Flügelschatten. Carolin Herrmann

Flügelschatten - Carolin Herrmann


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in der Hoffnung, dass er nachgibt. Unter meinem Aufschluchzen höre ich, wie im Zimmer nebenan jemand aufstöhnt. Sollen sie doch alle aufwachen.

      Panik ergreift mich beim Gedanken an die Wesen um mich herum. Was alles passieren könnte! Und ich liege hier in einem Bett herum und schlafe bloß! Es könnte eine Falle sein, vielleicht wollen sie mich in Sicherheit wiegen, nur um dann anzugreifen, wie die Männer im Wald. Selbst wenn sie nicht so wirken, könnte das lediglich eine Tarnung sein.

      Ich beiße auf meine eigene Faust, um still zu sein, krieche an die Wand, zitternd vor Schreck.

      Diese seltsame Traumszene will nicht aus meinem Kopf verschwinden, dieselben Bilder, wie sie mich heute auch im Flur überkamen. Was könnten sie bedeuten?

      Es war … ich weiß nicht. Ein Gesicht. Ich kenne ihn nicht. Doch, schon, ich kenne ihn, nur kann ich mich nicht erinnern. Wieder entgleitet mir das Bild, je stärker ich versuche, es an die Oberfläche meines Bewusstseins zu ziehen. Die Konturen verblassen und verschwimmen, als würde ich mich im Wasser befinden und krampfhaft die Augen aufreißen, um etwas zu erkennen, aber je länger ich das tue, umso mehr beginnen sie zu brennen, bis ich schließlich gar nichts mehr sehen kann.

      Ich schniefe und wische mir grob über das Gesicht. Ist es nicht albern, wie ich hier herumschreie und alle aufwecke, noch dazu bloß, weil ich einen merkwürdigen Traum habe? Die erklären mich für verrückt! Wenngleich mir die Meinung der Menschen und Elfen oder wer sonst noch hier lebt, gleichgültig sein könnte, habe ich vor, eine Weile zu bleiben, und da ist es von Vorteil, wenn sie mich nicht schon von der ersten Nacht an nicht leiden können.

      Ich muss leise sein, unauffällig.

      Gehetzt springe ich auf, laufe zum Fenster und reiße die beiden Flügel auf, sodass kühle, frische Luft hereinströmt und mir durch die Haare fährt. Es regnet schon wieder und die Tropfen prasseln mir in das Gesicht. Es macht mir nichts. Im Gegenteil. Ich schließe die Augen und atme tief den Geruch nach Regen und Nacht ein. Langsam beruhige ich mich wieder.

      Dennoch dauert es, bis ich erneut einschlafen kann. Ich rolle mich dieses Mal vor dem Bett zu einer Kugel zusammen, die Arme um meinen Körper geschlungen.

      Ich spüre den harten Boden überdeutlich unter mir und das besänftigt mich, so wie auch der leichte Wind, der sanft über mein Gesicht streicht und mich so in den Schlaf wiegt.

      Den Rest der Nacht verbringe ich zu meiner Erleichterung traumlos und am nächsten Morgen wecken mich die Sonnenstrahlen, was mir wenigstens etwas von dem Gefühl aus meiner Heimat vermittelt. Schlagartig reiße ich die Augen auf und blinzle in das helle Tageslicht. Langsam richte ich mich auf. Das Bettzeug ist zerwühlt, die Kissen liegen auf dem Boden.

      Ich seufze und richte es halbwegs. Bei Tageslicht betrachtet wirkt der Raum ganz anders, das Bett ist nicht mehr derart riesig und bedrohlich und durch die großen Fenster ist es glücklicherweise offen und hell. Es ist ein recht großes Zimmer, wenn auch zu klein für meinen Fluchtinstinkt. Doch bei der Führung durch den Rest der Villa habe ich gesehen, dass es noch deutlich schmalere Räume mit deutlich mehr Betten gibt und deshalb sollte ich wohl zufrieden sein.

      Unsicher ziehe ich die Schultern hoch und streiche über meine Arme, überlege, was ich wohl als Nächstes machen soll oder was von mir erwartet wird. Was machen Menschen am Morgen?

       Frühstücken?

      Darf ich mit ihnen frühstücken? Ich glaube, ich will gar nicht bei ihnen sein. Was essen sie überhaupt? Vielleicht sollte ich mir selbst etwas suchen. Draußen. Ich muss an die frische Luft, davon bekomme ich einen klaren Kopf und kann viel besser nachdenken. Doch weiter als mich umzudrehen komme ich gar nicht, denn im nächsten Moment fliegt etwas durch den Türspalt auf mich zu, zer­zaust meine Haare und ich schreie auf.

      »Hey!«

      »Huhu!«

      »Hallo!«

      »Wir sind Layla.«

      »Leolynn.«

      »Lindariel.«

      »Und wir werden …«

      »… dich …«

      »… jetzt erst mal hübsch machen!«

      »Na, was sagst du?«

      Mir klappt der Mund auf und mein Blick fliegt zwischen meinen drei Besuchern hin und her. Verängstigt presse ich mich gegen die Wand und starre sie entgeistert an. Wer oder was sind sie und was wollen sie von mir?!

       Weg von hier!

      Ja, sofort!

      Auch wenn die Sprecherinnen nicht gerade groß sind, gelingt es ihnen, mich weiterhin an die Wand gedrückt zu halten, indem sie ganz nah vor meinem Gesicht mit ihren Armen herumfuchteln und wie wild auf mich einplappern.

      »Na ja, eigentlich musst du nichts sagen. Oder tun.«

      »Ja, wir machen das alles schon.«

      »Halt einfach still!«

      »Nein, sie muss erst mitkommen!«

      »Genau, komm, wir zeigen dir, wo es langgeht.«

      »In Ordnung?«

      Sie grinsen mich allesamt begeistert an, sodass ich noch weiter zurückweichen will. Schlagartig ist die Furcht zurückgekehrt und meine Knie beben, unschlüssig, ob sie davonstürzen oder einfach unter mir nachgeben sollen. Die drei Plappertanten sind ungefähr so groß wie meine Hand plus Finger, haben kleine, zarte, durchsichtige Flügel auf dem Rücken, bis auf eine, deren Zöpfe auf und ab wippen. Sie sehen merkwürdiger aus, als ich es mir vorstellen könnte. Layla, die größte, trägt ein langes gelbes Kleid, das aus einzelnen Blüten­blättern gefertigt ist und mit einem breiten braunen Gürtel zusammen­gehalten wird. Dazu sitzt ein riesiger Sommerhut auf ihrem Kopf, so groß, dass er ihr ständig ins Gesicht rutscht. Zu meinem Entsetzen leuchten sowohl ihre Haare als auch ihre gesamte Haut in einem ausgesprochen kräftigen Grün.

      Die zweite, Leolynn, hat zartviolette, zu zwei Zöpfen gebundene Haare, mit denen sie sich in der Luft hält, indem ihre langen Zöpfe auf und ab flattern. Der Rock zu dem gleichfarbigen Oberteil sieht wie eine umgestülpte Glockenblume aus und auch die Haut dieses kleinen Mädchens hat einen ungesunden Ton – ein bläuliches Violett.

      Die dritte und kleinste, Lindariel, hat sich in schillernden silbrigen Stoff gehüllt, genau wie auch ihre Haut mit diesem schimmernden Staub bedeckt ist. Nur ihre wunderschön gelockten Haare stechen deutlich hervor, denn sie leuchten in allen Farben des Regenbogens.

      Sie reden mit hohen aufgeregten Stimmen und noch dazu in einer Geschwindigkeit, dass ich für einen Moment sprachlos bin.

      Ich versuche einen Ton herauszubekommen, doch mein Hals kratzt schrecklich dabei, sodass ich mich erst mal räuspern muss.

      »Auf jeden Fall sollten wir dich ein bisschen hübsch und ordentlich machen, weißt du?«

      »Wir sind schließlich Feen«, verkündet Leolynn nun und dreht sich mit ausgestreckten Armen einmal um sich selbst, als wäre nun alles klar. Feen … ich spüre, dass da etwas in meinem Kopf ist, das sich an diesen Namen erinnert. Es dauert, wie bei den Elfen auch. Mir ist gar nicht klar, was für verschiedene Wesen in dieser Welt leben. Die drei bemerken wohl, wie verwirrt ich den Kopf schräg lege, und wechseln nachdenkliche Blicke.

      »Wir wohnen in Blumen.«

      »Wir sind Blumen.«

      »Ja, ich bin eine Sonnenblume, schau!« Layla flattert aufgeregt auf und ab. Tatsächlich erinnert sie mich mit dem gelben Kleid und der grünen Haut an die entsprechende Blume.

      »Unsere Kleidung ist auch aus Blüten gemacht, nur …

      »… uns wurde das zu langweilig. Wir haben ganz viele tolle Sachen.«

      »Immer nur eine bunte Tupila zu sein – nein danke.« Lindariel verdreht die Augen und ich versuche rasch, mir die entsprechende Pflanze mit einer Blüte, die in allen Farben des Regenbogens schillert, vorzustellen.


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