1177 v. Chr.. Eric H. Cline
können wir dann daraus schließen? Der Brief selbst und alle unsere Erkenntnisse zum Aufstand von Aššuwa datieren auf 1430 v. Chr., etwa 200 Jahre vor der Zeit, in der, wie man allgemein annimmt, der Trojanische Krieg stattfand (diesen datiert man in der Regel auf die Zeit zwischen 1250 und 1175 v. Chr.). Natürlich könnten alle diese Dinge, auch das mykenische Schwert mit der akkadischen Inschrift aus Hattuša, einfach eine Reihe von Phänomenen sein, die gar nichts miteinander zu tun haben.
Möglicherweise sind sie aber auch ein Hinweis darauf, dass Krieger aus der bronzezeitlichen Ägäis an der Seite Aššuwas gegen die Hethiter kämpften. Und falls dem so ist, könnte diese Unterstützung in den damaligen Aufzeichnungen der Hethiter und in der literarischen Überlieferung des späteren archaischen und klassischen Griechenlands ihren Niederschlag gefunden haben – nicht direkt als Trojanischer Krieg, sondern als eine Reihe von Schlachten und Überfällen in Anatolien, die man in eine Zeit vor dem Trojanischen Krieg einordnete und die ebenfalls mit Achilleus und anderen Helden der griechischen Mythologie in Verbindung gebracht wurden.67
Die Forschung ist sich heute einig, dass es sogar in Homers Ilias Berichte über Krieger und Ereignisse aus den Jahrhunderten vor der traditionellen Datierung des Trojanischen Krieges auf 1250 v. Chr. gibt. Dazu gehören der Turmschild des Kriegers Ajax – ein Schildtyp, der im 13. Jahrhundert v. Chr. längst von anderen Formen abgelöst worden war – und das »mit Silber beschlagene Schwert« (phasganon bzw. xiphos argyróēlon) verschiedener Helden, eine teure Waffe, wie sie zur Zeit des Trojanischen Krieges ebenfalls schon lange nicht mehr benutzt wurde. Und dann ist da noch die Geschichte von Bellerophon im 6. Gesang der Ilias (v. 178–240). Mit ziemlicher Sicherheit stellt Bellerophon einen prätrojanischen Typus des griechischen Helden dar. Proteus, der König von Tiryns, schickt Bellerophon von Tiryns auf dem griechischen Festland nach Lykien in Anatolien. Nachdem er drei Aufgaben besteht und zahlreiche weitere Hindernisse überwindet, erhält er schließlich sein eigenes Königreich in Anatolien.68
Darüber hinaus erwähnt die Ilias, dass lange vor der Zeit von Achilleus, Agamemnon, Helena und Hektor, nämlich zur Zeit von Priamos’ Vater Laomedon, der griechische Held Herakles Troja eroberte. Dazu brauchte er nur sechs Schiffe (Ilias 5. 638–642):
Welch ein anderer war die hohe Kraft Herakles,
Wie man erzählt, mein Vater, der trotzende, löwenbeherzte:
Welcher auch hierher kam, Laomedons Rosse zu fordern,
Von sechs Schiffen allein und wenigem Volke begleitet,
Aber die Stadt verödet, und leer die Gassen zurückließ!69
Wie ich schon an anderer Stelle erwähnt habe: Wenn man ein historisches Ereignis mit den vorhomerischen Überlieferungen achäischer Krieger, die auf dem anatolischen Festland kämpfen, in Verbindung bringen will, bietet sich der Aufstand von Aššuwa, ca. 1430 v. Chr., geradezu an – zumindest war er eines der größten militärischen Ereignisse im Nordwesten Anatoliens vor dem Trojanischen Krieg und eines der wenigen, für die man die Beteiligung der Mykener (bzw. Achijawaner) zumindest vorläufig durch Textzeugen wie den oben erwähnten hethitischen Brief KUB XXVI 9 nachweisen kann. Insofern kann man sich durchaus fragen, ob es nicht dieser Aufstand war, der die historische Grundlage für zeitgenössische hethitische Geschichten von in Anatolien kämpfenden mykenischen/achijawanischen Kriegern und Söldnern bildete und der Geschichten über militärische Anstrengungen der Achäer in Anatolien zeitigte, die vor dem Trojanischen Krieg stattfanden.70 Genauso kann man sich fragen, ob es der bevorstehende Aufstand war (den man sicherlich eine ganze Zeit lang planen musste), der Aššuwa um 1440 v. Chr. veranlasste, Kontakt zu Thutmosis III. aufzunehmen.
Abschließende Bemerkungen
Die renommierte Kunsthistorikerin Helene Kantor hat einmal gesagt: »Die Beweise, die uns über die Zeit geblieben sind, stellen nur einen Bruchteil dessen dar, was einst existiert haben muss. Jedes importierte Gefäß (…) steht für unzählige weitere, die inzwischen verloren sind.«71 Tatsächlich waren die meisten Güter, die im Warenverkehr hin und her gingen, mit Sicherheit entweder verderblicher Natur (und somit längst verrottet) oder es waren Rohstoffe, aus denen man, wie bereits erwähnt, sofort neue Objekte fertigte, zum Beispiel Waffen und Schmuck. Wir können somit durchaus annehmen, dass der Handel zwischen der Ägäis, Ägypten und dem Nahen Osten in der Bronzezeit auf um ein Vielfaches umfangreicher war, als wir es im Moment auf der Basis archäologischer Ausgrabungen festzustellen vermögen.
Vielleicht können wir in diesen Zusammenhang auch die Malereien im minoischen Stil einordnen, die Manfred Bietak im Palast von Thutmosis III. in Tell el-Dab’a im Nildelta entdeckt hat. Gewiss entstanden sie nicht unbedingt aus der Laune einer minoischen Prinzessin heraus, doch sie sind ein sicherer Beweis dafür, wie weitreichend die internationalen Kontakte, der Handel und die wechselseitigen Einflüsse rund um das Mittelmeer im 15. Jahrhundert v. Chr. waren; sie reichten bis ins minoische Kreta und wieder zurück.
Zusammenfassend können wir jenes Jahrhundert als eine Epoche beschreiben, in der über den gesamten Mittelmeerraum hinweg nachhaltige internationale Verbindungen entstanden, von der Ägäis bis nach Mesopotamien. Die Minoer und Mykener der bronzezeitlichen Ägäis waren zu diesem Zeitpunkt bereits gut etabliert, genau wie die Hethiter in Anatolien. Die Ägypter hatten die Hyksos aus ihrem Land vertrieben, und in Ägypten war mit der 18. Dynastie die Epoche angebrochen, die wir heute das »Neue Reich« nennen.
Doch wie wir weiter unten sehen werden, war dies lediglich der Auftakt zu einem regelrechten »goldenen Zeitalter« des Internationalismus und der Globalisierung im 14. Jahrhundert v. Chr. Als direkte Folge der jahrelangen Feldzüge und diplomatischen Bemühungen Thutmosis’ III., denen die friedlichen Handelsexpeditionen der Hatschepsut vorausgegangen waren,72 war Ägypten beispielsweise bald auf dem Zenit seiner internationalen Macht und erlangte einen Wohlstand, wie man ihn dort kaum jemals (wenn überhaupt) zuvor gekannt hatte. Dadurch etablierte sich Ägypten als eine der Großmächte und blieb dies auch für die restliche späte Bronzezeit, genau wie die Hethiter, die Assyrer und die Kassiten in Babylon, ganz zu schweigen von denen, die in zweiter Reihe agierten, wie Mitanni, die Minoer, die Mykener und die Zyprer. Einige von ihnen werden uns im folgenden Kapitel und auch später noch begegnen.
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