Gesicht des Wahnsinns. Блейк Пирс

Gesicht des Wahnsinns - Блейк Пирс


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und ohne es zu merken, hatte Zoe es geschafft, sich mit der Art von Menschen zu umgeben, auf die sie sich verlassen konnte.

      „Okay, setz dich mal auf den Rand der Badewanne“, sagte Dr. Applewhite, führte Zoe in ein weißes, mit Marmor verkleidetes Badezimmer und eilte zu einem Schrank hinüber. Er war voll von verschiedenen Make-up- und Hautpflegeprodukten. Sie zog eine Flasche hervor und gelschüttete etwas vom Inhalt auf ein Wattepad. Es war eine schnelle und geübte Bewegung.

      „Was machst du da?“, fragte Zoe und betrachtete alarmiert die Flasche. Was gerade um sie herum geschah, ging über ihr normales Verständnis hinaus. Sie war nie die Art von Frau gewesen, die versuchte, hübsch auszusehen. Aus Bequemlichkeit ließ sie ihr braunes Haar kurz schneiden, denn ihr ganzes Leben drehte sich um den Job. Es musste praktisch sein. Bequeme, schlichte Kleidung, in der man sich leicht bewegen konnte, flache Schuhe zum Rennen. Ein sauberes Gesicht, denn sie musste immer einsatzfähig sein – und falls es regnete, konnte einem die Wimperntusche in die Augen laufen, wenn man einem Verdächtigen auf den Fersen war. Alles, was mit Make-up zu tun hatte, war ihr fremd, zumindest wenn man von ein paar Experimenten in der Uni absah, die nie gut gelaufen waren.

      „Leg den Kopf zurück und mach die Augen zu“, sagte Dr. Applewhite. Ohne nachzudenken, tat Zoe wie ihr geheißen. Dr. Applewhite war ganze vier Zentimeter kleiner als sie und musste sich nicht weit nach unten beugen, jetzt, wo Zoe auf dem Badewannenrand saß. „Ich mache diese Panda-Augen, die du dir selbst gemalt hast, wieder weg und fange von vorn an. Lass mich raten – du hast sie nicht gleichmäßig hinbekommen, also hast du immer mehr aufgelegt, um das wieder auszugleichen?“

      Zoe nickte, dann erstarrte sie, als sie die Feuchtigkeit des nassen Wattepads auf ihrem geschlossenen Augenlid spürte. „Ich habe Eyeliner dabei“, sagte sie. „Es tut mir leid, dass ich einfach so vorbeigekommen bin. Ich wusste nicht, wen ich sonst um Hilfe bitten sollte.“

      „Mach dir darüber keine Gedanken“, sagte Dr. Applewhite, ihre Stimme war etwas distanziert, weil sie sich konzentrierte. „Ich bin immer für dich da, Zoe. Das weißt du. Jetzt gib mir den Eyeliner.“

      Zoe fummelte in ihrer Tasche herum, um ihn für sie herauszuholen, dann schloss sie wieder gehorsam die Augen. Dr. Applewhites sichere und ruhige Hand strich erneut über ihre beiden Augenlider. Mit leichtem Druck zeichnete sie geübt eine Linie – erst auf das eine und dann auf das andere.

      „So“, sagte Dr. Applewhite und klang dabei ziemlich zufrieden mit sich selbst. „Schau’s dir mal an.“

      Zoe öffnete die Augen und musste im hellen Licht des Badezimmers blinzeln, weil sich ihre Augen erst an die Helligkeit gewöhnen mussten. Sie stand auf, ging zum Badezimmerspiegel und schnappte nach Luft.

      Dr. Applewhite hatte mit der schwarzen Farbe elegante, dünne Linien gezogen, die den Bogen ihres Augenlids entlangliefen und dann an den Rändern ein wenig nach oben gezogen worden waren. Der Lidstrich betonte die Dunkelheit ihrer braunen Augen und setzte sie in Kontrast zu den helleren Farbflecken ihrer Iris. So hatte sich Zoe noch nie zuvor gesehen. Sie sah exotisch aus. Weiblich.

      „Zufrieden?“, fragte Dr. Applewhite. „Ich kann es auch noch verändern, wenn du willst.“

      Zoe nickte und biss sich auf die Lippe. „Sehr zufrieden“, sagte sie.

      „Heute Abend muss wirklich etwas Besonderes sein“, sagte Dr. Applewhite und setzte sich auf den geschlossenen Deckel der Toilette.

      Zoe setzte sich wieder auf den Badewannenrand und hockte dort wie ein Teenager. „Ich gehe auf ein Doppeldate mit John, Shelley und ihrem Mann“, erklärte sie. „Dafür wollte ich mir Mühe geben, gut auszusehen.“

      „Du siehst wunderschön aus“, sagte Dr. Applewhite und deutete auf das dunkelrote Kleid, das Zoe ausgesucht hatte. „So etwas habe ich dich noch nie tragen sehen.“

      Zoe schaute an sich herab. Zuerst hatte sie sich in dem Kleid unwohl gefühlt. Es war tief ausgeschnitten und zeigte ihr Dekolleté. Außerdem lag es eng an ihren Hüften und hatte einen Schlitz im Stoff, der bis zu ihrem Unterschenkel verlief. In den Schuhen hatte sie sich noch unwohler gefühlt, obwohl der Absatz kaum mehr als einen Zentimeter hoch war. Das war alles neu für sie. „Ich wollte ihm zeigen, dass ich auch …“, sie suchte nach einem passenden Wort, „… weiblich sein kann.“

      Dr. Applewhite beugte sich vor und nahm Zoes Hand in ihre. „Das weiß er bereits. John ist schon so lange mit dir zusammen. Du musst dich nicht für ihn ändern.“

      „Ich weiß.“ Zoe zögerte und versuchte, das Gefühl zu beschreiben. „Es ist eher so, dass … ich es will.“

      Dr. Applewhite lächelte, ein breites und ehrliches Lächeln, das in ihren Augen zu beginnen schien und erst danach ihren Mund erreichte. „Es wird ernst mit ihm.“

      Es war keine Frage, aber Zoe fühlte sich trotzdem gezwungen, sie zu beantworten. „Vielleicht. Heute Abend …“ Zoe holte tief Luft. Das war es, was sie wirklich nervös machte, was sie dazu getrieben hatte, sich mehr Mühe mit ihrem Aussehen zu geben. „Heute Abend möchte ich mit ihm reden. Ernsthaft reden. Über unsere Zukunft und darüber, wohin sich die Beziehung entwickelt.“

      Die Augen von Dr. Applewhite, um die deutliche Lachfalten zu erkennen waren, glänzten vor Feuchtigkeit. In letzter Zeit schien das einigen Personen in ihrer Gegenwart zu passieren. Zoe fragte sich, ob die Grippesaison dieses Jahr früher begonnen hatte. „Und was für eine Reaktion erhoffst du dir?“

      Zoe blickte auf ihre abgekauten Fingernägel herab. Sie hatte morgens versucht, etwas Nagellack aufzutragen, aber das hatte nicht gut funktioniert. Letztlich hatte sie alles wieder weggeschrubbt und sich entschlossen, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. „Ich weiß es nicht“, gab sie zu. „Es läuft gut zwischen uns, aber früher oder später muss es entweder weitergehen oder aufhören. Ich habe …“

      Dr. Applewhite ergriff das Wort und vervollständigte den Satz für sie. „Angst?“

      Zoe neigte den Kopf. „Ein bisschen.“

      „Und was ist mit den Zahlen?“, fragte Dr. Applewhite und traf direkt den Kern der Sache, so, wie sie es immer tat. „Weiß er es schon?“

      „Nein“, seufzte Zoe. Die Zahl der Menschen, die von ihrem Geheimnis wussten, ihrer Fähigkeit, überall Zahlen zu sehen, konnte sie an einer Hand abzählen. Shelley, Dr. Monk, Dr. Applewhite und ihr Hausarzt. Diejenigen, die es wissen mussten und diejenigen, die es selbst herausgefunden hatten.

      „Glaubst du, du kannst es ihm sagen?“, fragte Dr. Applewhite sanft.

      Zoe drehte ihre Hände und betrachtete die Linien auf ihren Handflächen. Einige Leute, so wusste sie, glaubten, dass man dort in den Linien und Winkeln das Schicksal ablesen könne. Es war die Art von Denken, der sie vielleicht verfallen wäre, wenn sie denn nunr irgendetwas daran glauben könnte. „Vielleicht“, sagte sie und zeichnete die Linie nach, von der man dachte, sie hätte etwas mit Liebe zu tun. „Das hängt von heute Abend ab.“

      Dr. Applewhite stand abrupt auf und begann, aufzuräumen. Sie beschäftigte sich mit dem Badezimmerschrank, um ihr Gesicht vor Zoe zu verbergen. „Ich hoffe, es geht gut“, sagte sie, ihre Stimme klang seltsam nervös. „Das hoffe ich wirklich.“

      „Danke“, sagte Zoe. „Ich meine, für alles.“

      Zu ihrer Überraschung drehte sich Dr. Applewhite rasch um und zog sie in eine Umarmung. Sie umklammerte Zoe leicht und drückte ihre Schultern. Als sie Zoe losließ, wischte sich Dr. Applewhite über die Augen und stieß Zoe mit einem sanften Schubser in Richtung Tür. „Ich weiß nicht, warum du deine Zeit bei einer alten Frau wie mir vergeudest“, sagte sie. „Du hast eine wichtige Verabredung, zu der du gehen musst. Jetzt geh schon. Geh und amüsiere dich.“

      Innerlich fragte sich Zoe, ob es wohl doch noch Spaß machen würde. Es hing viel vom Ergebnis ihres Gesprächs mit John ab und es war auch eine Chance, einen besseren Eindruck auf Shelleys Mann zu machen, als bei ihrem letzten Treffen.

      Als sie auf die Straße trat und auf ihr Auto zusteuerte, spürte Zoe, wie der Druck auf ihren Schultern lastete. Dazu kam noch ihre Nervosität. Sie dachte fast, sie könnte direkt nach Hause fahren.

      Aber


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