Im Licht der Horen. Petra E. Jörns
Sie trug ein billiges geblümtes Kleid, das die Hälfte ihrer trotz des Alters immer noch schlanken Oberschenkel freiließ, und dazu viel zu hochhackige Pantoletten, die in Dee die Angst weckten, sie könne sich bei jedem Schritt den Knöchel brechen.
»Haben Sie gut geschlafen?« Sie lächelte und entblößte dabei eine Reihe ebenmäßiger Zähne, die eine Spur zu weiß waren.
»Ich möchte bezahlen.« Dee reichte ihr die Magnetkarte ihres Zimmers.
Die Magnetkarte wie eine Trophäe in die Höhe gehalten, klackerte Mistress Kiriakidis Richtung Theke.
»Es war wieder in den Nachrichten, dass ein Botschafter der Erdregierung hier ist. Hier. Auf Persephone! Ein Botschafter der Erde!« Mistress Kiriakidis schüttelte den Kopf. »Glauben die wirklich, wir könnten so einfach Frieden schließen? Nach ... wie lange dauert jetzt schon dieser unselige Krieg?«
Zweihundertelf Jahre. Eigentlich wollte Dee nur die Magnetkarte für das Zimmer abgeben und die Rechnung begleichen.
»Was denken die sich eigentlich? Nichts, möchte ich wetten. Erst schicken sie uns ihre Mutanten, um uns kleinzukriegen. Und dann schießen sie auf uns, weil wir diese Leute angeblich beschützen. Dabei wären wir selber froh, sie wieder loszuwerden. Wenn Sie mich fragen, ist dieses ganze Gerede vom Frieden doch auch nur wieder eine Masche, um uns reinzulegen. Damit wir uns in Sicherheit wiegen, während sie in Ruhe den nächsten Angriff planen.«
Mistress Kiriakidis hatte die Theke erreicht und begann Zahlen in den Geldkartenautomaten einzugeben. »So ist es doch, oder nicht?«
Wortlos reichte Dee ihr ihre Geldkarte.
»Was sagen Sie dazu?«, tönte Mistress Kiriakidis, während sie die Karte in den Schlitz des Automaten steckte. »Sie sind doch bei der Flotte. Sie müssen doch wissen, was die vorhaben.«
Fast hätte Dee gelacht. Das wünschte sie sich selber – zu wissen, was der Senat plante. Aber wer wusste das schon?
»Es geht um ein Waffenstillstandsabkommen. Und ich wette, dass die Erde als Preis die Auslieferung aller hoch eingestuften Mutanten verlangt.«
»Dann sollte der Senat zustimmen. Das würde viele Probleme beseitigen. Wenn Sie mich fragen.«
Dee dankte Gott im Stillen dafür, dass Mistress Kiriakidis nicht gefragt wurde. Auch wenn sie selber schon einige Male diesen Gedanken gehabt hatte. Sie war nur ein unbedeutender Klasse-fünf-Mutant. Ihre Auslieferung würde die Erdregierung bestimmt nicht verlangen. Hoffte sie. Mit Bestimmtheit aber die von etwa hundert Mutanten der Klasse eins und zwei.
Der Gedanke, auf sie zu verzichten, war verführerisch. Ohne sie wäre es sicherer in den Kolonien. Nur hieße das, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Und das gehörte sich nicht. Und es bedeutete auch, dass es niemanden mehr geben würde, der Schiffe mit der neuen Gelmatrix fliegen und warten konnte. Und das war fast noch wichtiger. Nur würden Menschen wie Mistress Kiriakidis das alles nie verstehen.
Dee seufzte. »So einfach ist das nicht. Was, wenn die Erdregierung sie tötet? Glauben Sie, die Untergrundbewegung ließe das so einfach zu?«
Das war das einzige Argument, das Mistress Kiriakidis vielleicht überzeugen konnte. Vor der Untergrundbewegung der Mutanten hatten alle Angst.
Mistress Kiriakidis zuckte mit den Schultern und zog die Karte wieder aus dem Schlitz. »Eben. Ausliefern. Alle miteinander. Soll die Erdregierung sich doch mit ihnen herumschlagen.« Mit einem Lächeln reichte sie Dee die Karte zurück. »Einen guten Flug wünsche ich Ihnen.«
Dankbar darüber, dem Wortschwall der Frau endlich entkommen zu können, steckte Dee die Karte ein und nahm ihren Koffer. »Auf Wiedersehen«, sagte sie im Gehen.
Doch Mistress Kiriakidis klapperte bereits wieder Richtung Speisezimmer.
So groß hatte sie den Raumhafen gar nicht in Erinnerung. Sie frühstückte in der Kantine, zwischen all den fremden Männern und Frauen in Uniform, mit Blick auf das Startfeld mit den Raumfähren. Folgte mit ihrem Blick den silbernen Gebilden, die im Blau des Himmels verschwanden.
Mit einem Frösteln erinnerte sie sich an den Traum der letzten Nacht. Sie nahm einen Schluck Kaffee, ließ den Becher stehen und griff nach dem Koffer, um sich auf den Weg zu machen, bevor aus dem mulmigen Gefühl mehr werden konnte.
Noch eine Viertelstunde. Sie hatte gedacht, dass es kein Problem sein konnte, die Fähre in dieser Zeit zu finden. Doch die Zahlen der vielen Gates brachten sie durcheinander, sodass sie am Ende doch in Eile geriet. Völlig außer Atem kam sie zwei Minuten zu spät am Gateway an.
Ein junger Mann erwartete sie. Groß, breitschultrig, braun gebrannt und gut aussehend, das Klischee eines Piloten. Er lächelte sie breit an, während er pflichtschuldig, wenn auch ein wenig nachlässig salutierte. »Lieutenant Hawk, zu Ihren Diensten, Ma’m!«
Ma’m. Dee schauderte bei der Anrede. »Verzeihen Sie die Verspätung. Ich habe mich verlaufen.«
Er lachte und griff nach ihrem Koffer. »Das passiert allen hier, Ma’m.« Aus der Nähe wirkte er indianischer, als das Bild in seiner Akte es hatte vermuten lassen. »Folgen Sie mir.« Ganz selbstverständlich, als wäre er hier zu Hause, ging er voraus.
Dees Blick irrte durch die Fenster des Gateways auf die Fähre. Ihre Hände wurden feucht.
Nur ein Albtraum. Es war nur ein Albtraum. Mehr nicht.
»Hier entlang. Alles in Ordnung, Ma’m?«
Sie zuckte zusammen. »Ja, ja.« Einen Herzschlag lang starrte sie ihn verwirrt an, ehe sie ihm endlich ins Innere der Fähre folgte und sich auf den Sitz setzte, den er ihr zuwies.
Elegant ließ Hawk sich danach vor ihr in den Pilotensessel gleiten. Seine Finger betätigten verschiedene Schalter und die Luke schloss sich mit einem Zischen. Dann konnte Dee das statische Rauschen hören, das aus dem Komm drang. Ihre Finger verknoteten sich.
»Schließen Sie den Gurt, Ma’m«, sagte er, bevor er eine Anfrage aus dem Komm beantwortete.
Sie gehorchte, ertappte sich dabei, dass ihre Hände zitterten, und verschränkte sie wieder ineinander. Sie waren eiskalt.
Raus hier! Raus, solange noch Zeit war!
Wie in Watte gepackt, lauschte sie dem Gespräch zwischen dem Lieutenant und der Flugüberwachung. Es war, als würde sie einem Dialog in einer fremden Sprache folgen, so wenig verstand sie. Die Worte ergaben einfach keinen Sinn, bis Hawk sagte: »Bestätige: Starterlaubnis erteilt.« An Dee gewandt setzte er hinzu: »Wir starten, Ma’m!«
Ihr war, als habe Hawk damit ihr Todesurteil gesprochen. Aber bevor sie etwas erwidern konnte, zeigte ihr das leichte Heben ihres Magens, dass die Fähre bereits abgehoben hatte.
Das Blau des Himmels wich der Schwärze des Alls. Langsam, kaum merklich, bis es nicht mehr zu leugnen war. Hinter ihnen fiel der blaue Ball Persephone zurück.
Dee fühlte, wie Hawk die Fähre in eine Umlaufbahn schwenkte. Jetzt. Jetzt, war es passiert. Unwillkürlich schloss sie die Augen.
»Da ist sie!« Der Stolz, der aus Hawks Stimme sprach, brachte Dee dazu, die Lider zu öffnen. Die silberne Silhouette eines Raumschiffs hob sich vor dem Samtschwarz des Weltalls ab. Unwillkürlich entwich Dee ein leises Seufzen, während sie sich vorbeugte, um besser sehen zu können. Ihre Finger umklammerten die Lehne von Hawks Sessel.
Zu nah, rief eine Stimme in ihrem Kopf. Aber sie ignorierte sie. Vergaß alles. Sogar die Angst, die sie eben noch im Griff gehalten hatte.
Ihr Blick folgte den eleganten Linien. Verliebte sich in Details, fand endlich die Anordnung der Triebwerke. Suchte die Zeichnungen auf ihrem Schreibtisch mit dem vollendeten Werk in Übereinstimmung zu bringen. Und scheiterte. Versagte kläglich angesichts dieses Wunderwerks aus Menschenhand.
»Kleiner Rundflug?«, fragte Hawk mit einem Grinsen auf dem Gesicht.
Sie wollte »Nein« sagen, doch Hawk hatte seinen Vorschlag bereits in die Tat umgesetzt. Eigentlich war das einen Tadel wert. Aber immer neue Ansichten