Köder Null. Джек Марс

Köder Null - Джек Марс


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fand die Prozession ein Ende. Sie wurde durch einen großen Mann mit einem grauen Bart und einer nach links gebogenen Hakennase abgeschlossen, der ein Gebet zuerst auf Arabisch und dann auf Englisch murmelte. Er war von oben bis unten in Weiß gekleidet. Ein Geistlicher, oder wie auch immer die sich nannten. Sie kannte sich in der islamischen Kultur nicht so gut aus wie sie es sollte, insbesondere jetzt, da diese Besuche und diplomatischen Missionen ihr bevorstanden. Doch zwei Monate waren kaum ausreichend Zeit, um sich vorzubereiten, und ihre Amtszeit war bisher ein Wirbelwind von Ereignissen gewesen.

      König Ghazi von Saudi-Arabien hatte seinen langen Kampf mit einer ungenannten Krankheit verloren. Die königliche Familie wollte die Welt nicht darüber informieren. Joanna nahm an, dass es sich um etwas handelte, dass seinem Namen Schande oder Schmach brachte. Sie wollte erst gar nicht anfangen zu raten, was es war. Nachdem die Gebete beendet waren, zog sich die Prozession von Anführern, Diplomaten und Magnaten zurück in den unantastbaren (und mit Klimaanlagen ausgestatteten) königlichen Palast, außerhalb der Reichweite der Presse und Kameras. Eine seltsame Veranstaltung, dachte Joanna, wenn man bedachte, wie reserviert die königliche Familie schien.

      Doch bevor sie eintreten konnte, rief sie eine Stimme.

      „Madam Vizepräsidentin.“

      Sie hielt inne. Die Stimme war niemand anderes als Prinz Basheer - jetzt vielmehr König Basheer, der älteste der sieben Söhne des verstorbenen Königs. Er war groß und hatte breite Schultern, vielleicht drückte er sogar ein wenig die Brust hervor, zumindest kam es Joanna so vor. Genau wie der Geistliche war auch er ganz in Weiß gekleidet, abgesehen von seinem Kopftuch - wie nannte man das nur? rügte sie sich. Das hatte ein rot-weiß kariertes Muster, dass sie zugegebenermaßen an eine Picknickdecke erinnerte. Sein Bart war kurz geschnitten, das Ende zeigte wie ein Pfeil nach unten. Er war schwarz, doch hatte trotz seiner recht jungen neununddreißig Jahre graue Strähnen.

      „König Basheer.“ Sie nickte ihm zu, während sie sich selbst dafür lobte, sich an den richtigen Titel erinnert zu haben. „Mein Beileid, Hoheit.“

      Er lächelte mit seinen Augen, doch sein Mund blieb eine gerade Linie. „Ich muss zugeben, dass es mir schwerfallen wird, mich an den Titel zu gewöhnen.“ Basheer sprach hervorragend Englisch, doch Joanna bemerkte, dass er bei jedem harten Konsonanten mit den Lippen schnalzte. „Man hat mir gesagt, dass Sie uns nur kurz besuchen. Ich hoffte, dass wir unter vier Augen reden könnten.“

      Es stimmte, der Flugplan war schon registriert. Sie wollte in einer Stunde zurück im Jet sein. Doch die Regeln der Diplomatie schrieben vor, dass sie ein Angebot des trauernden Sohnes, neugekrönten Königs und möglichen Verbündeten nicht ausschlagen konnte. Das galt besonders, weil die US-Regierung jetzt kaum wusste, wo König Basheers Loyalitäten liegen würden.

      Joanna nickte liebenswürdig. „Natürlich.“

      König Basheer machte eine Geste, ihm zu folgen. „Hier entlang.“

      Sie zögerte, stand kurz davor „Jetzt?“ herauszuplatzen. Ihr Blick fiel zurück auf die endende Prozession. Basheer hatte gerade seinen Vater begraben. Sicherlich gäbe es Wichtigeres, als mit ihr zu sprechen.

      Ein Knoten formte sich in ihrem Magen, während sie einige Schritte hinter Basheer folgte. Sie gingen in den Palast und durch einen Empfangsraum für Würdenträger, der so groß wie eine kleine Sporthalle war.

      Bedienstete servierten den anderen Gästen Erfrischungen, doch Joanna umging sie und trat in ein kleines Vorzimmer ein. Sie bemerkte im Blickwinkel, dass sich dort jemand befand. Der große Geistliche in Weiß folgte ihr still. Mehr als ein Geistlicher, dachte sie, vielleicht ein Berater? Doch in ihrer Kultur könnte das ein und dasselbe sein. Sie versuchte, sich an den Ausdruck für diese Art Person zu erinnern - war das ein Imam?

      Wer immer er war, der große Geistliche (sie hatte sich nun daran gewöhnt, ihn so zu nennen) schloss die dicken Doppeltüren zum Vorraum hinter sich. Sie waren nur zu dritt in diesem Raum. Überraschenderweise war kein einziger Bediensteter oder Wächter anwesend. Diwane und bauschige Kissen in schwindelerregenden Farben waren in einer Mischung aus Feng-Shui und Nahoststil arrangiert und selbst die Fenster hatten schwere Samtvorhänge.

      Dies war ein Raum, in dem man Geheimnisse besprach, ein Raum ohne Ohren. Sie wusste zwar nicht, was gleich besprochen würde, doch Joanna Barkley war sich sicher, dass dies der genaue Grund war, aus dem sie gehofft hatte, schnell nach Washington zurückzukehren.

      „Bitte“, sagte Basheer und zeigte auf die Sitzgelegenheiten im Zimmer. „Setzen Sie sich.“

      Sie ließ sich auf einem cremefarbenen Diwan nieder, doch lehnte sich nicht zurück und machte keine Anstalten, es sich bequem zu machen. Joanna saß mit geradem Rücken auf dem Rand eines Kissens und legte die Hände in den Schoß. „Womit habe ich eine solche Audienz verdient?“, wagte sie zu fragen und übersprang damit jegliche Formalitäten, die vielleicht zu erwarten gewesen wären.

      Basheer genehmigte sich ein seltenes Lächeln.

      Es war kein Geheimnis, dass die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien sich seit König Ghazis Krankheit verschlechtert hatten. Ghazi war ein Verbündeter gewesen, doch als er krank wurde und aus dem Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit verschwand, blieben jene, die für ihn sprechen sollten, seltsam still. Die Monarchie von Saudi-Arabien war der absolute Machthaber und herrschte über alle Regierungsgewalten, weshalb die USA es für umsichtig hielt, sich im Geheimen über die Aktivitäten des Kronprinzen Basheer zu informieren.

      Was sie herausfanden, gefiel ihnen nicht besonders.

      Um die Dinge noch zu verschlimmern, war sich Joanna außerdem nur zu bewusst, dass der ehemalige Prinz sich streng an die Gesetze der Scharia hielt und ihm Frauen in Machtpositionen gar nicht gefielen. Seiner Meinung nach waren und würden sie niemals gleichberechtigt sein. Sie war ihm nicht ebenbürtig, ganz einfach.

      „Ich möchte mich gerne kurz über die Zukunft der Beziehungen zwischen unseren Ländern unterhalten“, begann der König.

      Joanna lächelte zurück. „Bevor Sie weitersprechen, Hoheit, möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich nicht über die Autorität verfüge, um Genehmigungen im Namen meines Landes zu autorisieren.“

      „Ja“, stimmte ihr der König zu. „Doch Sie können alles, was wir bei diesem Treffen besprechen, an den Präsidenten weiterleiten.“

      Joanna ließ sich ihre Empörung über die Andeutung, sie wäre eine Botin, nicht anmerken, stattdessen schwieg sie.

      „Ich habe gehört, dass die USA den Ajatollah des Iran diese Woche willkommen heißen“, fuhr Basheer fort.

      „Das stimmt.“ Joanna hatte den Besuch selbst organisiert. Ein wichtiger Teil von Präsident Rutledges Bemühungen, Frieden zwischen den USA und dem Nahen Osten zu schließen, war ein strategisches Bündnis mit dem Iran. Sie zielten hoch, doch wie bei den meisten Dingen ihres Lebens näherte sich Joanna dem Problem diplomatisch und unvoreingenommen an. So fand sie heraus, dass eine Lösung durchaus möglich wäre. „Unsere Länder versöhnen sich. Ein Abkommen wird derzeit von den Vereinten Nationen entworfen.“

      Der weißgekleidete Geistliche blies seine Nasenflügel auf. Es war eine kaum merkbare Bewegung, hätte er nicht wie eine Statue neben den Doppeltüren gestanden. So stocksteif wie er da stand, hätte die winzige Geste auch ein lautes Knurren sein können.

      „Ich glaube, dass Sie vielleicht noch nicht ganz, äh, wie soll ich es nennen - informiert sind“, entgegnete ihr Basheer hochmütig. „Sie sind ja schließlich noch neu -“

      „Ich bin neu in diesem Amt“, unterbrach ihn Joanna. „Ich kann Ihnen versichern, dass ich kein Neuling bin.“

      Was mache ich da? rügte sie sich. Normalerweise reagierte sie nicht auf eine herablassende Haltung oder sogar offenen Spott. Doch etwas an diesem jungen König und seinem denkmalhaften Berater reizte sie auf eine Weise, die sie noch nie zuvor gespürt hatte. Es war nicht nur eine Geringschätzung ihrer selbst, es war eine Geringschätzung ihres Geschlechts, eine generelle Annahme, dass alle Frauen ihnen unterlegen wären. Sie wusste jedoch, dass sie sich beherrschen musste. Dies war ihre erste wichtige


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