Hexerei zur Teestunde. Софи Лав
wie ein Schauer durch ihren Körper lief. Sie schwitzte, die Erinnerung an den Traum wiederholte sich immer wieder in ihrem Kopf. Wie sie instinktiv gewusst hatte, dass ihr Vater weg war.
Weil er tatsächlich weg war, nicht nur im Traum, auch im wirklichen Leben. So idyllisch ihr das Leben als Kind auch erschienen war, sie hatte keine Ahnung gehabt, was sich hinter den Kulissen abgespielt hatte. Keine Ahnung, dass ihre Eltern sich stritten, dass das Geld knapp war, dass die Gewinnspannen beim Verkauf nicht hoch genug waren. Langsam, im Laufe von ein paar Jahren, war die Abteilung für Secondhand-Bücher gewachsen, bis der ganze Verkaufsraum aus gebrauchten Büchern bestanden hatte, eine Verkaufsstrategie, von der ihr Vater wohl geglaubt hatte, dass sie den Laden retten würde.
Lex erinnerte sich daran, wie sie zwischen diesen Regalen entlanggeschlendert war und sie sogar noch mehr geliebt hatte. Die gebrauchten Bücher hatten einen ganz anderen Geruch, einen Geruch von altem Papier und Leben. Jedes von ihnen hatte seine eigene Geschichte und Vergangenheit – nicht nur den Text auf der Seite, sondern das Leben des Buches selbst. Widmungen, die mit Bleistift oder Feder in die Einbände gekritzelt waren. Die Ränder der Seiten gut abgegriffen, zerknittert oder zerrissen, gelegentliche Anmerkungen am Rand. Die Knitterfalten auf dem Buchrücken, die bezeugten, dass das Buch immer wieder gelesen, geliebt und in einer Tasche herumgetragen worden war.
Es war magisch gewesen, bis es das eines Tages nicht mehr war. Der Laden ging pleite und ihre Eltern setzten sich mit ihr zusammen, um ihr an einem dunstigen Sommernachmittag, als es sich so angefühlt hatte, als könne nichts ihr Glück trüben, zu sagen, dass sie sich scheiden ließen.
Lex hatte mit ihrem Vater gehen wollen. Aber sie war bei ihrer Mutter geblieben, während ihr Vater in einem Motel wohnte, auf der Suche nach einer neuen Wohnung, die er dauerhaft mieten wollte. Und dann, eines Tages, hatte er ausgecheckt und war nie wieder zurückgekehrt.
Lex hatte ihn seitdem nicht mehr gesehen.
Es war ein alter Schmerz. Lex war jetzt zweiunddreißig und die glücklichen Erinnerungen an den Laden betrafen nur einen kleinen Teil ihres Lebens. Es war längst vorbei. Als Teenager hatte sie versucht, ihren Vater zu suchen – als sie auf dem College war, kurz nachdem sie ihren Abschluss gemacht hatte. Sie hatte nie eine Spur gefunden und irgendwann hatte sie aufgehört zu suchen.
Lex schwang ihre Füße aus dem Bett, ging in die Küche ihrer kleinen Wohnung, holte ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Wasser. Der Traum blieb in ihrem Gedächtnis haften und das nicht nur wegen der Emotionen, die er geweckt hatte.
Fast seit dem Tag, an dem das Geschäft geschlossen wurde, hatte sie einen Traum: eines Tages eine eigene Buchhandlung zu eröffnen und damit in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Nachdem er verschwunden war, entwickelte sie eine Fantasie, in der er erfuhr, dass sie ihren eigenen Laden eröffnet hatte, und zurückkehrte, um sich ihr anzuschließen, um mit ihr zwischen den Regalen zu arbeiten, so wie sie es getan hatten, als sie ein Kind war. Dieser Teil davon war nur Wunschdenken, aber der Ehrgeiz war ihr geblieben.
Ursprünglich war sie nur ins Lektorat eingestiegen, um den Büchern nahe zu sein. Sie wollte etwas über den Markt lernen, wollte verstehen, was sich verkaufte und was nicht. Sie dachte, das würde ihr helfen, dachte, dass sie auf diese Weise auch nützliche Kontakte hätte, wenn sie bereit wäre, sich selbständig zu machen. Aber irgendwann war sie von einer Assistentin zur Junior-Redakteurin befördert worden, und dann hatte sie ihr eigenes Büro bekommen – so klein es auch war – und sie hatte den Traum in Vergessenheit geraten lassen.
Lex trank ihr Wasser aus, drehte das Glas auf dem Abtropfbrett um und schaute aus dem Fenster in die Nacht, ohne wirklich etwas zu sehen. Warum hatte sie diesen Traum aufgegeben? Es war etwas gewesen, das sie sich so lange gewünscht hatte, und es ergab Sinn. Sie kannte sich mit Büchern aus. Sie lagen ihr im Blut. Und mit einem Secondhand-Buchladen musste man nicht mit Bestsellerlisten und Trends Schritt halten und die neuesten, verhassten Autobiografien auf Lager haben. Man stockte auf, was man finden konnte, suchte nach Raritäten und baute sich eine Klientel auf, die Bücher wirklich liebte.
Lex ging zurück in ihr Schlafzimmer und tastete auf dem Nachttisch nach dem Handy. Da waren Nachrichten von Colin, die sie ignorierte und ungeduldig vom Bildschirm wischte, um ihre Bank-App zu öffnen. Sie studierte den Inhalt mit einiger Verärgerung. Sie war noch nie gut im Sparen gewesen, vor allem nicht, seit sie in dieser Wohnung im Zentrum von Boston lebte, wo sie einen guten Teil ihres Gehalts für die Miete hinlegte. Dann gab es Einkäufe, U-Bahn-Fahrten zur Arbeit, Nächte mit Colin …
Sie hatte ein wenig auf die Seite gelegt, aber vier Wochen Abfindung waren nicht viel, und es reichte nicht aus, um ein Unternehmen zu gründen. So viel wusste sie zumindest.
Aber es gab noch andere Möglichkeiten. Sie dachte an ihre Mutter; es ging ihr in den letzten fünfzehn Jahren gut, sie hatte wieder geheiratet, einen wohlhabenden Mann, und sie war in einem schönen Haus mit Swimmingpool in der Vorstadt untergebracht. Sie hatte eine erfolgreiche Karriere und ihr Mann war vernarrt in sie. Sicherlich würden sie die Möglichkeit, in Lex zu investieren und ihr zu helfen, sich selbständig zu machen, nicht ablehnen.
Sie beschloss, ihre Mutter morgen früh anzurufen. Alles, was sie brauchte, war ein wenig Hilfe, um die Dinge in Gang zu bringen, und ihr Traum könnte wieder lebendig werden. Es war nicht viel verlangt – seit dem College hatte sie nie ein Darlehen von der Familie genommen, und sie hatte alles zurückgezahlt, nachdem sie zu arbeiten begonnen hatte. Sie war ein Einzelkind. Welche Eltern würden nicht wollen, dass es ihrem Kind gut ging?
Etwas beruhigter zog sie sich wieder unter die Decke zurück und lächelte in der Dunkelheit vor sich hin. Am Morgen würde sie wieder auf den Weg zurückkehren, auf dem sie die ganze Zeit hätte sein sollen.
„Mama?“, fragte Lex und hielt überrascht das Telefon ans Ohr. „Wie seltsam. Ich wollte dich gerade anrufen!“ Eigentlich hatte sie es aufgeschoben; sie war früh aufgewacht, vor über einer Stunde, und hatte seitdem im Bett gesessen und Artikel auf einer ihrer bevorzugten Nachrichten-Webseiten gelesen. Alles, um das Unvermeidliche zu vermeiden.
„Bilde dir nicht ein, dass es ein Zufall ist, Lex“, sagte ihre Mutter eisig. „Roger hörte von Belinda, dass Carl heute Morgen mit Bryce sprach. Es scheint, dass wir die Letzten waren, die erfahren haben, dass du gefeuert wurdest.“
Lex seufzte. Sie hatte keine Ahnung, wer diese Leute waren, abgesehen von Roger, dem neuen Ehemann ihrer Mutter, aber sie hatte das Gefühl, dass sie, wenn sie das sagen würde, sich eine Lektion anhören müsste, weil sie in der Vergangenheit den Geschichten ihrer Mutter nicht zugehört hatte. Das lief irgendwie nicht so, wie sie sich das Gespräch mit ihrer Mutter vorgestellt hatte. Erst ein paar Sätze waren gefallen und schon hatte sie die Kontrolle über das Gespräch an ihre Mutter verloren. „Ich war gestern Abend müde“, sagte sie. „Ich dachte, ich rufe dich heute an.“
„Was in aller Welt ist passiert?“, rastete ihre Mutter aus. „Belinda war da, um ihr Bedauern auszudrücken und Roger zu sagen, er solle mir ausrichten, dass es nicht das Ende der Welt sei und sie sich sicher sei, dass du wieder auf die Beine kommen würdest. Und wir hatten keine Ahnung. Wie konntest du deinen Job verlieren?“
„Es war nicht meine Schuld“, sagte Lex. Da sie genau wusste, wie sehr sich das nach einer lahmen Ausrede anhörte, warf sie schnell hinterher, bevor ihre Mutter noch ein Wort einlegen konnte. „Bryce sagte, dass die Partner beschlossen haben, vom Sachbuch abzuschwenken. Die Abteilung ist weg, nicht nur ich.“
„Soweit ich weiß, warst du die Abteilung. Hättest du nicht etwas tun können? Du hättest den Verkauf ankurbeln sollen. Haben Sie dir nicht angeboten, in einem anderen Bereich zu arbeiten?“
Lex holte tief Luft und zählte in ihrem Kopf bis zehn. „Es ist vorbei, Mama. Ich habe alles getan, was sie von mir verlangt haben, aber diese Art von Buch verkauft sich nicht besonders gut. Früher waren sie damit einverstanden, aber ich schätze, sie haben ihre Meinung geändert. Ich fragte, wo ich sonst hingehen könnte, und Bryce sagte mir, ich könnte nur zu Prominenten-Autobiografien wechseln. Das war keine Option für mich.“
„Wer hat dich so größenwahnsinnig gemacht, dass du einen perfekten Job ablehnst?“ Lex' Mutter drehte durch, wie Lex es erwartet hatte. Nicht zuletzt, weil sie wusste,