Macbeth Melania. Katharina Tiwald

Macbeth Melania - Katharina Tiwald


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für eine große Tageszeitung, hie und da lief ein Text von ihr auf Ö1; sie hatte eine Anzahl von Stücken geschrieben, die allerdings nie über Kleinbühnen hinausgekommen waren, ihr bisher einziger Roman war in einem Verlag erschienen, der keine Romane mehr verlegte, weil sich das alles mit Büchern nicht mehr lohnte, dafür war der Verlag das größte Medienhaus Österreichs, aber das hatte der Tiwald auch nichts gebracht. Mike war sich sicher, dass nur eine Handvoll Menschen, die nicht mit ihr verwandt oder befreundet waren, jemals etwas von der Tiwald gehört hatten. »Um das geht’s nicht«, hatte die Tiwald gesagt und sicher nicht wirklich so gemeint, als er sie darauf angesprochen hatte, aber gut. Ihre neue Idee war auf jeden Fall aufregend genug, um sie für eine Inszenierung durchzudenken. Und Mike Knutkovsky beriet ja auch nur die Hinterbänkler in der Partei und keineswegs den Vorsitzenden.

      IIDIE IDEE

      »Melania«, sagte die Tiwald und goss wie bei jedem Treffen mit dem Kaffeelöffel ein paar Schluck Wasser in ihren Verlängerten, »Melania Trump.«

      Es war Frühsommer, und es klang gut, wie die Tiwald von der Trump’schen Angelobung erzählte, von der großen Kälte, die von dem Orangenkopf und seiner Angetrauten ausgegangen war, von Melania, in deren Blicken die Tiwald, während sie die Zeremonie online verfolgt hatte, eine offenkundige Trauer gesehen haben wollte. »Das hat das Ausmaß einer Tragödie«, sagte die Tiwald und zog eines von den Schulheften hervor, in das sie ihre Gedanken verteilte; sie hatte sich ein paar Notizen gemacht, ein paar Internetseiten notiert, Memes ausgedruckt und eingeklebt, einen Verweis auf eine loopartige Aufnahme des einen Augenblicks während der Angelobung, da Melania in einem Ausdruck der Trauer zu Boden blickte, als hätte sie gerade vom Tod eines geliebten Menschen erfahren (man könnte sich sicher sein, dass dieser Mensch nicht Donald wäre, sagte die Tiwald und klang gescheit). Dieser Loop war im Internet auf- und abgespielt worden. Alle Welt hatte Mitleid mit Melania Trump, die so fertig aussah bei der Angelobung. Wie bei einer Beerdigung. Das Notizheft der Tiwald sah aus wie Garfield nach einem Intensivwaschgang.

      Mike hörte sich das an und nickte.

      »Es hat mal ein Stück gegeben über die Hannelore Kohl«, sagte die Tiwald, »das hab ich zwar weder gesehen noch gelesen, es ist ja hier nicht gelaufen, aber ich hab damals Rezensionen gelesen, ist schon ewig her. Sie hat eine Lichtallergie gehabt. Hat angeblich das Haus nicht mehr verlassen können. Und dann ging es in einem Monolog um ihre letzte Stunde oder so. Sehr dunkel. Auch sehr langsam. Die Rezensionen waren, wenn ich mich richtig erinnere, nicht so großartig. Na ja. Das ist ja immer die Stolperfalle bei den Politikergattinnen: Was tun sie? Vor allem, wenn sie nicht berufstätig sind? Ikebanakurse? Kunst anschauen? Und wenn sie nichts tun: Wie stellt man das dar, diese Leere, diese Trauer, die Depression? So, dass nicht nichts ist? Und warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts? Wir nehmen nix mit hinüber ins Grab. Nix. Warum ist überhaupt irgendwas?«

      Die Tiwald nahm gekünstelt untheatralisch ausschauend einen Schluck Kaffee.

      Mike nickte wieder. Der ungewollte Nebenjob, aus einer alten Eisenwarenhandlung ein Universum zu machen, hatte ihn zusätzlich erschöpft, noch Erschöpfung auf Erschöpfung geschichtet. Der Vorsitzende der Partei, die ihn angeheuert hatte, war nicht unbedingt unfordernd. Der Mann hatte einen Riecher für geschickte Selbstdarstellung, war ein guter Rhetoriker und wollte, dass Mike Knutkovsky dasselbe aus den Hinterbänklern der Partei machte. »Ein Deutscher«, hatte es geheißen, »traut sich zu sagen, was ein Österreicher nur durch die Blume sagt. Und ich will kein ›Schauma einmal‹, ich will ein ›So geht das‹. Da sind die Berliner verlässlicher. Die Wiener kannst vergessen.«

      (Mike hatte dem Vorsitzenden trotzdem durch die rote Nelke zu verstehen gegeben, dass er einen der teuren Berater gut zwischen der Entourage verbergen sollte; auch innerhalb der eigenen WählerInnenreihen käme es nicht so gut, wenn durchsickern würde, dass ausgerechnet ein Israeli um viel Geld angeheuert worden war – »Ich weiß, dass die Österreicher Antisemiten sind«, hatte der Vorsitzende schulterzuckend gesagt und die Hinterbänkler in Mikes Hände gelegt, der seitdem potenzielle Facebook-Postings gegenlas, sich eventuelle Redebeiträge anhörte, Zusammenhänge andeutete und sich sogar zu Stylingtipps verstieg.)

      Kurzum, das Polittheater hätte Mike eigentlich gereicht, aber er war schultheater- und unitheatererfahren genug, hatte während seiner Ausbildung genug Theatervolontariatsluft und Theaterhospitanzluft geschnuppert, um das Theater ein bisschen zu lieben, obwohl er die Totalität der Sinnlosigkeit eines theatralen Unterfangens als Communication expert natürlich zu hundert Prozent durchschaute. Die Griechen und ihre Katharsis, jaja, die Gesellschaft und ihr Theater, damals hatte es eben noch kein Netflix und kein Hollywood gegeben. Gesellschaftliche Katharsis im 21. Jahrhundert, Schaustück 1: Happy End wider alles bessere Wissen; Schaustück 2: Superheld rettet die Welt; Schaustück 3: Jegliche Politik ist korrupt, Verschwörungen reichen bis ins Weiße Haus, und »einer von uns« räumt auf. Mehr geht nicht. Noch mehr, und alle schalten ab.

      Trotzdem. Ein Teil von ihm war ein bisschen ein Träumer. Er liebte ja das Theaterhafte an der Kommunikation, das Inszenieren, die Vorhänge, die Auftritte, die effektvollen Abgänge, die Outfits, die Beleuchtung, ja, das liebte er.

      Melania. Das Universum.

      Er hätte sich sonst in die Psychiatrie saufen können oder ins Jenseits jagen nach Jahren von Sonntagsessen bei Mama und Papa und einsamen Tinder-Dates.

      So kam er sich vor: Er konnte sich die Scheiße von den Schuhen wischen, in die er in Deutschland getreten war, weil er sich diese Liebe holen konnte, die Zuneigung von irgendwelchen Bezirksvertretern und dem eifrigen Fußvolk, das auf niedrig angesiedelter Ebene herumschwirrte. Er konnte sich Liebe holen, weil dieses Wien nicht nur aus der Parteizentrale bestand und dem Gefühl einer gewissen Duldung – schließlich war er nicht ohne Nepotismus in Wien gelandet, der Hauptstadt der Freunderl, die ihre Netze in ganz West- und Mitteleuropa aufgespannt hatten, das heißt, die Leistungserwartung war nicht burnoutleveldrohend, es reichte schon zu sagen: Ich bin einer von diesem Beraterkonzern –, nein, dieses Wien hatte ein Universum, und es roch darin vertraulich nach einer Vergangenheit, die sich Mike, ein Kind der Achtziger, manchmal zurückwünschte, und im Universum war auch schon eine Bühne eingebaut, weil der Urbanek auf Anweisung der Bezirksvorsteherin Leute organisiert hatte, die getragen, gesägt, gezimmert und getischlert hatten; es roch schon nach was, es roch ein bisschen nach Zukunft; und dann war da diese Tiwald, die von Melania redete, und eigentlich war Mike auch irgendwie entsetzt vom Lauf der Welt und freute sich darauf, eine Tragödie über Melania Trump zu inszenieren. Obwohl er wusste, dass er zum Lauf der Welt schon sein Scherflein beigetragen hatte. Jedes Schäflein trägt sein Scherflein bei. Mäh. Mählania.

      IIICASTING IDEALER HEXEN

      »Ich komm nicht weiter«, sagte die Tiwald und klopfte an ihr Sodaglas. Es war inzwischen Ende Juni, die Sonne heizte ihr Schweiß auf die freigelegten Schultern. »Ich bin ja nicht so die Schreiberin von großen Dramen.«

      »Aha«, sagte Mike und runzelte zart die Stirn. Man hätte es bemerken können.

      »Mich«, fuhr die Tiwald ungerührt fort, »interessieren eher die Tableaus. So, wie wenn man von Szene zu Szene eine Kamera umstellt und dann draufhält. Tragödien brauchen aber einen dramaturgischen Bogen. Ich will ja nicht sagen, dass ich unerfahren bin, immerhin wär das jetzt mein neuntes Stück. Trotzdem. Drei davon sind Monologe, zwei sind sehr experimentell. Eines heißt ›found footage opera‹ im Untertitel, da geht’s um, hm, sagen wir, um die Qualität von Sprache.«

      »Du willst mit der Qualität von Sprache in Zeiten wie diesen Leute ins Theater bringen?«, fragte Mike etwas gequält.

      Die Tiwald richtete sich auf, der Lucky Luke auf ihrem Muscleshirt spannte sich über ihren oberen Oberkörper, und sie sagte, dass sie nicht auf die Erforschung der Lautlichkeit pfeifen werde, auch wenn man heutzutage darauf achten müsse, dass nicht die Hälfte des Landes hasserfülltes Geifern als normale Redeform zu erachten begänne, »aber die lautliche Ebene«, sagte sie, vorgelehnt, als wolle sie Mike eine Liebeserklärung machen, »wenn ich auf die lautliche Ebene nicht aufpass’, dann sind die anderen


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