Macbeth Melania. Katharina Tiwald
Premierentermin. Wenn ich inszenieren soll, dann brauche ich bald einen Text.«
»Ich hab mir gedacht«, sagte die Tiwald und nippte, »ich überschreibe Macbeth.«
»Ach? Überschreiben?«
»Ja. Also ich verschneide die Geschichte von Melania Trump mit Macbeth.«
»Hm.«
»Das ist mittlerweile, wie du weißt, fast ein eigenes Genre im Theater. ›Faust‹ in die Gegenwart übersetzt. Oder ›Die Räuber‹, fällt mir gerade so spontan ein, verschnitten mit der Story von der Lehman-Brothers-Pleite.«
»Ist am Schluss der ›Räuber‹ nicht der eigentliche Räuber so eine Art Robin Hood? Gerechte Revolte? Wie geht denn das mit Lehman zusammen?«
»Na, die Proteste, die 99 Prozent. Die Anti-Wallstreet-Bewegung, die damals im Central Park campiert hat.«
»Hört man noch was von denen?«
»Man hört noch was von Hipstern.«
»Aha.«
»Gut, das müsste ich noch einmal überdenken. Im Fall, dass. Also die Räuber. Man kann natürlich radikal. Überschreiben, mein ich. Aber ich hab eh zu viel zu tun. Also Macbeth.«
»Aber passt diese Lady Macbeth überhaupt auf Melania?«
»Auf jeden Fall sind beide tragische Figuren.«
»Hast du Macbeth gelesen?«
»Bin grad dabei.« Die Tiwald, das hatte Mike schon beobachtet, hatte ihre Hinternhälften immer auf verschiedenen Hochzeiten im Einsatz und war immer an irgendwas dabei. »Am Puls der Zeit«, hatte die Bezirksvorsteherin das genannt.
»Vor etlichen Jahren hab ich eine stark gekürzte Version im Schauspielhaus gesehen. Und jetzt wälz’ ich The Complete Works of William Shakespeare. Wenn ich mich am Nachmittag wieder erholt habe. Und ich zähle überhaupt auf den Juli«, (die Tiwald unterrichtete in Sachen Brotberuf nämlich Teenager am Stadtrand von Wien, in der Schulform für die, die es nicht aufs Gymnasium geschafft hatten, und behauptete, es mache ihr Freude, aber keineswegs in voller Lehrverpflichtung) – »diese Complete Works hat mir mein Vater … also die Sache war die: Ich war Anfang zwanzig, frisch zurück aus einem Jahr an der Uni in Glasgow, und ich war vor lauter Regen und Liebeskummer dort ziemlich depressiv, et cetera, aber ich hab gelernt, wirklich in Shakespeare einzutauchen. Hab eine schöne Gesamtausgabe gesehen und meiner Mutter davon erzählt, die Englischlehrerin ist. Und mein Vater kommt nach Wien und geht mit mir in die Buchhandlung am Campus, weil er mir sagt, er will diesen Shakespeare für meine Mutter kaufen. Zu Weihnachten. Und dann ist Weihnachten, ich fahr zu meinen Eltern – und was krieg ich geschenkt? Den Shakespeare. Meine Mutter war ziemlich angefressen, wie ich erzählt hab, dass mein Papa und ich das gemeinsam kaufen waren, weil quasi die Überraschung verdorben war.«
Die Tiwald grinste, nippte und fuhr fort: »Find ich gar nicht. Ich hab ja in meiner naiven Unschuld wirklich geglaubt, dass meine Mama den Shakespeare kriegt. Irgendwie hab ich meinen Papa extralieb dafür, dass er mich da mitgenommen hat. Werd ich nie vergessen. Auch wenn’s vielleicht Faulheit war. Oder er hat nicht mit der Buchhändlerin reden wollen, was weiß ich. Oder er hat sich Sorgen gemacht, dass er das falsche Buch kauft. Mein Vater ist nicht der rasende Redner. Vielleicht schreib ich deswegen Bücher. Das ist die Story von meinem Shakespeare. Meine Mutter hat für mich auf das Geschenkpapier Blankverse geschrieben, bitte sehr.«
»Ein privilegierter Haushalt.«
»Ja, schon. Ich fühl mich mit zunehmendem Alter«, sagte die Tiwald, »auch dankbar dafür, wie ich hab aufwachsen dürfen. Mir wird immer klarer, wie unselbstverständlich das ist.«
»Das Fahrrad, die Bücher, die Urlaube, die Verwandten, die allesamt Akademiker sind.«
»Nein, alle nicht. Meine Oma ist in einer Mühle aufgewachsen, als Müllerstochter, und hat ihr Leben lang in der Eisenhandlung gehackelt, die ihrem Mann gehört hat. Die hat nicht mehr als ihre acht Jahre Volksschule, und Teile davon im Krieg.«
»Ah ja, die Eisenwarenhandlung. Genau, haste ja erzählt. Muss ich dich noch ausfragen zu.«
»Und mein Opa war Lehrer, aber nicht von der Uni kommend. Kein Magister oder so. Einfach Volksschullehrer, das wurde man damals mit fünf Jahren Oberstufe, nach der Matura hat man gleich weitergemacht und selbst unterrichtet. Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind in der Schule von Miedlingsdorf einen Film gesehen hab, ›Die Stadtmaus und die Feldmaus‹, in Schwarzweiß, auf riesigen Filmrollen. Und noch viel wichtiger: Mein Opa ist extra aus dem Burgenland mit mir nach Wien gefahren, damit ich den ›Barometermacher auf der Zauberinsel‹ hab sehen können. Da war ich in der Volksschule. Raimund. Mein Opa ist mehrere Male zu Martini mit mir nach Wien ins Theater gefahren.«
»Raimund?«
»Ferdinand Raimund. Mitte des 19. Jahrhunderts. Hat sich erschossen, weil er geglaubt hat, der Hund, der ihn gebissen hat, hat die Tollwut.«
»Österreicher?«
»Na sicher.«
»Ach, ihr suizidales Volk, ihr. Und was ist jetzt mit Macbeth? Erzähl mal.«
»Es gibt auf jeden Fall die drei Hexen.«
»Ja, das weiß ich auch, dass es die drei Hexen gibt. Und die verführerische Verheißung kommenden Ruhms als König. Ist das jetzt Trump, oder wie?«
»Is this a dagger«, sagte die Tiwald gewichtig und hob den rechten Arm mit dem Eislöffel, »which I see before me?«
»Ist dies ein Dolch, was ich vor mir erblicke? Oder eine verzweifelte Theaterautorin?«
Die Tiwald senkte den Eislöffel wieder, blätterte in ihrem Heft und trug vor: »Macbeth is a play about the eclipse of civility and manhood, the temporary triumph of evil.«
»Aha. Ja. Der vorübergehende Triumph des Bösen. Ich hoffe übrigens, es hört gerade niemand auf zu lesen.«
Die Tiwald wachelte energisch mit einer Hand und redete weiter: »Vorübergehen und verschwinden. Zu Allerheiligen, fällt mir da ein, gehen in den burgenlandkroatischen Dörfern ein paar Burschen von Haus zu Haus, klopfen an die Fenster und rufen: ›Pikabu!‹ Erschrecken die Leute. Und ziehen weiter. Die Frage ist halt, ob das hier weiterzieht. Ob wir sozusagen in einem Foto unserer Zustände leben, oder ob der Spuk beim nächsten Mal vorbei ist.«
»Der Spuk. Die Hexen.«
»Es gibt ein paar Damen, die ideale Hexen darstellen würden. Zum Beispiel diese Tante, die von alternative facts gesprochen hat. Als es darum ging, wie viele Leute jetzt wirklich bei der Angelobung waren. Kellyanne.«
»Die Trump die Zukunft voraussagt: Was seh ich im Kessel? Alternative facts.«
»Die Tochter, Ivanka, seh ich da eventuell auch am Kessel stehen und rühren. Sweet and blonde.«
»Wobei wir natürlich nur in Andeutungen inszenieren können.«
»Natürlich. Obwohl: Die New York Times wird wohl kaum über unsere Premiere im Universum berichten.«
»Und die dritte Hexe? Hillary? Im weißen Anzug? What goes up must come down. Sie könnte schön was im Schilde führen.«
»Nein. Hope Hicks.«
»Hope Hicks? Echt? Die heißt so?«
Die Tiwald grinste, nickte: »Schön, gell?«, und konsultierte ihr zerfleddertes Schreibheft: »Das englische Wikipedia sagt, sie war ein ›teenage model‹, hatte dann einen Job in der Trump Organization – die Trump Organization, lass dir das mal auf der Zunge zergehen, und zwar hat sie mit Ivanka an deren Fashion-Linie gearbeitet –, und dann war sie ›press secretary and early communications director for Trump’s 2016 presidential campaign‹. Geboren 1988, fast zehn Jahre jünger als ich.«
»Model?«
»Für ein paar Magazine und für ein paar Buchcover.«
»Eine