Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King. Andreas Suchanek

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die können was erleben.

      Jedem Bewohner der Zur rüstigen Eiche war ein direkter Ansprechpartner zugeteilt – ein Pfleger, der bei Problemen die Ärzte und die Leitung der Residenz informieren konnte. Laut Heimleitung wurde so jedem ihrer älteren Mitbewohner eine Betreuung rund um die Uhr zuteil.

      Ha, ha.

      Danielle hatte recherchiert. Tatsächlich holten diese Idioten in der Chefetage sich Schulabgänger und zahlten ihnen einen Hungerlohn. Dass die unaufmerksam waren, wunderte sie nicht im Geringsten. So entstanden Fehler. Gerade im Falle älterer Menschen, die auf Hilfe angewiesen waren, konnte das böse Folgen haben.

      Sie nahm das Pillenetui.

      Leise schloss sie die Tür des Appartements hinter sich. Der Boden war mit einem dicken Teppich ausgelegt. – Das scheußliche Blumenmuster darauf tat ihr jeden Samstag aufs Neue in den Augen weh.

      An der Rezeption erfuhr Danielle, dass Pfleger Mischa sich im Park herumtrieb. Sie musste nicht lange suchen. Der schwarzlockige Kerl saß auf der Bank, schaute in den Himmel und genoss die Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht.

      »Hey, du.« Danielle stapfte auf ihn zu. Im Näherkommen schwenkte sie das Medikamentenetui durch die Luft. »Was sind das für Pillen?«

      »Hm.« Er schaute auf, die Augen glasig.

      »Bist du etwa high?!« Ihr Kiefer klappte gen Erdmittelpunkt. »Oh mein Gott, du bist high.«

      »Was sind das für Pillen?«, sie hielt sie unter seine Nase.

      »Die Schlaftabletten«, sagte er, ein debiles Grinsen auf dem Gesicht.

      »Schlaftabletten! Meine Gran hat Probleme mit dem Herzen!«

      »Kann gar nicht sein. Ich hab hier …«, er tastete nach einem Brett, an dem eine Liste klemmte – und konnte es beim dritten Versuch sogar festhalten. »Da steht es doch. Jenkins. Herz … Oh. Da hab ich wohl die Pillendosen verwechselt. Ah ja, alles klar, ihr Nachbar braucht die Schlaftabletten. Der Kerl war mal Direktor an der alten Barrington High, wusstest du das?« Er lachte.

      Sie starrte ihn an. »Ist dir eigentlich klar, was du getan hast?!«

      Er zuckte die Schultern. »Das wird schon wieder. Ich tausche die Tabletten gleich aus. Ist ja nix passiert.«

      »Was hast du genommen?« Ihr kam ein furchtbarer Verdacht.

      Während sie den Idioten in Gedanken erwürgte, war sie gleichzeitig maßlos entsetzt. Glasige Augen, zittrige Hände, das waren Symptome, die man unter Jugendlichen in Barrington Cove dieser Tage öfter zu sehen bekam.

      »Jetzt mach dich mal locker, Fehler passieren«, sagte er. »Ich bin auch nur ein Mensch.« Bei dem ganzen Stress muss ich ab und zu ausschalten. Das war nur ’ne Black.«

      Danielle schloss die Augen.

      Die Black Flashs, kurz Blacks genannt, waren der neueste Schrei. Sie wusste nicht, woraus sie bestanden, doch die Wirkung war weithin bekannt. Nach der Einnahme entstand ein Gefühl der Entspannung, das dabei half, einzuschlafen oder nach einer schweren Klausur abzuschalten. Zugegeben, nach der letzten Geschichtsklausur war sie auch in Versuchung gewesen. Für etwa eine Sekunde oder so.

      Leider gab es nichts umsonst. Die Nebenwirkungen waren Kurzatmigkeit, Konzentrationsstörungen und Ausschläge in den verschiedensten Körperregionen. Es gab Geschichten … sie schüttelte schnell den Kopf, um den Gedanken loszuwerden.

      Leider waren die Tabletten leicht herzustellen. Immer wieder gab es Schüler, die sie selbst machten und unters Volk brachten.

      Gerade gestern hatte es an der Schule erneut eine Razzia gegeben. Kaum zu glauben, dass ausgerechnet das ehemalige Sport-Ass Mason Collister eine Packung der Blacks in seinem Spind gehabt hatte. Andererseits wunderte sie gar nichts bei diesen arroganten Sportlern, die von sich selbst dachten, sie seien die Krone der Schöpfung.

      Na warte, du kleiner Mistkerl. Nach außen hin der sportliche Saubermann und hinten rum dealen. Wenn du dahinter steckst, mach ich dich fertig. »Wer hat dir die Dinger verkauft? Collister?!«

      »Mann, Blondie, du machst deiner Haarfarbe echt alle Ehre.« Mischa kicherte. »Weiß doch jeder, wo man was zum Runterkommen herbekommt«, sagte er noch, dann war er wieder abgedriftet.

      Danielle sah ein, dass es keinen Sinn ergab, hier weiter zu machen. Stattdessen schnappte sie sich die Patientenliste zusammen mit dem Medikamentenetui und stapfte zum Heimleiter. Sie würde dafür sorgen, dass ihrer Gran nie wieder etwas geschah.

      Und dann kümmere ich mich um dich, Collister.

      *

      »Alter, das ist eine total blöde Idee«, sagte Randy, während er sich ein Ginsterblatt aus den Wuschelhaaren zog. »Wir sollten den Sheriff verständigen.«

      »Sicher nicht! Die glauben uns doch kein Wort. Du sprichst hier von Brukers Dad.«

      Sie lagen zwischen zwei Ginsterbüschen und starrten in die Tiefe. Da sie nur ein Fernglas hatten, wechselten sie sich dabei ab, die Jungs und Mädchen dort unten zu beobachten.

      Es war kein Geheimnis, dass sich die coolen Kids im Crest Point trafen. Mason selbst war einst jeden Samstagmittag hier gewesen. Es gab versteckte Ecken, in denen man rummachen konnte, ohne dass Erwachsene dabei störten. Natürlich liefen hier auch Dinge ab, über die nie jemand sprach, obwohl jeder Bescheid wusste.

      »Dort drüben ist Bruker. Und er hat deine ehemaligen besten Freunde vom Basketball-Team dabei«, sagte Randy. Aufmerksam spähte er durch das Fernglas.

      Neben Randy lag sein Eastpack, der von einer Schachtel ausgebeult wurde. Randy nannte es sein »Überlebenspaket«. In ihm trug er allerlei technischen Krimskrams mit sich herum.

      »Schon gut, ich will keine Details«, sagte Mason. »Sag mir einfach, wenn du Pratt gefunden hast.«

      Ebenso wie jeder wusste, dass im Crest Point gedealt wurde, kannte auch jeder den Namen des Dealers. Pratt Thompkins war Mitte zwanzig und damit neun Jahre älter als Mason und Randy. Der Typ hatte den Abschluss nicht geschafft, war aber irgendwie im Umkreis der Schule hängen geblieben. Ob es um Drogendeals, Diebstähle oder leichte Körperverletzungen ging: Der Sheriff verhaftete Thompkins mindestens einmal im Monat. Seltsamerweise konnte man ihm nie etwas nachweisen und er war 48 Stunden später wieder auf freiem Fuß.

      »Ist gar nicht so einfach«, murmelte er.

      Mason legte den Kopf auf die verschränkten Arme und schaute umher. Blütenduft lag in der Luft, der Geruch von verbranntem Holz stieg in seine Nase; dort unten brannte ein Lagerfeuer. Er konnte das Lachen hören, das sich in den Mauern fing und hier oben widerhallte.

      Der kleine Disput mit Olivia am Strand hatte ihm die Augen geöffnet. Monatelang hatte er seinem alten Leben nachgetrauert und darüber sein neues vergessen. Leider machte die Logik hinter den Worten den Verlust nicht ungeschehen. Er könnte jetzt dort unten sitzen, mit den anderen Cocktails trinken und später in der Dämmerung Marshmallows über dem Lagerfeuer grillen. Stattdessen hing er die meiste Zeit alleine rum – oder mit seinem neuen besten Freund Randy.

      Aber immerhin bin ich frei, machte er sich selbst klar.

      All die Zwänge, denen jeder dort unten unterworfen war, galten für ihn nicht länger. Wie leicht es sich doch als Paria lebte, wenn man es erst mal akzeptiert hatte. Schlimmer war, dass er sich jetzt selbst mit anderen Augen sah. Er war tatsächlich ein Widerling gewesen. – Olivia hatte Recht.

      »Hab ihn!«, rief Randy.

      Mason zuckte zusammen. »Cool, das hat jetzt auch der letzte Goldzeisig gehört.« Er knuffte ihn in die Seite. Glücklicherweise gehörte Randy nicht zur nachtragenden Sorte Mensch. Als Mason bei ihm aufgetaucht war, um sich nach dem gestrigen Streit zu entschuldigen, hatte der Freund nur abgewunken.

      »Lass


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