Welcome to Borderland. Jeanette Erazo Heufelder

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gefolgt und hätte in ihrem Verlangen nach zusätzlichem Land das Recht außer Acht gelassen, schrieb hingegen Ulysses Grant in seinen Memoiren. Der zweifache US-amerikanische Präsident und Held des amerikanischen Bürgerkriegs hatte als junger Leutnant im 3. Infanterieregiment unter General Taylor am mexikanischen Krieg teilgenommen. In seinen Memoiren bezeichnet er diesen Krieg als einen der ungerechtesten, der je von einer stärkeren Nation gegen eine schwächere geführt worden sei. »Auch wenn die Annektierung an sich gerechtfertigt gewesen sein sollte, die Art und Weise, wie sie geschah, war es nicht.« Mit der Kriegserklärung an Mexiko, die mit der Annexion von Texas begann, hätte zugleich auch der unvermeidliche Konflikt der Südstaaten-Rebellion seinen Anfang genommen. »Wie Individuen werden auch Nationen für Verstöße bestraft«, schrieb Grant. »Wir erhielten unsere Strafe in Gestalt des blutigsten und teuersten Kriegs der Moderne.«37

      Mit der Annektierung der neu hinzugekommenen Gebiete nämlich flammte 1848 die Sklavenfrage im Kongress wieder auf. Um ein Gleichgewicht zwischen freien Staaten und Sklavenstaaten herzustellen, waren 1820 Sklavenhaltung und Aufnahme von neuen Staaten im sogenannten Kompromiss von Missouri geregelt worden: Nördlich der Kompromisslinie wurde (mit Ausnahme Missouris) die Sklaverei verboten, südlich dieser Linie erlaubt. Durch die neu hinzugewonnenen Gebiete verschob sich 1848 dieses Gleichgewicht zugunsten der Sklavenstaaten im Süden. Deshalb wurde 1850 wieder nach einem Kompromiss gesucht. Jetzt fand man ihn in folgender Lösung: Kalifornien trat, obwohl südlich der Kompromisslinie gelegen, den freien Staaten bei. Der Sklavenstaat Texas verzichtete gegen eine Entschädigung auf sein Gebiet westlich des Rio Grande, das dem New-Mexico-Territorium zufiel, welches für Sklaverei offen gehalten wurde – wie das aus der gleichen mexikanischen Provinzmasse Sonora gebildete Utah-Territorium. Sobald beide Territorien mehr als 60.000 Einwohner hätten und eigene Verfassungen ausarbeiteten, sollten die Bürger entscheiden, ob ihr neuer Staat den freien oder den Sklavenstaaten in der Union beitrat. Aus Sicht der Südstaaten hatte sich der Krieg mit Mexiko nicht gelohnt, da er zu einer verhältnismäßig geringen Ausdehnung von Sklavenstaaten geführt hatte. Somit verabschiedeten sich die Südstaaten-Sklavenhalter von der Idee, dass sich ihre Interessen durch Expansion durchsetzen ließen. Sie begannen stattdessen, die Möglichkeiten einer Sezession auszuloten. »Mexico will poison us« – der Satz des amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson war auf die Sklavenfrage gemünzt. Emerson prophezeite, die Vereinigten Staaten würden zwar Mexiko erobern, dabei aber einem Mann ähneln, der durch das Arsen, das er schluckte, umkam.38

      »Mexikaner sind nicht besser als Indianer«, meldete sich im Senat der Texaner Sam Houston zu Wort.39 »Mexikaner sind Indianer«, schrieb auch die New York Evening Post. »Der Anteil europäischen Blutes – welches auch immer es ist – wurde ihnen nicht nur auf höchst illegitime Art und Weise beigemischt, sondern auch, wie wir sehen, nicht in solchem Maße, dass es den Charakter der Bevölkerung beeinflusst hätte.«40 Der missionarische Erneuerungsgedanke der manifest destiny hatte sich im Verlauf des Krieges von der Vorstellung gelöst, dass er auf das mexikanische Volk anwendbar sei.41 »Mexiko besitzt nicht die Fähigkeit, unabhängig zu existieren. Es hat dies nie versucht. Es wird ihm auch nie gelingen, unabhängig neben uns zu existieren. Das ist von der Vorsehung so bestimmt und es wäre eine Torheit, diese Tatsache nicht zu akzeptieren. Mexikaner sind indianische Ureinwohner und müssen das Schicksal ihrer Rasse teilen.«42 Nach Sklaven und Indianern wurden nun auch die in den annektierten Territorien lebenden Mexikaner an den gesellschaftlichen Rand gedrängt.

      Das war politisch durchaus beabsichtigt, wie sich im Friedensvertrag von Guadalupe Hidalgo 1848 gezeigt hatte. Im Vertragsprotokoll waren den Mexikanern noch die vollen Bürger- und Eigentumsrechte zugesagt worden. Nachdem der Vertrag den Senat passiert hatte, war der entsprechende Passus gestrichen. Wenn nicht einmal freie Angloafrikaner Bürgerrechte besaßen, warum sie Mexikanern geben? Die Eintragung des mexikanischen Grundbesitzes hing nun von einem Verfahren ab, bei dem die Mexikaner weder die Regeln noch die Sprache beherrschten.43 Es waren vor allem ärmere Mexikaner, die den USA den Rücken kehrten, weil sie angesichts ihrer unsicheren Rechtslage Enteignungen befürchten mussten – oder sogar Sklaverei, wie sie in den neu annektierten Gebieten von den Südstaaten zu diesem Zeitpunkt auch für Mexikaner in Erwägung gezogen wurde. So empfahl unter anderem der aus einer Südstaaten-Sklavenhalter-Familie stammende William A. Emory, Leiter der US-amerikanischen Grenzziehungskommission, der amerikanischen Regierung die gemischtgeschlechtliche Einführung der weißen Rasse auf dem annektierten Territorium, weil sich dadurch die Einhaltung der Moral garantieren und die unterlegene mexikanische Rasse versklaven oder gleich ganz auslöschen ließe.44

       Landraub und Gadsden-Kauf

      Auf den annektierten Territorien wurden ehemals mexikanische zügig in typisch amerikanische Städte ummodelliert.45 Denn durch die neuen Grundrisse und amerikanischen Maßeinheiten hatten mexikanische Grund- und Bodenbesitzer Schwierigkeiten, die Größe ihrer Grundstücke nachzuweisen. In ganz New Mexico zum Beispiel erhielten nur sechs Prozent aller mexikanischen Antragssteller die Grundbucheinträge notariell bestätigt. Der Großteil des Landes fiel dem Staat zu, der es an Privatpersonen und Kooperativen verkaufte. Russell Bartlett, der Leiter der US-amerikanischen Grenzziehungskommission, der aufgrund seiner Mexiko-freundlichen Haltung 1853 durch William A. Emory ersetzt wurde, wies 1854 darauf hin, dass Landplünderungen gängige Praxis waren. Besonders beliebt sei die Enteignung mexikanischen Landbesitzes mithilfe sogenannter Texas head-rights: vom Staat Texas ausgestellte Landzertifikate an Personen, die sich um Texas verdient gemacht hätten; also praktisch jeder, der am Krieg teilgenommen hatte. Solche Head-rights wurden in Texas relativ umstandslos ausgestellt und waren begehrt. Denn wer so ein Zertifikat besaß, konnte sich überall – auch außerhalb von Texas – ein Stück Land aussuchen, sofern nicht schon jemand einen Anspruch darauf angemeldet hatte. Und immer hätten sich die Head-rights-Besitzer ein Stück Land ausgesucht, das seit einem Jahrhundert im Besitz von Nachkommen spanischer Siedler war, so Bartlett in seinem Bericht. Und er fuhr fort: »Letztere haben, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und manchmal auch, weil sie um ihr Leben fürchteten, ihre Häuser verlassen und auf der mexikanischen Seite des Flusses Schutz gesucht.«46

      In Kalifornien ›löste‹ die Regierung das Landproblem durch die Verabschiedung des Land Act, der einer De-Facto-Enteignung von mexikanischstämmigen Landbesitzern gleichkam. An die tausend rancheros verloren durch das 1851 verabschiedete Gesetz ihr Land.47 Mexikanischen Minenbesitzern wurden Steuern auferlegt, so dass sie nicht mehr konkurrenzfähig waren. 1848 war noch vor Unterzeichnung des Guadalupe-Hidalgo-Vertrags Gold entdeckt worden. Die Funde zogen allein in den ersten drei Jahren 210.000 neue Siedler an, die die alten Besitzer von ihrem Land zu verdrängen begannen. Die mussten sich die Rechtmäßigkeit ihrer Titel vom Landkommissionsgericht bestätigen lassen. Wurde gegen eine erfolgreiche Bestätigung Widerspruch eingelegt, wanderte der Fall an das Bezirksgericht weiter. Meistens wurde erst in der letzten Instanz, im Supreme Court, über jeden Einzelfall ein rechtskräftiges Urteil gefällt. Denn die Siedler, die während des Goldrausches nach Kalifornien strömten, hatten schnell begriffen, was sie tun mussten, um billig an Land zu kommen. Sie besetzten es und klagten dann jahrelang gegen die eigentlichen Eigentümer, die irgendwann resigniert aufgeben mussten, weil die Prozesskosten zu hoch waren.48 Sie hatten keine Chance, ihre Besitzansprüche gegen die in das Land einfallenden Goldsucher, Glücksritter und Siedler durchzusetzen. Deshalb flogen Banditen, die angelsächsische Siedler überfielen, ihre Farmen ausraubten und Pferde sowie Rinder stahlen, die Sympathien der mexikanischstämmigen Bevölkerung zu. In ihren Augen leisteten sie die einzig mögliche Form von Widerstand. Sie holten sich zurück, was ihnen geraubt worden war. Doch waren die mit Legenden ausgeschmückten Biographien einer Handvoll Männer weder exemplarisch für das weitere Schicksal der mexikanischstämmigen Bevölkerung, noch hatte ihr Sozialbanditentum eine Verbesserung der allgemeinen Situation zur Folge, die durch Diskriminierung, Rassismus und Ausbeutung gezeichnet blieb.

      Die Tinte des ratifizierten Vertrags war noch nicht trocken, als die mexikanische Regierung eine Repatriierungskampagne startete. Ihr war gedämmert, dass inzwischen die Existenz des nationalstaatlichen Projekts insgesamt auf dem Spiel stand, das von Anfang an auf


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