Unsere Heilige Ehre. Джек Марс
Prominenten zu treffen war natürlich immer nervenaufreibend. Aber da war noch mehr. Dass Qassem hier war, bedeutete, dass dieser LKW – oder was auch immer er wirklich sein mochte – wichtig war. Viel wichtiger, als er jemals gedacht hatte.
Qassem humpelte zum LKW-Fahrer herüber. Seine Bodyguards umgaben ihn, während er den Mann umarmte.
„Mein Bruder“, sagte er. „Du bist der Fahrer?“
„Ja.“
„Allah wird dich reich belohnen.“
„Danke, Sayyid“, antwortete er und benutzte dabei den Ehrentitel, der suggerierte, dass Qassem ein direkter Nachkomme von Mohammed selbst war. Er war alles andere als ein frommer Muslim, aber Menschen wie Qassem schienen diese Dinge für wichtig zu halten.
Sie drehten sich gemeinsam um. Die Männer hatten inzwischen die Blechabdeckung des LKW komplett entfernt und das echte Fahrzeug war zum Vorschein gekommen. Der Vorderteil sah größtenteils unverändert aus – die Fahrerkabine einer Sattelzugmaschine, tiefgrün lackiert. Die Ladefläche hatte sich jetzt allerdings in eine flache, zweizylindrische Raketenstartrampe verwandelt. In jedem der beiden Startzylinder befand sich eine große, metallisch silberne Rakete.
Die beiden Teile des LKWs waren getrennt voneinander und wurden von einem Hydrauliksystem sowie zwei Stahlketten auf jeder Seite zusammengehalten. Das erklärte, warum das Fahrzeug so schwierig zu lenken gewesen war – der hintere Teil war gar nicht so fest am Vorderteil befestigt, wie dem Fahrer normalerweise lieb gewesen wäre.
„Transporter und Raketenplattform in einem“, sagte Qassem und verdeutlichte dem Fahrer, was er ihnen gerade geliefert hatte. „Und nur eine von vielen, die der Allmächtige uns beschert hat.“
„Ach so?“, fragte der Fahrer.
Qassem nickte. „Oh, ja.“
„Und die Raketen?“
Qassem lächelte. Er sah glückselig und besonnen aus, wie ein Heiliger. „Äußerst modern. Langstrecke. So präzise wie die besten Raketen der Welt. Stärker als jede, die wir bisher hatten. So Allah will, werden wir unsere Feinde mit diesen Waffen in die Knie zwingen.“
„Israel?“, fragte der Fahrer. Er erstickte fast an diesem Wort. In diesem Moment überkam ihn das Bedürfnis, jetzt sofort den Weg zurück nach Norden einzuschlagen.
Qassem legte eine Hand auf seine Schulter. „Allah ist groß, mein Bruder. Allah ist groß. Schon bald wird alle Welt wissen, wie groß Er wirklich ist.“
Er ging langsam davon und humpelte zur Raketenstartrampe. Der Fahrer beobachtete ihn. Er nahm einen letzten Zug seiner Zigarette, die inzwischen nicht mehr als ein Stummel war. Jetzt fühlte er sich ein wenig besser, ruhiger. Seine Arbeit war getan. Sollten diese Verrückten doch einen weiteren Krieg anzetteln – mit aller Wahrscheinlichkeit würde ihn das im Norden nicht weiter betreffen.
Qassem drehte sich zu ihm um und sah ihn an. „Bruder“, sagte er.
„Ja?“
„Diese Raketen sind ein Geheimnis. Niemand darf von ihnen erfahren.“
Der Fahrer nickte. „Natürlich.“
„Du hast sicher Freunde, eine Familie?“
Er lächelte. „Ja. Eine Frau und drei Kinder. Sie sind noch jung. Meine Mutter ist noch am Leben. Man kennt mich in meinem Dorf und der Umgebung. Seit ich klein bin spiele ich Geige und ich werde ständig nach Vorführungen gefragt.“
Er hielt kurz inne. „Ich habe ein erfülltes Leben.“
Der Sayyid nickte langsam, als wäre er traurig.
„Allah wird dich belohnen.“
Diese Worte gefielen dem Fahrer gar nicht. Es war bereits das zweite Mal, dass Qassem eine Belohnung erwähnt hatte. „Ja. Vielen Dank.“
Die zwei Männer, die Qassem am nächsten standen, nahmen ihre Gewehre von der Schulter. Nur eine Sekunde später hatten sie sie auf den Fahrer gerichtet.
Er konnte sich kaum bewegen. Das alles erschien ihm falsch. Es geschah so schnell. Sein Herz schlug ihm bis zum Halse. Er konnte seine Beine nicht spüren. Oder seine Arme. Selbst seine Lippen waren taub. Er überlegte einen Moment, ob er etwas falsch gemacht hatte. Nichts. Er hatte nichts getan. Alles, was er getan hatte, war diesen LKW hierherzubringen.
Der LKW… war ein Geheimnis.
„Wartet“, sagte er. „Wartet! Ich werde es niemandem sagen.“
Qassem schüttelte seinen Kopf. „Der Allwissende hat deine gute Arbeit gesehen. Er wird dir noch heute Abend die Tore zum Paradies öffnen. Das verspreche ich dir. Ich bete für dich.“
Viel zu spät drehte sich der Fahrer um, um wegzurennen.
Einen Augenblick später hörte er das laute Donnern, als die Gewehre ihr Feuer eröffneten.
Und er erkannte, noch während er zu Boden fiel, dass sein ganzes Leben umsonst gewesen war.
KAPITEL ZWEI
11. Dezember
09:01 Uhr Eastern Standard Time
Das Oval Office
Das Weiße Haus, Washington, D.C.
Susan Hopkins konnte ihren Augen fast nicht trauen.
Sie stand auf dem Teppich im Sitzbereich des Oval Office – die gemütlichen Stühle mit ihren hohen Lehnen waren für die Festlichkeiten heute Morgen entfernt worden. Dreißig Menschen befanden sich mit ihr im Raum. Kurt Kimball und Kat Lopez waren neben ihr, zusammen mit Haley Lawrence, ihrem Verteidigungsminister.
Die gesamte Belegschaft der Residenz des Weißen Hauses war ebenfalls anwesend. Sie hatte darauf bestanden, dass der Koch, seine Küchenhilfen, sowie das Hauspersonal sich unter die anderen eingeladenen Gäste mischen konnten – die Direktoren der National Science Foundation, der NASA und des National Park Service, um nur einige aufzuzählen. Eine Handvoll Nachrichtensprecher waren ebenfalls hier, zusammen mit zwei oder drei ausgewählten Kameraleuten. Außerdem gab es zahlreiche Secret Service Agenten, die die Wände säumten und in der Menge verteilt waren.
Auf einem großen Fernsehbildschirm, der an einer der Wände angebracht war, legte Stephen Lief, ein Mann, den Susan nie persönlich sehen würde, bis ihre Amtszeit vorbei war, gerade den Amtseid als Vizepräsident ab. Stephen war mittleren Alters, hatte eine runde Brille, die ihm ein eulenhaftes Aussehen verlieh und graue, dünne Haare, die bereits vor langer Zeit damit begonnen hatten, sich von seinem Gesicht zurückzuziehen. Sein Körper sah fast aus wie eine Birne, doch der Dreitausend-Dollar-Anzug von Armani mit blauen Nadelstreifen versteckte diese Tatsache ziemlich gut.
Susan kannte Stephen schon seit Langem. Im letzten Wahlkampf wäre er ihr Konkurrent gewesen, wenn Jeff Monroe nicht dazwischengekommen wäre. Früher, als sie noch im Senat tätig war, war er ihr Gegenstück der anderen Partei gewesen. Er war moderat konservativ, größtenteils unauffällig – stur, aber nicht verrückt. Und er war ein echter Gentleman.
Aber er gehörte auch der falschen Partei an und sie hatte harte Kritik aus der liberalen Ecke dafür einstecken müssen. Er stammte aus einer alten, fast schon aristokratischen Familie – seine Vorfahren waren mit der Mayflower nach Amerika gekommen und damit war er nahezu ein Adliger. Früher hatte es geschienen, als hätte er es als sein Geburtsrecht angenommen, Präsident zu werden. Nicht gerade Susans Typ – hochnäsige Aristokraten neigten dazu, den Zugang zum Volk zu verlieren, dem man eigentlich dienen sollte.
Luke Stone war ihr scheinbar ganz schön unter die Haut gegangen, dass sie Stephen Lief überhaupt in Betracht gezogen hatte. Er war Stones Idee gewesen. Zuerst hatte er ihn fast im Scherz vorgeschlagen, während sie in ihrem großen Präsidentenbett gelegen hatten. Sie hatte laut überlegt, wen sie als Vizepräsident auswählen sollte, als er gesagt hatte:
„Warum nicht Stephen Lief?“
Sie hatte fast laut aufgelacht. „Stone! Stephen Lief? Komm schon.“
„Nein, ich meine es ernst“,