Schlangentanz. Patrick Marnham

Schlangentanz - Patrick Marnham


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nicht immer Mitglieder der herrschenden Klasse. Nicht selten werden sie wegen ihres Aussehens von Polizisten angehalten und beschuldigt, illegal eingewandert oder schlicht »in mexikanischem Zustand« (Driving While Mexican) gefahren zu sein.

      Die Geschichte hat erst den Ureinwohnern übel mitgespielt, als ihnen ihr Land geraubt wurde, und dann den Hispanics, als die Anglos, meist protestantische Siedler aus dem Osten, alles eroberten, was ihnen in die Quere kam, und in New Mexico fortan das Sagen hatten. Vor allem der Vertrag von Guadalupe Hidalgo verbittert die Hispanics noch heute. Mit diesem Übereinkommen wurde 1848 der Mexikanisch-Amerikanische Krieg beendet und die Hälfte des mexikanischen Territoriums, darunter auch New Mexico, an Washington abgetreten. Nur fünfundzwanzig Jahre lang herrschte Mexiko über New Mexico, dessen Einwohner sich kulturell am stärksten Spanien zugehörig fühlten. Sie sprachen weiterhin Spanisch, blieben dem katholischen Glauben treu und nannten sich selber Hispanics. Doch in Washington diskriminierte man sie als »Farbige«.7 In den Augen Gottes waren Schwache weniger wert – sie mussten sich anpassen oder sterben. So war der Tag im Jahr 1821, an dem Mexiko seine Unabhängigkeit von Spanien erklärte, ein schwarzer Tag für die Hispanics von New Mexico.

      Wenn man der Interstate 25 in nördlicher Richtung folgt, erreicht man bald den Pueblo San Felipe. Die Spanier nannten diese Straße Camino Real – die Königliche Straße –, da sie zurück ins spanische Königreich führt. Von San Felipe taucht heute zuerst ein Betonturm auf und dann ein blinkendes Neonschild: »Willkommen im Pueblo San Felipe. Gratisspiele. Megakasino. Spiel mit!« Die San Felipe haben mittlerweile, ebenso wie andere Pueblo-Indianer, das Recht, Kasinos zu betreiben. Die Manager sind Profis aus New Jersey, die Spieler Rentner aus New Mexico, und die San Felipe streichen entspannt den Profit ein. Auf dem Parkplatz des Kasinos stehen lauter schwere Autos, und drinnen bewegen sich deren Fahrer nicht mehr paarweise, sondern einzeln, langsam und so würdevoll als möglich auf ihre Lieblingsautomaten zu. Sobald sie ihr Ziel erreicht haben, klettern sie auf den Hocker, starren auf die blinkenden Lichter, werfen Münzen in den Schlitz und ziehen an den Hebeln. In der wirklichen Welt scheint grell die Sonne. Im Kasino gibt es kein Tageslicht. Die Eingangstüren sind aus Rauchglas. Hier kann man sich immer vormachen, zu einer extravaganten Stunde – drei Uhr morgens zum Beispiel – unterwegs zu sein. Tatsächlich ist das Frühstück erst eine halbe Stunde her, und das Spielen hat begonnen. Voneinander getrennt durch einen genau bemessenen Abstand zwischen den Automaten, ohne jeglichen sozialen Kontakt, ohne die Möglichkeit, einen freundlichen Blick auszutauschen, glotzen die Spieler in das sich drehende Innere der Maschinen. Während die Automaten ihre Ersparnisse verschlingen, kneifen die Damen die Augen zusammen, als wollten sie sagen: »Komm schon. Noch bin ich nicht blank.« Ihre Ehemänner sitzen vorgebeugt mit hochgezogenen Schultern da, als würden sie gerade in einem wahnwitzigen Kavallerieangriff die Armutsgrenze stürmen.

      In regelmäßigen Abständen hört man es klirren und scheppern; dann gibt ein Automat nach und spuckt einen Haufen mehr oder weniger wertloser Silberstücke aus. Aber Zombies blinzeln nicht. krach! Die Münzen fallen. Null Reaktion. Wird hier ein Horrorfilm gedreht? Die San Felipe betreiben eine Tagesstätte zum Ausplündern ältlicher Anglos. Der Anteil männlicher Zocker ist niedrig, das Durchschnittsalter liegt um die achtzig. Einige von ihnen sind so gebrechlich, dass sie an ihren Hebeln zu hängen scheinen, statt an ihnen zu ziehen. »Spiel mit! Sieh dich nicht um.« Willkommen im internationalen Sonnenhafen, wo die Paranoia umgeht.

      Der Pueblo der San Felipe ist außer Sichtweite des Megakasinos, auf der anderen Seite der Interstate 25. Es hat sich in den letzten tausend Jahren keinen Zoll bewegt. Der Rio Grande fließt noch immer durch sein Zentrum, am Ufer des Flusses stehen noch immer Pappeln und Weiden, und zwischen den Häusern liegen aus der Erde gekratzte Gemüsebeete. Die Kirche ist verschlossen, und die heilige kiva, der unterirdische Zeremonienraum im Herzen des Pueblos, ist selbstverständlich nicht zu besichtigen, aber eine Tür öffnet sich und Wilbert tritt heraus, um uns zu begrüßen. San Felipe ist einer der historischen Pueblos von Sandoval County. Die Leute sprechen Keresan. Aber Wilbert spricht Englisch. Er bestätigt, dass dies der historische Pueblo San Felipe sei, und stellt sich als Acrylmaler vor. Zufälligerweise hat er ein paar Bilder unterm Arm. Wir nehmen sie höflich in Augenschein. Er erklärt, dass er bei seiner Mutter lebe. Sie habe ihn auch mit den Gemälden hinausgeschickt, und für den Fall, dass wir es uns noch einmal anders überlegen, gibt er uns ihre Telefonnummer. Im Übrigen sei dies ein ziemlich günstiger Augenblick, das Dorf zu verlassen, denn um diese Tageszeit treibe sich hier kaum jemand herum.

      Auf dem Weg hinaus, kurz bevor wir die Schienen der wichtigsten Bahnlinie nach Süden Richtung Albuquerque kreuzen, fahren wir an einem Imbiss mit einem kleinen Laden vorbei. Ein guter Ort für einen Kaffee. Das Restaurant sieht blitzsauber aus, ist aber geschlossen. Der Laden hat geöffnet. Die Inhaberin erzählt uns, im Pueblo werde eine Fehde ausgetragen. Sie sei kurz davor, den Laden dichtzumachen. Früher habe sie gut verdient, aber jetzt bestehe ihre Kundschaft nur noch aus den Kindern von San Felipe. Ihre Regale sind fast leer. Sie sagt, die Erwachsenen kauften alle im großen Drugstore neben der Gaspumpe des Kasinos ein. Das Kasino sei ihr Ruin.

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      Als ich 1999 das erste Mal nach Santa Fe kam, saß ich in einem Leichtflugzeug, das es von Denver aus gerade so eben über die Berge von Sangre de Cristo schaffte. Die Maschine ruckelte über menschenleeres Wald- und Weideland, ein Gebiet, um das seit der spanischen Eroberung immer wieder heftig gestritten wurde. Die Anreise über Land am Rio Grande entlang ist weniger dramatisch. Am Straßenrand der Interstate 25 stehen Schilder, die Bürgern mit Gemeinsinn eine Belohnung versprechen, sollten sie gebührenfrei von ihrem Handy aus bei der Polizei anrufen, um strafbare Fahrweisen anderer Verkehrsteilnehmer anzuzeigen. Der Fluss führt hier deutlich weniger Wasser, denn das wird von der Stadt abgezweigt, für Pools, den Golfplatz und die zahllosen Rasen. Eine der größten Grünflächen liegt innerhalb der Mauern eines riesigen Militärfriedhofs.

      Santa Fe gehört zu jenen Städten, deren Namen die Geschichte des Westens heraufbeschwören, wie Tombstone oder Dodge City. Es ist ihr auch gelungen, etwas von dieser Vergangenheit zu erhalten. Laut dem Amt für Denkmalschutz gibt es hier rund zehntausend historisch bedeutsame Bauten. Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine Stadt, in der exzentrische Amerikaner von der Ost- und Westküste aufeinandertreffen, um ein einfaches Leben unter reichlich luxuriösen Bedingungen zu führen. Aber die Vielschichtigkeit New Mexicos ist noch immer gegenwärtig. Der offizielle Reiseführer erklärt unverblümt, dass »bis zum Zweiten Weltkrieg Siesta gehalten« wurde. Der Einfluss der Hispanics ist nach wie vor spürbar, und so kann es vorkommen, dass man tatsächlich – wie hier üblich – im gemächlichen Tempo auf einem Bürgersteig zu Fuß in der trockenen Hitze unterwegs ist. Ich war bei Freunden zu Besuch, in deren Garten ich eine Eidechse, ein Streifenhörnchen und eine sechzig Zentimeter lange Schlange zu Gesicht bekam. Die örtliche Gärtnerei warb für Rispengras-Rollrasen und Taschenrattenfallen, und mein Schlafzimmer wurde vom Geist einer sehr verstörten Chinesin heimgesucht – den Toby, der Mops der Familie, sogar bei Tageslicht zu sehen schien.

      In Santa Fe gibt es eine Kathedrale im romanischen Stil, die dem Heiligen Franziskus gewidmet ist und von dem Auvergnaten Erzbischof Lamy gebaut wurde, der seine Diözese dreißig Jahre lang geleitet und schließlich Willa Cather zu ihrem Meisterwerk Der Tod kommt zum Erzbischof inspiriert hat. Mit über zweitausend Metern ist Santa Fe eine der höchstgelegenen Städte des Landes. Sie verläuft sich zwischen niedrigen Sandhügeln und wird im Nordosten von Sangre-de-Cristo-Bergen beherrscht, einem Ausläufer der Rocky Mountains. Santa Fe zieht kreative Leute an. Eines Abends wurde meine Unterhaltung mit einem Gitarrenbauer, der mir die akustische Umsetzung der Heisenbergschen Unschärferelation erläutern wollte, von einem Physiker unterbrochen, der in der Atomwaffenanlage in Los Alamos arbeitete und uns aufgeregt berichtete, ein Hüttensänger sei mit dem Kopf nach Osten weisend zu vergraben, nachdem man ihm die Schwanzfedern ausgerupft habe, um sie einem Zuni-Regendoktor zu zeigen. Wasser und Regen sind noch heute zentrale Themen. Die ersten Entdecker beschrieben dem Vizekönig Neuspaniens die Gegend als »weit, trocken und heiß« – und daran hat sich wenig geändert. In New Mexico gibt es immer noch Streit ums Wasser, und manchmal endet er sogar tödlich.

      Santa Fe hat 67000 Einwohner und 61 Gourmetrestaurants. Da ich zwei Weinhandlungen regelmäßige Besuche abgestattet habe, kann ich bestätigen, dass hier einige der erlesensten und teuersten Weine geführt werden. Die Freilichtoper


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