Die Krone der Schöpfung. Lola Randl
sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, als zwei verlotterte Gestalten sich aus dem Holzverschlag schälten und aus der Bushaltestelle herauswankten, direkt auf sie zu.
Scheiße, was war das denn? Sie hatten überall Verletzungen und waren voller dunkelbraunem Schmodder. Das musste mal Blut gewesen sein. Einem fehlten die Wangen und seine Zahnreihen waren bis hinten offen zu sehen. Die Typen kamen direkt auf sie zu.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, dachte Geraldine. Sie drehte sich um und wollte in den Supermarkt fliehen, aber da packte sie einer der Kerle auch schon am Oberarm.
»Gehirn …«, grunzte er.
PANIK
Man muss nicht in Panik geraten, braucht keine Angst zu haben, keine großen Mengen auf Vorrat kaufen und vor allem nicht versuchen, in sein Wochenendhaus zu fliehen.
Es hat immer einen besonderen Reiz, das zu tun, was man nicht tun soll, und manchmal hat man auch einfach das Gefühl, dass man es gerade doch tun sollte, weil es in Wirklichkeit das Allersinnvollste ist, nur dass eben nie alle das Allersinnvollste zur gleichen Zeit tun können und deswegen vor dem Allersinnvollsten gewarnt wird. Trotzdem hat es alle überrascht, wie schnell dann das Hamstern losging und die Autos sich auf den Ausfallstraßen aus der Stadt heraus stauten. An einem Tag war in den Discountern noch alles wie immer und dann, auf einmal, waren alle Regale leer, ohne dass sich sonst etwas Entscheidendes geändert hätte. Besonders erstaunlich war, dass es das Klopapier war, das als Erstes weg war und dann für lange Zeit nur noch ab und zu mal wiederkam. Ich habe mir nie viel aus Klopapier gemacht, aber wenn etwas weg oder wenig ist, entwickelt man mitunter ein starkes Verlangen danach. Und so begann ich, ab jetzt vor allem das einzukaufen, was nur noch besonders wenig da war, und wollte am meisten das haben, was gar nicht mehr zu finden war. Mehl und Zucker und Hefe und Klopapier. Der Mann kam mit einer Tüte Vitamintabletten nach Hause, so etwas hatte er noch nie gekauft.
Ich saß am offenen Küchenfenster, denn das war der Platz, an dem jetzt am besten jeder sitzen sollte, und schaute über den Dorfplatz zur Kirche, zum Haus des Liebhabers und zum Dorfsupermarkt. Im Hintergrund liefen auf YouTube Lieder aus meiner Jugend, das erschien mir gerade am passendsten. Menschen aus der Stadt, die noch kein eigenes Wochenendhaus hatten, fuhren herum und beugten sich dabei in ihren Autos vor und zeigten auf Häuser, in denen sie sich durchaus vorstellen konnten zu wohnen, wenn auch nur vorübergehend. Alte Freunde riefen an und auch Freunde, die schon lange keine Freunde mehr waren, erinnerten sich, dass man ihnen einmal ein Leben auf dem Land angepriesen hatte. Ich rechnete herum, bei einer Mortalitätsrate von, sagen wir mal, i % und einer Infektionsrate von 70 %, also bis zur Herdenimmunität – diese beiden Zahlen hatte ich jetzt schon häufiger im Internet gelesen –, macht das am Ende circa 4 Milliarden Infizierte und damit 40 Millionen Tote. Da merkte man ja schon, dass das irgendwie nicht stimmen konnte.
DRAMATURGIE
Hinten beim Kompost, da wo es wegen der hohen Bäume immer ein bisschen kühler und auch ein bisschen feucht ist, bilden die Brennnesseln im April erst nur einen fröhlichen hellgrünen Schimmer. Wenn man dann aber kurz nicht achtgibt, beginnen sie zu schießen. Sie schießen immer weiter und werden fett und dunkelgrün und bald kann man gar nicht mehr durchgehen, ohne dass die Nesseln einem die Unterarme verbrennen. Damit aber nicht genug, die Brennnesseln multiplizieren ihr Wachstum, bis sie übermannshoch sind. Aber da merken sie auch schon, dass sie langsam ein Problem kriegen mit den langen dünnen Stängeln, und die Blattläuse haben sich auch längst daran gewöhnt, exponentiell zu wachsen.
In einem abgeschlossenen Ökosystem, habe ich gelesen, stößt jedes Wachstum irgendwann an seine Grenzen. Es wächst einfach, bis es nicht mehr geht und von etwas anderem wieder herunterreguliert wird. Also entweder von einem Feind, einem Mangel oder Stress. Jedes Ökosystem reguliert sich selbst, das ist das, was ein Ökosystem überhaupt erst ausmacht. Alles, was einer in einem Ökosystem macht, hat Auswirkungen und fällt auf ihn und die anderen im Ökosystem zurück.
Jetzt können wir eigentlich nur noch abwarten, hat der Top-Virologe gesagt, als alle Vorsichtsmaßnahmen endgültig besiegelt waren. Wir schlossen uns ein und guckten auf die Kurven, die langsam aber stetig nach oben krochen.
APOTHEKE
Gleich, als ich bemerkte, dass die Apothekerin die freundliche Stimme aufgesetzt hatte, spürte ich wieder dieses beklemmende Gefühl im Brustkorb. Wenn Sie sich krank fühlen, bleiben Sie besser zu Hause. Rufen Sie beim Gesundheitsamt an, die helfen Ihnen gerne weiter. Gehen Sie bitte nicht zum Arzt und nicht ins Krankenhaus, außer es muss unbedingt sein. Wenn es unbedingt sein muss, gehen Sie sofort ins Krankenhaus.
Die Apothekerin konnte ja nicht wissen, dass die Stimmen vom Gesundheitsamt, wenn man dort anrief, empfahlen, dass man einfach mal zum Arzt oder in die Apotheke gehen soll. An der Koordination der Empfehlungen muss dringend noch gearbeitet werden, dachte ich. Ich habe dann doch noch mal gefragt, aber sie sagte wieder nur ganz ruhig in einem leichten, fast fröhlichen Ton, dass sie keine Atemmasken führen würden. Ich war mir eigentlich sicher gewesen, dass ich hier in der Dorfapotheke Atemmasken bekommen würde, weil in unserem Dorf trug noch niemand eine. Ich hatte mir schon vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn ich als Erste auf einmal mit einer Atemmaske herumliefe. Natürlich würden dann alle denken, dass ich das Virus habe und alle anstecke. Aber das dachten sie ja sowieso, weil im Grunde hatte ich ja auch die ganzen Leute aus all den Risikoländern hergeholt, und auch die, die immer zwischen Stadt und Dorf hin- und herfuhren. Es würde mir also so oder so angelastet werden. Aber die Atemschutzmasken waren aus beziehungsweise hatte es nie welche gegeben und sie könnten auch nicht nachbestellt werden, sagte die Apothekerin.
Das Tragen von Masken wäre im Übrigen gar nicht unbedingt hilfreich, wahrscheinlich sogar gefährlich, sagten die Verantwortlichen, die wussten, dass es nicht genügend Masken für alle gab und Panik vermeiden wollten. Nur, wenn man schon eine Maske hatte, dann sollte sie vielleicht trotzdem besser getragen werden. Man war sich ziemlich sicher, dass das Tragen von Masken mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht schaden würde.
PARTYS
Da fiel es mir auf einmal wieder ein. Irgendwie war alles aus dem Ruder gelaufen und ich hatte versprechen müssen, dass ich ihn nie wieder treffen würde. Und wir hatten uns auch wirklich schon seit Jahren nicht mehr getroffen, nicht offiziell und auch nicht inoffiziell. Aber auf der Party, in der Nacht, als ich so lange auf dem Filmfest unterwegs gewesen war, stand er auf einmal vor mir, und jetzt kamen mir auch wieder die Bilder in den Kopf, wie ich ihn geküsst habe, irgendwo zwischen den Mänteln an der Garderobe. Er war meine letzte Hoffnung, noch ein paar Details über die Veranstaltung zu erfahren, wegen der Zombieserie und dem Geld, das ich damit verdienen könnte, und ich rief ihn an. Es war dann allerdings doch keine gute Idee gewesen und letztendlich konnte er mir auch nur sagen, dass ich sehr betrunken gewesen war und komisch getanzt habe. Dann hat er noch gesagt, dass ich ihn bitte nie wieder anrufen soll.
Es gibt Partys, die sind schwer zu stoppen, wenn sie erst mal so richtig in Fahrt gekommen sind. In einer Après-Ski-Hütte im Nachbarland war eine Party am Laufen und wollte einfach nicht aufhören. Jedes Jahr im Dezember fängt die Party dort an und nimmt täglich an Fahrt auf. Zum Fasching wird dann der Turbo gezündet und die Party schießt unkontrollierbar bis zu ihrem Aufprall Anfang Mai. Schließlich musste der Landeshauptmann schweren Herzens die Skisaison vorzeitig für beendet erklären, anders war das Treiben nicht zu stoppen. Da fuhren die Angesteckten nach Hause und wurden dort die Patienten 1, wenn nicht der Patient i zwischenzeitlich von woanders gekommen war.
GENRE ZOMBIE
Der Zombiefilm ist eine Unterkategorie des Horrorfilms. Ansonsten gibt es auch noch Psycho, Splatter, Mystery, Exorzismus, Geister und Clowns. Beim Zombiefilm geht es meistens darum, dass jemand, der eigentlich tot ist, gar nicht wirklich tot ist, sondern aus irgendwelchen Gründen Kontakt zu den Lebenden sucht, um diese ebenfalls in Untote zu verwandeln. Das Wesentliche