Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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extremen Ausprägungen des fürstlichen Wesens. Das ist, was den Tyrannen angeht, leicht ersichtlich. Die Theorie der Souveränität, für die der Sonderfall mit der Entfaltung diktatorischer Instanzen exemplarisch wird, drängt geradezu darauf, das Bild des Souveräns im Sinne des Tyrannen zu vollenden. Das Drama vollends läßt sich angelegen sein, die Geste der Vollstreckung zum Charakteristikum des Herrschenden zu machen und ihn mit Worten und Gehaben des Tyrannen selbst dort einzuführen, wo die Verhältnisse darauf nicht drängen; genau wie der volle Ornat, Krone und Szepter nur ausnahmsweise der Bühnenerscheinung des Herrschenden wird gefehlt haben.379 Diese Norm des Herrschertums wird – und das ist der barocke Zug im Bilde – sogar durch die erschreckendste Entartung der fürstlichen Person nicht eigentlich entstellt. Die Prunkreden mit ihren unaufhörlichen Varianten der Maxime »Der purpur muß es decken«380 gelten zwar als provokatorisch, aber das Gefühl neigt sich ihnen selbst da noch bewundernd zu, wo sie Brudermord wie im »Papinian« des Gryphius, Blutschande wie in Lohensteins »Agrippina«, Untreue wie in seiner »Sophonisbe«, Gattenmord wie in der »Mariamne« des Hallmann zu decken haben. Gerade die Gestalt des Herodes, wie sie das europäische Theater in diesen Zeiten allenthalben aufstellt,381 ist für die Konzeption des Tyrannen bezeichnend. Seine Geschichte lieh der Darstellung königlicher Vermessenheit die packendsten Züge. Es webte ein schreckliches Geheimnis nicht erst für dieses Zeitalter um den König. Ehe er als wahnwitziger Selbstherrscher ein Emblem der verstörten Schöpfung wurde, war er noch grauenvoller, als der Antichrist, dem frühen Christentume gegenwärtig. Tertullian – er ist nicht der einzige – spricht von einer Sekte der Herodianer, die den Herodes als Messias verehrten. Sein Leben ist nicht Dramenstoff allein gewesen. Gryphius’ lateinisches Jugendwerk, die Herodesepen, zeigt aufs deutlichste, was das Interesse jener Menschen fesselte: der Souverän des XVII. Jahrhunderts, der Gipfel der Kreatur, ausbrechend in der Raserei wie ein Vulkan und mit allem umliegenden Hofstaat sich selber vernichtend. Die Malerei gefiel sich in dem Bild, wie er, zwei Säuglinge in Händen haltend um sie zu zerschmettern, vom Wahnsinn befallen wird. Deutlich bekundet sich der Geist der Fürstendramen darin, daß in dieses typische Ende des Judenkönigs die Züge der Märtyrertragödie verwoben sind. Denn wird im Herrscher da, wo er die Macht am rauschendsten entfaltet, die Offenbarung der Geschichte und zugleich die ihren Wechselfällen Einhalt tuende Instanz erkannt, so spricht für den im Machtrausch sich verlierenden Cäsaren dieses Eine: er fällt als Opfer eines Mißverhältnisses der unbeschränkten hierarchischen Würde, mit welcher Gott ihn investiert, zum Stande seines armen Menschenwesens.

      Die Antithese zwischen Herrschermacht und Herrschvermögen hat für das Trauerspiel zu einem eigenen, nur scheinbar genrehaften Zug geführt, dessen Beleuchtung einzig auf dem Grunde der Lehre von der Souveränität sich abhebt. Das ist die Entschlußunfähigkeit des Tyrannen. Der Fürst, bei dem die Entscheidung über den Ausnahmezustand ruht, erweist in der erstbesten Situation, daß ein Entschluß ihm fast unmöglich ist. So wie die Malerei der Manieristen Komposition in ruhiger Belichtung gar nicht kennt, so stehen die theatralischen Figuren der Epoche im grellen Scheine ihrer wechselnden Entschließung. In ihnen drängt sich nicht sowohl die Souveränität auf, welche die stoischen Redensarten zur Schau stellen, als die jähe Willkür eines jederzeit umschlagenden Affektsturms, in dem zumal Lohensteins Gestalten wie zerrißne, flatternde Fahnen sich bäumen. Auch sind sie Grecoschen in der Kleinheit des Kopfes,382 wenn diesen Ausdruck bildlich zu verstehen gestattet ist, nicht unähnlich. Denn nicht Gedanken, sondern schwankende physische Impulse bestimmen sie. Es paßt zu solcher Art »daß die Dichtung der Zeit, auch die zwanglose Epik, selbst flüchtigste Gebärden vielfach glücklich auffängt, während sie dem menschlichen Antlitz gegenüber hilflos bleibt«.383 – An Sophonisbe sendet Masinissa, durch den Disalces, einen Boten, Gift, das sie der römischen Gefangenschaft entziehen soll: »Disalces geh/ und wirff mir mehr kein Wort nicht ein. | Jedoch/ halt! Ich vergeh/ ich zitter/ ich erstarre! | Geh immer! es ist nicht mehr Zeit zu zweiffeln. Harre! | Verzieh! Ach! schaue/ wie mir Aug’ und Hertze bricht! | Fort! immer fort! der Schluß ist mehr zu ändern nicht.«384 An der entsprechenden Stelle der »Catharina« fertigt Chach Abas den Iman Kuli mit dem Befehl zur Hinrichtung der Catharina ab und schließt: »Lass dich nicht eher schauen | Als nach volbrachtem werck! Ach was beklämmt vor grauen | Die abgekränckte brust! Verzeuch! geh hin! ach nein! | Halt inn! komm her! ja geh! es muss doch endlich seyn.«385 Auch in der wiener Posse jenes Komplement der blutigen Tyrannei, der Wankelmut: »Pelifonte: Nu! so lebe sie dann, sie lebe, – doch nein, – – ia, ia, sie lebe … Nein, nein, sie sterbe, sie vergehe, man entseele sie … Gehe dann, sie soll leben.«386 So, kurz unterbrochen von anderen, der Tyrann.

      Immer von neuem fasziniert im Untergang des Tyrannen der Widerstreit, in welchem Ohnmacht und Verworfenheit seiner Person mit der Überzeugung von der sakrosankten Gewalt seiner Rolle im Gefühl des Zeitalters liegen. Es war ihm dergestalt durchaus verwehrt, dem Ende des Tyrannen eine platte moralische Satisfaktion im Stile der Hans Sachsschen Dramen zu entnehmen. Wenn nämlich jener nicht nur als Person in seinem eigenen, sondern als Herrscher im Namen der geschichtlichen Menschheit scheitert, so spielt sein Untergang als ein Gericht sich ab, in dessen Urteil auch der Untertan sich mitbetroffen fühlt. Was beim Herodesdrama die genauere Betrachtung lehrt, das liegt bei Werken wie dem »Leo Armenius«, »Carolus Stuardus«, »Papinian«, die ohnedies an Märtyrertragödien grenzen oder zu ihnen zu zählen sind, auf der Hand. Es ist denn auch nicht zuviel, wenn man in allen Dramendefinitionen der Handbücher im Grunde die Beschreibung des Märtyrerdramas erkennt. Sie haben es nicht sowohl auf die Taten des Helden als auf sein Dulden, ja öfters nicht sowohl auf Seelenqualen als auf die Pein des körperlichen Ungemachs, das ihn ereilt, abgesehen. Dennoch ist das Märtyrerdrama nirgends bündig, wenn nicht in einem Satze Harsdörffers, gefordert worden. »Der Held … sol ein Exempel seyn aller vollkomenen Tugenden/ und von der Untreue seiner Freunde/ und Feinde betrübet werden; jedoch dergestalt/ daß er sich in allen Begebenheiten großmütig erweise und den Schmertzen/ welcher mit Seufftzen/ Erhebung der Stimm und vielen Klagworten hervorbricht/ mit Tapferkeit überwinde.«387 Der ›von der Untreue seiner Freunde und Feinde‹ Betrübte – es könnte von der Passionsgestalt Christi gesagt sein. Wie Christus als König im Namen der Menschheit litt, so nach der Anschauung barocker Dichter Majestät schlechtweg. »Tollat qui te non noverit« lautet die Inschrift des LXXI. Blattes in Zincgrefs »Emblematum ethico-politicorum centuria«. Im Vordergrunde einer Landschaft zeigt es eine gewaltige Krone. Darunter die Verse: »Ce fardeau paroist autre à celuy qui le porte, | Qu’à ceux qu’il esblouyt de son lustre trompeur, Ceuxcy n’en ont jamais conneu la pesanteur, | Mais l’autre scait expert quel tourment il apporte.«388 So nahm man denn nicht Anstand, Fürsten gelegentlich ausdrücklich mit dem Märtyrertitel zu begaben. »Carolus der Märtyrer«, »Carolus Martyr«389 steht unter dem Titelkupfer der »Königlichen Verthätigung für Carl I.«. In unübertroffener Art, verwirrend freilich, spielen diese Antithesen in Gryphius erstem Trauerspiele ineinander. Die erhabne Stellung des Kaisers auf der einen Seite und die verruchte Ohnmacht seines Handelns auf der anderen lassen es im Grunde unentschieden, ob ein Tyrannendrama oder eine Märtyrerhistorie vorliegt. Gryphius hätte gewiß sich zur erstern Meinung bekannt; Stachel scheint die zweite für selbstverständlich zu halten.390 In diesen Dramen ist es die Struktur, die jene stoffliche Schablone außer Kurs setzt. Nirgends freilich mehr als im »Leo Armenius« zum Nachteil einer deutlich konturierten sittlichen Erscheinung. – Es bedarf also nicht eben tiefer Nachforschung, um zu gewahren, wie in jedem Tyrannendrama ein Element der Märtyrertragödie verborgen liegt. Weit weniger leicht entdeckt sich das Moment des Tyrannendramas in der Märtyrerhistorie. Die Vorbedingung dafür bleibt das Wissen um jenes sonderbare Bild, das im Barock – zum mindesten im literarischen – vom Märtyrer das hergebrachte war. Mit religiösen Konzeptionen hat es nichts gemein, der Immanenz entzieht sich der vollkommene Märtyrer sowenig wie das Idealbild des Monarchen. Im Drama des Barock ist er ein radikaler Stoiker und legt sein Probestück aus Anlaß eines Kronstreits oder Religionsdisputes ab, an dessen Ende Folter und Tod ihn erwarten. Bleibt das Besondere, das die Frau als Opfer des Vollzugs in manche dieser Dramen – so in die »Catharina von Georgien« des Gryphius, in Hallmanns »Sophia« und in »Mariamne«, in Haugwitz’ »Maria Stuarda« – einführt. Der rechten Einschätzung der Märtyrertragödie ist es ausschlaggebend. Sache des Tyrannen ist die Restauration der Ordnung im Ausnahmezustand: eine Diktatur, deren Utopie immer bleiben wird,


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