammer nach der Wahl im März 1990 – einem Zeitraum, in dem die Frage der Vereinigung der beiden deutschen Staaten vordergründig war. Die gewandelten Bedingungen beeinflussten auch die Debatten des Zentralen Runden Tisches. Zunächst aber soll es um dominante und teils gegeneinanderstehende Deutungen der Ereignisse von 1989/90 gehen, die in ihrer jeweiligen Genese bereits in der Revolution selbst angelegt waren und die bis heute das erinnerungskulturelle, aber auch geschichtswissenschaftliche Bild von 1989/90 prägen.
Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner im Januar 2018 an der Universität Mannheim eingereichten Masterarbeit. Für das produktive Lernumfeld sowie die kritischen und stets konstruktiven Hinweise möchte ich dem gesamten Team des Lehrstuhls Neuere und Neueste Geschichte von Prof. Dr. Julia Angster am Historischen Institut der Universität Mannheim herzlich danken.
1Václav Havel: Moc Bezmocných („Die Macht der Ohnmächtigen“), o. V. 1978, zit. nach d. Übers. v. Gabriel Laub: Versuch, in der Wahrheit zu leben, Reinbek 1989, S. 14. Die Schreibweise in den Quellen wurde beibehalten. Hervorhebungen, Kleinschreibungen u. Ä. wurden in ihrer ursprünglichen Darstellungsweise belassen. Grammatische Anpassungen von Zitaten wurden durch eckige Klammern sichtbar gemacht.
2Vgl. Timothy Garton Ash: Ein Jahrhundert wird abgewählt. Aus den Zentren Mitteleuropas 1980-1990, München 1990; Ulrike Poppe: „Der Weg ist das Ziel“. Zum Selbstverständnis und der politischen Rolle oppositioneller Gruppen der achtziger Jahre, in: Ulrike Poppe/Rainer Eckert/Ilko-Sascha Kowalczuk (Hg.): Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung. Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR, Berlin 1995, S. 244-272, hier S. 257-259.
3Václav Havel: „Dauernde Vergewaltigung der Gesellschaft“, in: Der Spiegel 1980/3, S. 126-130, hier S. 130.
4Jan Josef Liefers: Rede auf der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989, zit. nach: Deutsches Historisches Museum (Hg.): Dokumentation 4. November 1989 Berlin/Alexanderplatz, URL: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/4november1989/lief.html, Stand: 18.01.2018.
5Poppe: Selbstverständnis, S. 258.
6Erklärung der Charta 77, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. Januar 1977.
7Vgl. Eckart Conze/Katharina Gajdukowa/Sigrid Koch-Baumgarten: „1989“ – Systemkrise, Machtverfall des SED-Staates und das Aufbegehren der Zivilgesellschaft als demokratische Revolution, in: dies. (Hg.): Die demokratische Revolution 1989 in der DDR, Köln 2009, S. 7-24.
8Vgl. Alexander von Plato u.a.: Opposition als Lebensform. Dissidenz in der DDR, der ČSSR und in Polen, Berlin 2013.
9Vgl. Hubertus Knabe: Neue soziale Bewegungen im Sozialismus. Zur Genesis alternativer politischer Orientierung in der DDR, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1988/40, S. 511-569; Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, S. 85-97.
10Vgl. Christiane Olivio: Creating a Democratic Civil Society in Eastern Germany. The Case of the Citizen Movements and Alliance 90, New York 2001; Winfried Thaa: Die Wiedergeburt des Politischen. Zivilgesellschaft und Legitimitätskonflikt in den Revolutionen von 1989, Opladen 1996, S. 158-163.
11Vgl. Michael Werner/Bénédicte Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 2002/28, S. 607-636.
12Vgl. mit Blick auf Deutschland: Frank Bösch: Geteilte Geschichte. Plädoyer für eine deutsch-deutsche Perspektive auf die jüngere Zeitgeschichte, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 2015/12, S. 98-114; Frank Möller/Ulrich Mählert (Hg.): Abgrenzung und Verflechtung. Das geteilte Deutschland in der zeithistorischen Debatte, Berlin 2008; Arnd Bauerkämper: Verflechtung in der Abgrenzung. Ein Paradox als Perspektive der historischen DDR-Forschung, in: Ulrich Mählert (Hg.): Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema, Berlin 2016, S. 71-78.
13Hans Günter Hockerts: Rezension von: Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, in: sehepunkte 2009/9 (Nr. 5), URL: http://www.sehepunkte.de/2009/05/15019.html, Stand: 12.01.2019.
14Vgl. Thomas Großbölting/Christoph Lorke: Vereinigungsgesellschaft. Deutschland seit 1990, in: dies. (Hg.): Deutschland seit 1990. Wege in die Vereinigungsgesellschaft, Stuttgart 2017, S. 9-30; Dierk Hoffmann/Michael Schwartz/Hermann Wentker: Die DDR als Chance. Desiderate und Perspektiven künftiger Forschung, in: Mählert: DDR, S. 23-70, insb. S. 59-64.
15In diesem Dreiklang bei Wolf Biermann: Wer war Krenz?, in: die tageszeitung vom 18. November 1989.
16Vgl. Jost Dülffer: Zeitgeschichte in Europa – oder europäische Zeitgeschichte?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2005/1-2, S. 18-26.
17Programmatisch bei Silke Mende: „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“. Eine Geschichte der Gründungsgrünen, München 2011, S. 14-21, hier S. 15f.
18Vgl. Martin Gutzeit: Der Weg in