Welcome to Borderland. Jeanette Erazo Heufelder

Welcome to Borderland - Jeanette Erazo Heufelder


Скачать книгу
Schmuggel zu unterbinden.16 Als 1833 Antonio López de Santa Anna an die Macht kam, wurde die föderale mexikanische Verfassung von 1824 durch eine zentralistische diktatorischer Prägung ersetzt. Die zu reinen Verwaltungseinheiten geschrumpften Bundesstaaten unterstanden fortan dem Militär. Den Aufständen im Land begegnete Santa Anna mit Gewalt. In Texas aber standen die Zeichen längst auf Abspaltung. Moses Austins Sohn Stephen tourte durch die Vereinigten Staaten, um Spendengelder für die Sache texanischer Föderalisten zu sammeln. »In Texas herrscht Krieg«, begann er jede seiner Reden und zeichnete dann ein Bild des Landes, wo vor Ankunft der angloamerikanischen Siedler alles wild, unzivilisiert und gefährlich war, besiedelt nur von Comanchen und anderen Indianerstämmen, die sich im ständigen Krieg mit Spanien befanden. In Louisville, New Orleans, Philadelphia und New York – überall hielt er sich an die genau einstudierte Choreographie seiner Rede: Die Mexikaner wären niemals Herr der Lage geworden. Deshalb hätten sie die Grenze für angloamerikanische Siedler geöffnet, damit die ihnen das Indianerproblem vom Hals schafften.17

      Mit diesem texanischen Gründungsmythos konnte Stephen Austin viel Sympathien gewinnen. Zeitungen berichteten vom Freiheitskampf der Texaner, Pamphlete und Broschüren verbreiteten ihre Sichtweise, Bücher über die Geschichte der texanischen Revolution wurden gedruckt und fanden reißenden Absatz. Am Ende war jeder amerikanische Leser davon überzeugt, dass Mexiko die amerikanischen Siedler nur deshalb ins Land gelassen hätte, weil es allein nicht mit den Indianern fertig wurde.18 Was 1833 als Kampf zur Wiederherstellung der föderalen Verfassung begann, gipfelte 1836 in den Schlachten von Alamo und Goliad und der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der Provinz Texas. Mexiko sollte diese unabhängige texanische Republik offiziell zwar nie anerkennen. Dennoch verlief nun am Nueces-River eine De-Facto-Außengrenze. Santa Annas harte Linie hatte auch mexikanische Föderalisten ins Lager der Separatisten getrieben, die 1839 die Abspaltung der nächsten Republik im Schilde führten. Wie schon Gutiérrez de Lara stammten auch die Führer dieser Bewegung aus Revilla. Sie vertrieben Santa Annas Soldaten aus Mier und riefen die »Republik Rio Grande« aus, die die mexikanischen Provinzen Nuevo León, Coahuila und Tamaulipas umfassen sollte.

      Unentwegt brandeten Kämpfe auf. Zeitweise konnten die Föderalisten die Kontrolle über einzelne Gemeinden gewinnen, doch den endgültigen Ausgang entschieden die Zentralisten für sich. Im Oktober 1840 war die Rebellion zwar gescheitert, aber es kehrte trotzdem noch keine Ruhe ein. Denn nun mehrten sich Gerüchte, die USA bereiteten die Annexion der Republik Texas vor. Mit überraschenden Angriffen auf texanische Städte lieferte Mexikos Regierung kleine Kostproben davon, was die Vereinigten Staaten im Fall einer Annexion zu erwarten hätten. Diese ständigen mexikanischen Nadelstiche wurden irgendwann zu viel, und die Texaner organisierten mit dem Segen von Gouverneur Sam Houston eine militärische Strafexpedition. Viele der siebenhundert Freiwilligen, die teilnahmen, hatten allerdings keinerlei militärische Erfahrung und kehrten bald wieder um. Der Rest zog marodierend durch die am südlichen Ufer des Rio Grande gelegenen Gemeinden. In Mier kam es zum Zusammenstoß mit der mexikanischen Armee. Mehr Aufmerksamkeit als die Schlacht, die die Texaner verloren, zog das Nachspiel auf sich. Denn während der Überführung von Mier nach Mexiko-Stadt gelang noch in Tamaulipas, bei Salado, zweihundert texanischen Gefangenen die gemeinsame Flucht. 176 Männer wurden wieder gefasst. Präsident Santa Anna rückte zum ersten Mal ab von seinem Prinzip, keine Gefangenen zu machen. Nur jeder Zehnte sollte exekutiert werden. Das Los entschied. In einem Topf wurden 159 weiße und siebzehn schwarzbraune Pintobohnen abgezählt. Wer eine dunkle Bohne zog, wurde erschossen.

       Krieg und Vorsehung 1846–1848

      »Wer kennt sie nicht – die widerliche Geschichte dieser nutzlosen, brutalen Massenmorde, die nur dem Zweck dienten, den feigen Hunger einer bösartigen Nation zu stillen« – so floss es aus der Feder Walt Whitmans.19 Der leyenda negra, der mit der Eroberung der lateinamerikanischen Kolonien entstandenen schwarzen Legende zufolge waren Spanier brutale, fanatische und menschenverachtende Bestien. Dieses Geschichtsbild übertrug der amerikanische Dichter auf das Mexiko seiner Zeit. Dort herrsche die gleiche Finsternis wie in der Alten Welt, wo die europäischen Herrscher nach der französischen Revolution 1789 die Uhren wieder zurückgedreht hatten. Entsprechend begann Amerika in der eigenen Emanzipationsgeschichte eine Mission zu sehen. Der Zeitungsgrün der und Journalist John L. O’Sullivan prägte dafür Mitte der 1840er Jahre das Schlagwort von der manifest destiny, mit dem die Expansion der USA als ein Werk der Vorsehung idealisiert wurde. Whitman teilte mit O’Sullivan die Überzeugung, dass eine Expansion Amerikas zum Besten der Welt geschah, »insofern das Land und seine Regierungen den Menschen die Fesseln entfernen, die sie an der Möglichkeit hindern, gleichermaßen glücklich und gut zu sein – denn die meisten Regierungen heute sind so konstruiert, dass die Tendenz meist in die andere Richtung geht.«20

      Die amerikanischen Präsidenten waren dem Grundsatz treu geblieben, die weitere Ausdehnung der Vereinigten Staaten unter kaufmännischen Gesichtspunkten zu verfolgen. 1845 aber kam mit James K. Polk zum ersten Mal in den USA ein Politiker an die Macht, der die Expansion nach Westen auch militärisch durchsetzen wollte. Mit der Begründung, Mexiko habe sich immer wieder in die inneren Angelegenheiten von Texas eingemischt, wurde im Jahr von Polks Amtsantritt die Annexion der Republik Texas beschlossen. Der Kongress hatte schon im Februar dem Beitritt zugestimmt. Zwar warnte Mexiko noch einmal, dass es einen solchen Übergriff nicht tatenlos hinnehmen würde. Doch die öffentliche Meinung in den USA war auf Seiten der Texaner. Texas hätte sich seine Unabhängigkeit rechtmäßig unter großen Opfern erkämpft. Das sei ein wahrhaftigeres Recht als ein von Spanien ererbter Titel, schrieb O’Sullivan im Sommer 1845 in der Democratic Review, deren Herausgeber er war. Texas, fuhr er fort, fiele unter die geheiligte Bestimmung Amerikas. Denn das Land erlebe ständig Einmischungen, mit dem erklärten Zweck, »die Erfüllung unserer offensichtlichen Bestimmung zu behindern, die uns von der göttlichen Vorsehung zugeteilt wurde: die Bestimmung, den ganzen Kontinent zu umspannen, damit Millionen sich frei entwickeln können.«21

      O’Sullivan beschrieb die bevorstehende Eroberung als Teil eines göttlichen Plans. In der Democratic Review tönte er: »Wir sind überzeugt, dass Mexiko dazu bestimmt ist, in Zukunft ein integraler Bestandteil dieser Vereinigten Staaten zu werden.«22Als friedliche Mission im Dienste gutnachbarschaftlicher Beziehungen wurde auf amerikanischer Seite die Reise des demokratischen Gesandten John Slidell in die mexikanische Hauptstadt dargestellt. Immerhin stellte Slidell keine Forderungen an Mexiko, sondern machte dem Land ein 50 Millionen-Dollar-Angebot. Dass es in dem Moment unterbreitet wurde, in dem Texas den Vereinigten Staaten beitrat, empfand Mexikos Regierung als Affront. Denn die 50 Millionen waren der Preis, den die USA ihnen für Kalifornien boten. Die mexikanische Regierung weigerte sich, Slidell zu empfangen. Daraufhin ließ Polk die Regimenter, die sich bereits an der Südgrenze von Texas am Nueces River in Corpus Christi befanden, ans nördliche Ufer des Rio Grande verlegen, 160 Kilometer landeinwärts auf mexikanisches Territorium.

      Selbst der Kongress in Washington war irritiert. Wollte Polk die Abtretung Kaliforniens erzwingen?23 In einem Punkt allerdings waren sich alle einig: Mexiko würde keinen Krieg mit den USA riskieren. Seit seiner Unabhängigkeit hatte das Land mit innenpolitischen Problemen zu kämpfen. Beinahe jährlich wechselten die Staatspräsidenten, und nur einer hatte in vierundzwanzig Jahren Unabhängigkeit die volle Amtszeit durchgehalten. Kein Regierungschef ließe sich unter diesen Umständen auf einen Krieg mit den Vereinigten Staaten ein. Griffe Mexiko aber nicht an, bestünde auch keine Kriegsgefahr, denn die USA waren kein Aggressor. Doch dann standen sich im März 1846 am Rio Grande plötzlich auf jeder Seite 6000 Soldaten gegenüber. Amerikaner – so wiederholte es die Times in diesen entscheidenden Tagen – Amerikaner würden nie einen Angriffskrieg gegen Mexiko führen.24 Polk hatte sich längst Gedanken gemacht, wie sich der Kongress von der Rechtmäßigkeit dieses Krieges doch noch überzeugen ließe. Ohne dessen Zustimmung nämlich konnte er keinen Krieg erklären. Dann jedoch machte Mexiko diese Zustimmung überflüssig und eröffnete das Feuer. »Es herrscht Krieg«, informierte Polk den Kongress jetzt nur noch über seinen nächsten Schritt. Denn: »Mexikaner haben auf amerikanischem Boden amerikanisches Blut vergossen.«

      Die beiden früheren Präsidenten


Скачать книгу