Auferstehung. Лев Толстой

Auferstehung - Лев Толстой


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das bunte Kleid der Matrena Pawlowna aus der Kirche treten und hinter diesem erschien der liebe, kleine Schwarzkopf mit der roten Schleife.

      Katuscha bemerkte ihn sofort, und er sah, daß sie von neuem errötete.

      In der Vorhalle blieb sie stehen, um den Bettlern Almosen zu spenden. Einer der Bettler, ein Unglücklicher, der an der Stelle der Nase eine große, rote Wunde hatte, näherte sich ihr. Sie holte etwas aus ihrem Kleide, trat ohne den geringsten Widerwillen auf ihn zu und küßte ihn dreimal. Während dessen kreuzten sich ihre Augen mit denen Nechludoffs, als wollten sie fragen: »Thue ich recht?« – »Ja, gewiß, Geliebte, alles ist gut und schön; ich liebe dich!«

      Die beiden Frauen gingen die Stufen hinunter, und Nechludoff eilte ihnen entgegen. Er hatte nicht die Absicht, ihnen frohes Fest zu wünschen, konnte aber nicht umhin, sich Katuscha zu nähern.

      »Christ ist erstanden!« sagte Matrena Pawlowna lächelnd; dann wischte sie sich mit ihrem Taschentuch den Mund und hielt dem jungen Mann ihre Wange hin.

      »Er ist in Wahrheit erstanden !« versetzte Nechludoff und küßte sie. Dann warf er einen Blick auf Katuscha, die wieder rot wurde und auf ihn zutrat.

      »Christ ist erstanden, Dimitri Iwanowitsch!« sprach sie.

      »Er ist in Wahrheit erstanden!« entgegnete er. Sie küßten sich zweimal und hielten inne; dann küßten sie sich lächelnd zum drittenmal.

      »Sie gehen nicht zum Priester?« fragte Nechludoff.

      »Nein, wir wollen hier warten, Dimitri Iwanowitsch,« versetzte sie, mühsam sprechend.

      Ihre Brust hob sich im Fieber, und fortwährend sah sie ihn mit ihren schüchternen, unschuldigen und zärtlichen Augen an.

      In der Liebe zwischen Mann und Weib giebt es stets eine Minute, wo diese Liebe ihren höchsten Grad erreicht und nichts Sinnliches oder Ueberlegtes kennt. Diese Minute hatte Nechludoff in dieser Osternacht kennen gelernt. Jetzt, da er im Geschworenenzimmer saß, versuchte er sich an alle Umstände zu erinnern, unter denen er Katuscha gesehen und diese Minute, die wieder vor ihm erstand, löschte alles übrige aus! Ach, wäre er doch bei dem Gefühl geblieben, das er in jener Osternacht empfand.

      »Ja, alles, was sich Schreckliches zwischen uns abgespielt, ist erst nach dieser Osternacht gekommen!« dachte er, als er im Geschworenenzimmer am Fenster saß.

      Als Nechludoff aus der Kirche kam, speiste er mit seinen Tanten. Um sich von seiner Abspannung zu erholen, trank er, wie er es im Regiment gewöhnt war, mehrere Gläser Wein und Schnaps. Dann ging er wieder in sein Zimmer, streckte sich, ohne sich auszuziehen, auf seinem Bett aus und schlief sofort ein. Es klopfte an die Thür, und er erwachte. An der Art des Klopfens erkannte er, daß sie es war. Er sprang vom Bett und rief, sich die Augen reibend:

      »Katuscha, bist du's? Komm herein!«

      Sie öffnete die Thür und sagte:

      »Man ruft Sie zum Frühstück!«

      Sie trug dasselbe weiße Kleid, aber ohne die Schleife in den Haaren. Sie sah ihm in die Augen und ihr Gesicht strahlte, als wenn sie ihm etwas Außerordentliches und Fröhliches mitgeteilt hätte.

      »Ich komme gleich,« versetzte er.

      Sie blieb noch eine Minute, ohne etwas zu sagen, und plötzlich stürzte Nechludoff auf sie zu. Noch in demselben Augenblick drehte sie sich schnell um und entfloh auf den Korridor.

      »Wie dumm von mir, daß ich sie nicht zurückgehalten habe!« sagte sich Nechludoff und verließ das Zimmer, um sie einzuholen.

      »Halt! Katuscha!« rief er ihr zu, und sie drehte sich um.

      »Was giebt's?« fragte sie, und hörte auf zu lächeln.

      »Nichts giebt es, aber...«

      Er beherrschte sich, überlegte sich, wie sich alle Männer seiner Gesellschaftsklasse benehmen würden, und faßte sie um die Taille.

      Sie blieb stehen und sagte, ihm in die Augen sehend, blutrot und dem Weinen nahe:

      »Das ist nicht recht, Dimitri Iwanowitsch; das ist nicht recht!«

      Dann schob sie den Arm, der sie umschlungen hielt, mit ihren kleinen, kräftigen Händen zurück.

      Nechludoff ließ sie los. Er hatte plötzlich eine Empfindung nicht nur der Scham und des Unbehagens, sondern auch des Widerwillens gegen sich selbst. In diesem Moment hätte er an sich glauben können, doch er begriff nicht, daß diese Scham und dieser Widerwille der Ausdruck seiner Seele waren; er bildete sich vielmehr ein, seine Dummheit spräche aus ihm, und es wäre seine Pflicht, wie jeder andere zu handeln.

      Von neuem verfolgte er Katuscha, faßte sie um die Taille und drückte ihr einen Kuß auf den Hals.

      Dieser Kuß hatte mit denen, die er ihr früher gegeben, nichts gemein; sein jetziger Kuß hatte etwas Schreckliches, und das fühlte sie auch.

      »Was thun Sie?« rief sie mit entsetzter Stimme, riß sich los und entfloh, so schnell sie konnte.

      Nechludoff begab sich in das Eßzimmer. Seine Tanten saßen in großer Toilette mit dem Arzt und einer Nachbarin bereits bei Tische. Alles ging wie sonst zu, doch in Nechludoffs Seele grollte der Sturm. Er verstand nicht, was man ihm sagte, antwortete verkehrt, und dachte stets nur an Katuscha. Plötzlich vernahm er ihren Schritt auf dem Gange, und von diesem Augenblick an hörte er nichts weiter mehr. Als sie in den Saal trat, sah er sie nicht an, fühlte aber mit seinen ganzen Wesen ihre Anwesenheit.

      Nach dem Essen ging er gleich wieder in sein Zimmer. Erregt ging er lange auf und ab, und lauschte, in der Erwartung, Katuschas Schritt zu vernehmen, auf das leiseste Geräusch im Hause. Das in ihm lebende Tier hatte nicht nur das Haupt erhoben, sondern das liebende, selbstlose Wesen, das er bei seinem ersten Aufenthalt, und noch am Morgen desselben Tages in der Kirche gewesen war, vollständig unterdrückt. Jetzt herrschte nur noch das Tier in seiner Seele.

      Obwohl er dem jungen Mädchen fortwährend nachspionierte, konnte er sie den ganzen Tag über nicht ein einziges Mal allein sprechen. Sie wich ihm offenbar aus. Gegen Abend aber mußte sie ein Zimmer neben dem seinigen betreten. Der Arzt wollte bis zum nächsten Morgen bleiben, und Katuscha hatte den Auftrag erhalten, ein Zimmer für ihn für die Nacht herzurichten. Als Nechludoff ihre Schritte vernahm, schlich er geräuschlos und den Atem anhaltend, als wolle er ein Verbrechen begehen, in das Zimmer, in das sie hineingegangen war.

      Katuscha hatte die beiden Hände in einen Ueberzug gesteckt und wollte eben ein Kissen hineindrücken, als sie hörte, wie die Thür sich öffnete. Sie wandte sich nach Nechludoff um und lächelte ihm zu, doch das war nicht mehr ihr vertrauensvolles und fröhliches Lächeln von früher, das war ein klägliches, entsetztes Lächeln. Es schien Nechludoff zu sagen, daß das, was er that, schlecht war, und daß er es nicht thun durfte. Und tatsächlich hielt Nechludoff einen Augenblick inne; der Kampf der beiden Männer in ihm entspann sich von neuem. Zum letztenmal hörte er, aber nur schwach, die Stimme seiner aufrichtigen Liebe zu ihr, die ihm von ihr, ihren Gefühlen und ihrem Leben sprach. Doch sofort sagte ihm eine andere Stimme: »Gieb acht; du wirst dir dein Vergnügen entgehen lassen!« Diese erste Stimme erstickte die andere. Entschlossen schritt er auf das junge Mädchen zu, und ein bestialisches, unwiderstehliches Gefühl bemächtigte sich seiner.

      »Dimitri Iwanowitsch, mein Liebling, lassen Sie mich bitte,« sagte sie mit flehender Stimme. »Matrena Pawlowna kommt!« fügte sie, sich losreißend, hinzu.


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