Schlangentanz. Patrick Marnham

Schlangentanz - Patrick Marnham


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das Leben von Mensch und Tier über Tausende von Quadratkilometern, indem er für Wasser und fruchtbares Weideland sorgt. Als Warburg zwischen Mesa Verde und dem Rio Grande reiste, hat er sicherlich die Treppen der mesas erklommen, die natürliche Aussichtsplattformen bilden. Im Osten reihen sich mehrere Kratergipfel aneinander. Die höchsten von ihnen sind über 4000 Meter hoch und tragen Namen wie Angel Fire, Hermit Elk und Agua Fria. Schauten die Talbewohner bei Sonnenuntergang zu diesen schneebedeckten Gipfeln hinüber, sahen sie, wie sie sich im letzten Abendlicht rot färbten, und deswegen gaben sie ihnen den Namen Sangre de Cristo – Blut Christi.

      Eine der westlichen mesas, an denen Warburg vorbeikam, hieß Los Alamos. Dort gab es damals nichts außer einer kleinen Ranch, die ein paar Jahre zuvor von Siedlern aus dem Osten abgesteckt worden war. Im Süden von Los Alamos liegt ein langgezogenes, abfallendes Plateau namens Pajarito, das aus weichem Bimsstein oder Tuff besteht, ursprünglich also aus Vulkanasche. Es bildet einen scharfen Kontrast zu den schwarzen Basaltschichten, den Überresten eines früheren Ausbruchs, die ein deutlich härteres Gestein bilden, das Ablagerungen von Obsidian enthält, einem vulkanischen Glas. Die Hochebene zwischen dem Colorado und dem Rio Grande ist eine Art Laboratorium der menschlichen Evolution und der geologischen Gegebenheiten, die diese ermöglichten. Warburg befand sich in einer Gegend, die bereits deutlich früher besiedelt war als das klassische Griechenland.

      Die Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner kamen vermutlich aus China oder sogar aus Japan. Als das Eis schmolz, zogen sie durch Nordasien, überquerten die Beringstraße und wandten sich dann nach Süden, hinein in einen unbewohnten Kontinent. Diese Menschen waren Jäger, die langsam und stetig den Wanderbewegungen der Herden folgten, von denen sie sich ernährten. Sie nutzten Speere und Bogen zum Töten, sie hatten eventuell Pferde und sicherlich Hunde. 1895 sah Warburg dieselbe Landschaft, die diese Nomaden erblickten, als sie den 37. Breitengrad erreichten und nach New Mexico zogen. Nur dreißig Jahre vor Warburgs Ankunft nutzten deren Nachkommen, die Prärie-Indianer, noch immer die gleichen Waffen zur Büffeljagd – Tiere, die sie mit Nahrung, Kleidung, Wetterschutz und manchmal sogar mit Brennstoff versorgten. Von den prähistorischen Herden waren nur noch Büffel und Hirsche übriggeblieben. Ursprünglich hatte die Jagdbeute viele inzwischen ausgestorbene Arten umfasst: Riesenbüffel mit einer Hornspannweite von zwei Metern, Riesenbiber und -elche, Kamele, Moschusochsen und Wollmammuts. Die meisten von ihnen wurden durch die Jagd ausgerottet, und dementsprechend sank auch die Zahl der Menschen.

      Man weiß nicht genau, aufgrund welcher Veränderungen sich die jagenden Stämme in größeren Gemeinschaften zusammentaten und begannen, sich von der Landwirtschaft zu ernähren; doch wo es genügend Wasser gab, Tuff und fruchtbaren Boden, herrschten günstige Bedingungen. Das Pajarito-Plateau, das an eine Felswand, den Frijoles Canyon, grenzt, erfüllte alle drei Voraussetzungen und hatte dazu noch den weiteren Vorteil einer gut zu verteidigenden Lage. Aus Obsidian ließen sich wertvolle Werkzeuge herstellen, mit denen man handeln und Höhlen aus dem weichen Bimssteinfels schlagen konnte. Die Erde des Canyons ist fruchtbar, und ein Bach bewässert die Hochebene. Er führt das ganze Jahr über Wasser und schwillt auf seinem Weg in den Rio Grande immer mehr an, bis er sich schließlich über spektakuläre Wasserfälle in ihn hinabstürzt. An dieser Stelle entdeckte Adolph Bandelier fünfzehn Jahre vor Warburgs Ankunft Überreste einer Siedlung, die einst mehr als 2400 Wohnstätten umfasst hatte. Die heutigen Pueblo-Indianer nennen die Menschen, die dort wohnten, die »Anasazi«, das bedeutet »die Urahnen« oder »die Menschen, die nicht wir sind«. Sie pflanzten Bohnen, Mais und Kürbis an und bewässerten die Felder im Winter, doch weil der durchschnittliche jährliche Niederschlag lediglich knapp vierzig Zentimeter betrug, war der Regen im Sommer überlebenswichtig. Sie kannten sich aus mit Regen. Der Blitz, der den Wald durch Feuer lichtete, brachte auch Wind und Wasser. Der Blitz, der töten konnte, brachte auch Leben. Ohne den Blitz würden sie sterben.

      Die Anasazi stammten von Völkern ab, die sich mitten im Gebiet der Four Corners, in der Nähe von Mesa Verde niedergelassen hatten. Sie hatten den Frijoles Canyon über die Bergpässe aus dem Südosten erreicht. Nach und nach errichteten und befestigten sie ihre Siedlungen; in der größten gab es schließlich mehr als tausend Räume. Die Art der Anlage von Frijoles, das heute Bandelier genannt wird, lässt vermuten, dass sich die Menschen in Zeiten von Gefahren hierher zurückziehen konnten, etwa im Winter, wenn die Vorräte zur Neige gingen und nomadisierende Jäger angriffen, um ihre Speicher zu plündern. Den Mittelpunkt ihrer Dörfer bildeten kivas. Die genaue Bestimmung der unterirdischen Zeremonienräume der Anasazi ist nicht bekannt, aber es ist deutlich zu erkennen, dass in ihnen komplexe religiöse Rituale stattfanden. Die Religion regelte nicht nur den Umgang der Anasazi untereinander, sie ermöglichte es ihnen auch, sich zu organisieren, miteinander zu kooperieren und schließlich eine Gesellschaft zu entwickeln, die Hunderte von Jahren florierte.

      Die Wand einer kiva in Bandelier ist mit einem schwarzen Zickzackmuster bemalt, das im gesamten Südwesten ebenso wie in den Ruinen der Azteken und Maya in Mexiko und Guatemala vorkommt. Dieses Muster symbolisiert die Gefiederte Schlange, den Schlangengott, der sich wie ein Blitz bewegt und in Form eines Blitzes dargestellt wird, die Schlange, die Leben bringt, weil sie für Wasser steht.

      Die Anasazi lebten ungefähr bis 1600 im Frijoles Canyon. Dann erreichten die spanischen Eroberer den heutigen Staat New Mexico. In den nächsten dreihundert Jahren sollte hier ein blutiger nachsteinzeitlicher Kampf zwischen vier Parteien ausgetragen werden: den nomadischen Prärie-Indianern, den Pueblo-Indianern, den spanischen Kolonialisten und schließlich den Anglos aus dem Norden. Das ist die Geschichte, die sich in dieser gewaltigen geologischen Szenerie abgespielt hat, und Warburg traf kurz nach dem endgültigen Ende der Kämpfe dort ein.

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