Faust & Helena. Claudia Schmölders
href="#u003fcd40-eb79-59e0-ab53-cf3c11200c08"> Eliza Marian Butler. Bibliographie
Goethe, Faust II »Klassische Walpurgisnacht« Verse 7397–7445
Helena aus der Unterwelt zu beschwören, misslang im ersten Anlauf. Nur das verführerische Bild war zu sehen, keine leibhafte Gestalt. Faust soll nun zu den Müttern gehen; Mephisto bringt ihn zu Chiron, dem heilkundigen Kentauren. Faust steigt auf seinen Rücken, um ihn nach Helena zu fragen.
Faust … Vom schönsten Mann hast du gesprochen, Nun sprich auch von der schönsten Frau!
Chiron Was! … Frauenschönheit will nichts heißen, Ist gar zu oft ein starres Bild; Nur solch ein Wesen kann ich preisen, Das froh und lebenslustig quillt. Die Schöne bleibt sich selber selig; Die Anmut macht unwiderstehlich, Wie Helena, da ich sie trug.
Faust Du trugst sie? –
Chiron Ja, auf diesem Rücken.
Faust Bin ich nicht schon verwirrt genug Und solch’ ein Sitz muß mich beglücken!
Chiron Sie faßte so mich in das Haar, Wie du es tust.
Faust O! ganz und gar Verlier’ ich mich! Erzähle wie? Sie ist mein einziges Begehren! Woher? wohin? ach, trugst du sie?
Chiron Die Frage läßt sich leicht gewähren. Die Dioskuren hatten, jener Zeit Das Schwesterchen aus Räuberfaust befreit. Doch diese, nicht gewohnt besiegt zu sein, Ermannten sich und stürmten hinterdrein. Da hielten der Geschwister eiligen Lauf Die Sümpfe bei Eleusis auf; Die Brüder wateten, ich patschte, schwamm hinüber; Da sprang sie ab und streichelte Die feuchte Mähne, schmeichelte Und dankte lieblich-klug und selbstbewußt. Wie war sie reizend! jung, des Alten Lust!
Faust Erst sieben Jahr! …
Chiron Ich seh’, die Philologen, Sie haben dich so wie sich selbst betrogen. Ganz eigen ist’s mit mythologischer Frau, Der Dichter bringt sie, wie er’s braucht, zur Schau; Nie wird sie mündig, wird nicht alt, Stets appetitlicher Gestalt, Wird jung entführt, im Alter noch umfreit; G’nug, den Poeten bindet keine Zeit.
Faust So sei auch sie durch keine Zeit gebunden! Hat doch Achill auf Pherä sie gefunden, Selbst außer aller Zeit. Welch seltnes Glück: Errungene Liebe gegen das Geschick! Und sollt’ ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt, Ins Leben ziehn die einzigste Gestalt? Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig, So groß als zart, so hehr als liebenswürdig? Du sahst sie einst; heut hab’ ich sie gesehn, So schön wie reizend, wie ersehnt so schön. Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen, Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen.
VORWORT
»Faust und Helena«: das Paar ist weniger bekannt als etwa »Faust und Gretchen« oder »Faust und Mephisto«. Die letztgenannten haben beide einen Ruch, das eine klingt nach Mord und Heiratsschwindel, das andere nach satanischen Verabredungen und übermenschlich kaltem Gebaren. Nur Helena, so scheint es, kann Goethe aus den Verstrickungen erlösen, die ihn seit seinem »Urfaust« 1775 umgeben; aber wiederum nicht jene Helena aus dem deutschen Volksbuch, die er als Junge in einem Puppenspiel erleben konnte. Hier kam ja zu allem Ruchlosen noch blendender Liebestrug dazu, Helena war ein böses Phantom, wenn auch sehr schön. Keine Frau ist in der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit dermaßen hingerissen geschildert worden – und es war dieser Anblick, den Goethe schließlich in die Waagschale werfen konnte. Doch durfte diese rettende Gestalt nicht nur aus der Hexenküche stammen, sie musste in eigener Anstrengung gesucht und vor allem: gefunden werden.
Die Schlüsselszene aus Faust II erreichte die literarische Welt ab 1832 – Goethe hatte das Erscheinen dieses Werkes bekanntlich zu Lebzeiten verweigert. Erst rund vierzig Jahre später waren die Verse auf der Bühne zu hören, und auch danach blieben sie theatralisch eher verborgen und Teil einer Lesekultur. Dabei deklamierten sie mit atemloser Drastik einen Wunschtraum der deutschen Bildungseliten, genauer des philhellenischen Deutschland seit Winckelmann; eben jenes Johann Joachim Winckelmann, der als Heros einer national verzückten Ästhetik Deutschland und Hellas einander verlobt hatte, ganz altmodisch mit dem unausgesprochenen Verbot der Besitznahme. Bevor ein maßgeblicher deutscher Dichter den Fuß auf griechischen Boden setzen wollte, sollten fast 150 Jahre vergehen, denn man hielt sich keusch an das Gebot, bis hin zu Gerhart Hauptmann. Reisende Archäologen, Maler und Touristen gehörten natürlich so wenig dazu wie etwa Otto I., der als König aus Bayern einzog, oder der Schweizer Jacob Burckhardt, dem man die strengste Kulturgeschichte des alten Griechenland dankt. Doch Dichter und Denker von Hölderlin bis Nietzsche errichteten Paläste auf diesem Boden, die keine Realität duldeten.
Zahllose Darstellungen dieses Sachverhalts gibt es aus der historischen Fachwelt, und je weiter die Forschung, desto höher aufgelöst das Bild. Aber vielleicht muss es kein Bild sein, vielleicht leistet die Analogie, eine poetische Formel ohne ausufernde Metahistorie, den besseren Dienst? Der Pfad, auf dem die Idealisten zu jener fieberhaft begehrten Helena vordringen wollten, war der Traum vom klassischen Hellas als eigener Heimat, den Goethe dann mit so viel Leben wie möglich erfüllen wollte, nämlich mit einer Verkörperung des schönen Idols, einer Hochzeit und sogar einer Geburt.
Zwei mythische Riesen standen dem Dichter dabei zur Seite, Prometheus und Pygmalion, beide begnadet mit gottgleich menschenschaffendem Schöpfertum. In »Faust. Eine Tragödie«, wie Goethe sein Stück schließlich nannte, verzwergen sich beide zu einem Famulus namens Wagner, der im Labor – vulgo Hexenküche – einen Homunkulus erzeugt, der dann wiederum in Faust II. eine Helena aus dem ägäischen Meer heraus erzeugt. Aber als was? Als Trugbild oder als leibhafte Frau, die ihrerseits Mutter werden konnte? Schließlich verdankte sie sich in dem Stück ja ausdrücklich einem Gang »zu den Müttern«. Oder kam sie als erlöste Kriegsbeute nach zehn Jahren trojanischem Krieg in die Gefilde der Seligen, um dort mit Achill einen Sohn namens Euphorion zu gebären? Das besagt jedenfalls einer der vielen Sagenstränge um diese Helena, an denen sich Goethe entfalten musste.
Wie mächtig das Paar Faust und Helena in der Folgezeit wirkte, braucht man nicht zu betonen. Und doch blieb die Ideengeschichte unterbelichtet. Redlich darstellbar ist sie ja nur mit Blick auf die politische Geschichte; denn selten war eine poetische Erfindung so politisch motiviert wie diese Familie Faust, und selten ein politischer Akt so bildungsschwer vorbelastet wie der deutsche Einmarsch in Griechenland im April 1941, der gespenstischen Hochzeit. 200 Jahre erst glühender und auch unendlich befruchtender, dann aber allmählich erstickender Nähe zwischen den Ländern endeten auf diese brutale Weise; aber eigentlich erst seit der letzten Jahrtausendwende, je näher der Ausschluss des Landes aus der EU rückte, wurde diese sonderbare Kulturtragödie wirklich bewusst. Es ging ja anfangs niemals um zwei Länder, sondern zunächst immer um ein Land namens Deutschland (oder Preußen oder Bayern) und eine historische Fiktion namens Hellas; aber je mehr Griechenland aus Hellas wurde, desto grausamer die Nähe. Schon bald nach der Einsetzung des bayerischen Königs 1832 regte sich Widerstand im griechischen Volk, man zwang ihn schließlich zum Rücktritt, und die Berichte aus dem Land deutscher Sehnsucht färbten sich zunehmend düster. Der poetische Kalender dazu wirkt unheimlich: Goethes Hochzeitsdichtung, die »Klassisch-Romantische Phantasmagorie« erschien noch pünktlich zum griechischen Freiheitskampf, aber zur Thronbesteigung gab es dann auch schon den »verwitweten« Faust in Teil zwei, Faust ohne Helena, nur noch mit einem Mephisto. Und doch blieb und strahlte die Idee dieses Paares durch die folgenden Jahrhunderte wie eine Ikone; Goethe hatte die Träume seiner eigenen Generation offenbar szenisch gebändigt und entfesselt zugleich.
Eine der frühesten und eindringlichsten Darstellungen dieser ganzen Konstellation stammt von einer irischen Germanistin namens Eliza Marian Butler (1885–1959). Ihr Buch mit dem psychologisch