Schlangentanz. Patrick Marnham

Schlangentanz - Patrick Marnham


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eher kleinen Gorillas, wo sie einen Zoobesucher zurechtwiesen, der den Affen ärgerte und ihm beizubringen versuchte, wie man klatscht und bettelt. Aus der nahgelegenen Kaserne kamen Soldaten auf Halbblut-Arabern herangetrabt und begannen, zwischen den Käfigen zu exerzieren. Ein Mann auf Krücken, ein Albino mit einem grünen Tuch um den Kopf, der sich zu den Rollstuhlfahrern gesellt hatte, stand verärgert auf und ging fort, als er die Kamera bemerkte. Auf meine Frage, warum es nur noch so wenige Tiere gab, entgegnete der Wärter, dass die Patrons nach Mobutus Flucht die Zahlungen für das Futter der Tiere und die Löhne der Angestellten eingestellt hatten, sodass die Wärter gezwungen gewesen waren, einige ihrer Schützlinge zu verzehren. Es regnete sich ein; die Schulkinder kletterten wieder in ihre Busse, die sich langsam unter Hinterlassung von blauen Rauchwolken entfernten; der Krückenmann und die Lahmen suchten unter einem Baum Zuflucht; die Drehkreuze wurden über Mittag gesperrt. Affenfleisch ist eine Delikatesse in Westafrika. Kein Wunder, dass Soko Mutu so einen ängstlichen Eindruck machte.

      Wir waren mit einem Beamten der Belgischen Botschaft zum Mittagessen verabredet und holten ihn in seinem Büro ab. Die Botschaft ist eine Sehenswürdigkeit der besonderen Art. Sie sieht aus wie das irakische Verteidigungsministerium vor dem Einschlag der ersten US-Raketen in Bagdad, liegt in der Innenstadt, ist aus Stahlbeton, wird von einem fünf Meter hohen Sicherheitsdrahtzaun umgeben und von behelmtem Sicherheitspersonal mit Maschinengewehren bewacht. Allem Anschein nach trauten die belgischen Diplomaten der Lage nicht so recht. Plötzlich schwangen die Stahltore zur Seite, und ein Konvoi gepanzerter Limousinen raste an uns vorbei. Mittagspause. Unser Mann hatte zu tun, doch er hielt sich an die Verabredung. Er war in diesen Tagen mit einer Brüsseler Militärdelegation beschäftigt. »Waffengeschäfte?« »Wir nennen es militärische Kooperation.« Darüber hinaus war ihm noch eine weitere Aufgabe in sein Posteingangsfach geflattert – der Flugzeugabsturz in Goma musste bearbeitet werden. »Alle vier Belgier haben überlebt. Haben Sie Flüge im Kongo gebucht?« »Ja. Mit derselben Fluggesellschaft.« »Ah, bon? Hoffentlich nicht mit demselben Piloten.«

      Ich fragte den belgischen Diplomaten, wie der offizielle Besuch des belgischen Außenministers verlief, weil ich wusste, dass Präsident Kabila ihn am Tag zuvor sieben Stunden hatte warten lassen. Doch der lenkte die Unterhaltung auf sein Lieblingsthema, die Geschichte des Kongo. Er erzählte uns, dass Stanley dem König bei seinem ersten Treffen mitgeteilt hatte, der Kongo sei ohne Eisenbahn unrentabel. Der Fluss führte zwar in das Landesinnere, aber zwischen der Küste und Kinshasa lagen die unschiffbaren Stromschnellen, und deswegen kämen sie um eine moderne Eisenbahnverbindung nicht herum. Der Diplomat nannte den Bau der Eisenbahn zu jener Zeit unter den herrschenden Bedingungen »heroisch«. Er teilte uns mit, dass die Strecke zwischen 1921 und 1931 unter der Kolonialherrschaft erneuert wurde11 und dass der belgische Historiker Jules Marchal kürzlich die Anzahl der Todesopfer unter den Zwangsarbeitern auf 7000 geschätzt hatte. Es sind diese Männer, derer mit einer prächtigen Bronzeskulptur am Eingang zur Stadt Matadi, an der alten Eisenbahnstrecke nach Kinshasa, gedacht wird. Sie zeigt drei afrikanische Lastenträger, zwei von ihnen ruhen sich von der Arbeit aus. Die Inschrift auf der Plakette lautet: »Diese Eisenbahnstrecke erlöste die Lastenträger von ihrer Bürde.« Der Diplomat bedauerte, dass die Skulptur vor kurzem teilweise zerstört und die Plakette entfernt worden war.

      Als »Zaire« mit dem Ende des Kalten Krieges unterging, zog Washington seine Unterstützung zurück. In Katanga stellten große amerikanische Bergbauunternehmen über Nacht den Betrieb ein, verbarrikadierten die Stollen und machten sich auf den Heimweg. Mobutus Kartenhaus fiel in sich zusammen. Seine Soldaten, die oft ohne Lohn auskommen mussten, gingen dazu über, unbewaffnete Zivilisten zu bestehlen. Provinzgouverneure und Minister verloren die Angst vor einem Präsidenten, der seine Armee nicht mehr bezahlen konnte, und veruntreuten immer größere Summen. Der Befehlshaber der Luftwaffe ließ die gesamte Mirage-Jagdbomberflotte nach Frankreich zur Wartung ausfliegen. Dort verkaufte er sie.12 Ab 1990 verbrachte Mobutu immer mehr Zeit bei seinen Frauen, den eineiigen Zwillingen Bobi und Kosia, auf seiner Luxusyacht, der Kamanyola. Das Schiff hatte sechzig Kabinen, zwei Prunkzimmer, einen Festsaal für hundert Gäste, einen Hubschrauberlandeplatz und eine Besatzung von dreihundert Mann. 1997 bekam Mobutu es mit der Angst zu tun und floh in seinen Marmorpalast im Wald bei Gbadolite im äußersten Norden des Landes. In der Nähe des Palastes lag ein Flugplatz mit einer Startbahn, die lang genug für die 747 des Präsidenten war, sowie der Grenzfluss zur benachbarten Zentralafrikanischen Republik. 1997, drei Monate nachdem seine zerlumpte Armee aus dem Wald nach Kinshasa gehumpelt war, kehrte der schwer an Krebs erkrankte Mobutu seinem Land für immer den Rücken. Da waren viele Städte im Kongo bereits zerstört worden. Seitdem bemühen sich die Vereinten Nationen, eine Art von Ordnung in das Chaos zu bringen.

      Die UN-Truppen der Demokratischen Republik (MONUC13) ist mit 17000 Mann die größte Einheit der Vereinten Nationen weltweit. Befürworter argumentieren, dass die Präsenz der MONUC-Truppe vielleicht von eingeschränktem praktischem Nutzen sei, dass sie jedoch einen schwachen Präsidenten an der Macht gehalten und menschliches Leid etwas gemildert hätte. Außerdem habe ihre Anwesenheit der DRK ermöglicht, den Anschein eines funktionsfähigen souveränen Staates aufrechtzuerhalten. Die meisten MONUC-Soldaten stammen aus Indien und Pakistan. In Kinshasa haben die bewaffneten Friedenswächter keinen guten Ruf. Ihnen werden immer wieder Raubzüge, Vergewaltigungen von Kindern und Entführungen vorgeworfen. Es heißt, dass MONUC-Offiziere in Kivu Goldschmuggel betreiben.

      Der belgische Diplomat widersprach diesen Anschuldigungen nicht, wies aber darauf hin, dass es ohne die Präsenz der MONUC in der DRK unmöglich gewesen wäre, die Präsidentschaftswahlen abzuhalten. Die Organisation der Wahl, die in sein Aufgabengebiet fiel, hatte ihm Kopfschmerzen bereitet. Das Wahlregister war seit 1981 nicht mehr aktualisiert worden. Und dann wurden 1993 im Bürgerkrieg auch noch die Dokumente vernichtet, auf denen die Register basierten. Da es im Land so gut wie keine Straßen gibt, war es unmöglich, Wahlscheine zu verteilen. MONUC hatte hundert Flugzeuge in der DRK stationiert, bei weitem die größte Flotte des Landes. »Was wäre ohne MONUC passiert?«, fragte er. »Was passiert mit ihr?«, entgegnete Thomas düster.

      Für den Diplomaten war es an der Zeit, in die Botschaft zurückzukehren; die Militärdelegation aus Brüssel brauchte ihn. Er drängte uns, das Staatliche Museum zu besuchen.

      Das Museum der Demokratischen Republik Kongo blickt von einem Hügel in den Palastgärten Mobutus auf den Stanley Pool und die Strudel hinab, den ersten warnenden Vorboten der Stromschnellen des Kongo. An einem klaren Tag kann man über das graubraune Wasser hinweg Brazzaville erkennen, die Hauptstadt der Volksrepublik Kongo. Das Museum wurde während des Bürgerkriegs beschädigt und ist noch immer geschlossen. Professor Joseph Ibongo, der Generaldirektor, empfing uns in seinem Büro. Die Uhr im Wartezimmer war um drei Minuten vor drei stehengeblieben, und um die Form zu wahren, gab es eine kurze Verzögerung, bevor wir hineingelassen wurden.

      Der Professor erzählte uns, dass die Sammlung des Museums rund 60000 Objekte umfasse und dass sein Vorgänger unmittelbar vor dem Fenster seines Büros erschossen worden sei. Ibongo war ein besonnener Mann, dem seine Sammlung offensichtlich am Herzen lag und dem deren trostloser Zustand naheging. Das Museum war früher ein Ableger des Königlichen Museums von Tervuren gewesen, und er selbst hatte vor vielen Jahren an der Universität von Leuven studiert, aber mittlerweile waren die Beziehungen abgekühlt. Seine confrères in Tervuren machten sich mittlerweile kaum noch die Mühe, seine Briefe zu beantworten. Der Professor setzte uns sehr eloquent auseinander, was für eine wesentliche Rolle das Museum beim Entstehen einer kulturellen Identität in der DRK gespielt hatte. Er wünschte sich, seine Mitbürger wären sich darüber klar, dass sie ein nationales Erbe hätten, auf das sie stolz sein könnten. Doch wie sollten sie sich mit einer Sammlung vertraut machen, die größtenteils in einem Lagerhaus verstaut war? Er schätzte die Kosten für eine wissenschaftliche Sichtung und Katalogisierung der Sammlung auf 1,3 Millionen Euro; doch bis dahin verfiel sie aufgrund der primitiven und vollkommen ungeeigneten Lagerbedingungen. Natürlich war es ihm unter diesen Umständen nicht möglich, weitere Exponate anzukaufen, mit der Ausnahme eines Objektes von großem historischem Wert, das er uns gerne zeigen würde, falls wir daran interessiert seien.

      Auf der Erde vor dem Büro des Professors, der Hitze, dem Staub und dem Regen ausgesetzt, lag der rostige Eisenrumpf eines kleinen Flussschiffes, das auf einer Müllhalde hinter dem Ministerium für Öffentliches Bauwesen gefunden worden


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