Yasemins Kiosk - Eine bunte Tüte voller Lügen. Christiane Antons

Yasemins Kiosk - Eine bunte Tüte voller Lügen - Christiane Antons


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waren sie durch den Ravensberger Park in eine nahe gelegene Kneipe spaziert. Seitdem plapperte das Miststück ihr einen Keks an die Backe. Sie erzählte von ihrer Arbeit und diesem einen boshaften Kollegen, der ihr das Leben schwer machte. Von ihrer Mutter, um die sie sich gerne mehr kümmern würde. Und über den Schmerz, der einen ereilt, wenn ein Mensch immer weniger wird, den man liebt. Sie hörte nicht wirklich hin. Zwischendurch zu nicken und freundlich zu gucken, war völlig ausreichend.

      Als sich das Miststück nach ihrer zweiten Weißweinschorle auf die Toilette verabschiedete, streute sie ihr das Mittel ins Getränk. Sie hatte extra einen Platz in einer Nische gewählt, niemand schenkte ihr Beachtung. Sie hatte gründlich recherchiert und hoffte, dass die Dosis des Antihistaminikums stimmte. Das Miststück sollte einschlafen und nicht sterben. Wo blieb denn sonst das Vergnügen?

      Es dauerte ein bisschen, dann verlor ihr Gegenüber häufiger den Faden beim Erzählen und ihr Wimpernschlag wurde langsamer. »Mir ist irgendwie … komisch«, lallte sie schließlich.

      Mit beruhigender Stimme und besorgtem Blick bot sie dem kleinen Miststück deshalb an, sie sicherheitshalber nach Hause zu fahren. Ein dankbares Nicken war die Antwort.

      Sie zahlte und stützte die Frau, als sie die Kneipe verließen. In ihrem Wagen verlor ihre Zielperson das Bewusstsein, besser hätte das Timing nicht sein können.

      Sie konnte kaum fassen, wie gut bislang alles funktioniert hatte und wie einfach es gewesen war. Um nicht zu euphorisch zu werden und deshalb womöglich einen Fehler zu begehen, stellte sie sich eine schwierige Rechenaufgabe und beschäftigte sich damit, während sie durch die beleuchteten Straßen ihrem Ziel entgegenfuhr.

      7

      Yasemins Kiosk war nicht einfach eine Anlaufstelle, an der man Weingummi, Zigaretten, Kaffee, Zeitschriften oder Bier erhielt. Ihr Kiosk war ein Ort mit Herz, zu dem die Menschen kamen, weil sie bei einem Kaffee einen kurzen Schnack am Tresen halten wollten oder weil die junge Kioskbesitzerin ihnen im Hinterzimmer gegen Bares auf die Hand die Haare schnitt.

      Yasemin gab auf ihre Kunden acht. Für Erika aus der Nachbarschaft hatte sie immer Wollknäuel im Sortiment, damit die über Achtzigjährige dafür nicht bis in die Innenstadt fahren musste. Für Witwer Heinz hielt sie stets eine Packung Weinbrandpralinen parat, die sonst niemand kaufte.

      Nina schlenderte an der roten Bank, auf der Gönn dir eine Pause geschrieben stand, vorbei und betrat den Kiosk. Sie lächelte zufrieden, denn hinter dem Tresen hielten Doro und Yasemin ihre Köpfe über Papiere. Die kleine Ela saß neben ihnen in einem Pappkarton, nahm ein altes Telefonbuch auseinander und brabbelte dabei lautstark vor sich hin.

      »Ist das schön, dass du wieder in deinem Kiosk stehst, Yasemin! Und gut zu wissen, dass du noch andere Kleidungsstücke als Jogginganzüge besitzt.«

      Ihre Freundin streckte ihr als Antwort die Zunge heraus. »Sen kendin işine bak! Das sagt die, der ich ’nen Lippenstift kaufen musste, weil sie mit Ende vierzig keinen eigenen besessen hat.«

      »Ey! Mitte dreißig!«

      Yasemin machte eine wegwerfende Handbewegung. »Egal. Ab dreißig geht’s eh bergab.«

      »Na, dann sieh mal zu, dass du die nächsten sieben Jahre noch in vollen Zügen genießt, ich glaube aber nicht, dass du …«

      »Ihr Lieben, gerade benehmt ihr euch beide nicht erwachsener als Ela«, unterbrach Doro mit erhobener Hand den Schlagabtausch. »Yasemin, ich würde dir gerne noch kurz die letzten Bestellungen zeigen, die ich in Auftrag gegeben habe. Dann bist du wieder auf dem Laufenden und ich kann mich ein paar Stündchen an meinen Schreibtisch setzen.«

      »Sorry, lasst euch nicht stören.« Nina goss sich hinter der Theke eine Tasse Kaffee ein, schnappte sich einen Schokoriegel und setzte sich draußen auf die Bank. Sie schloss die Augen, um die Strahlen der Herbstsonne auf ihrem Gesicht zu genießen, da hörte sie eilige Schritte näher kommen.

      Erika steuerte zielstrebig auf den Kiosk zu. »Nina, wunderbar, dass ich auch dich antreffe. Ist Dorothee im Kiosk?«

      »Ja, Yasemin und sie sind mit Papierkram beschäftigt.«

      »Umso besser, dann habe ich euch alle drei zusammen. Die Papiere werden warten müssen. Komm!«

      Entschlossenen Schrittes ging die alte Dame die Stufen so zügig hoch, dass sie schneller die Tür erreichte als Nina, die sie ihr eigentlich hatte aufhalten wollen.

      »Ist alles in Ordnung, du wirkst etwas …«

      »Nichts ist in Ordnung, aber ich baue auf euch.« Der Satz ließ Yasemin und Doro umgehend hochschauen.

      »Erika, was ist los? Wie können wir dir helfen?«

      »Yasemin, Schätzchen, mein Neffe Pascal steckt in riesigem Schlamassel und benötigt dringend eure Hilfe.« Erika atmete tief durch und hielt sich am Tresen fest.

      Doro schob ihr einen Stuhl hin und Erika setzte sich dankbar. »Nina, tu mir einen Gefallen und dreh das Schild an der Tür für einen Moment auf Zu. Das, was ich euch jetzt zu erzählen habe, muss sonst niemand hören.«

      8

      Sie hatte nicht lange nach einer geeigneten Unterkunft suchen müssen. Ihre magischen Bücher hatten ihr einmal mehr die Lösung präsentiert. Sie hatten bereits ihre Tränen im dunkelsten Moment aufgefangen, um ihr dann den Weg aus der Krise aufzuzeigen.

      Hier im Wald würde sie niemand stören. Die paar Wanderer, die am Wochenende oberhalb des leer stehenden Hauses entlangschritten, stellten keine Gefahr dar. Um sicherzugehen, hatte sie das als Allererstes im Vorfeld getestet. Dazu hatte sie ein Radio in voller Lautstärke in den Keller gestellt und auf dem Wanderweg gelauscht. Es war nichts zu hören gewesen. Danach hatte sie den Raum nach ihren Vorstellungen ausgestattet.

      Sich selbst hatte sie eine Leseecke eingerichtet mit einem Tisch, einem Stuhl und einer batteriebetriebenen Lampe. Für das Miststück hatte sie eine Matte, eine Decke, einen Stuhl und einen Eimer mitgebracht.

      Sie musste fast lachen, weil das Laufband, das sie zudem aufgestellt hatte, so absurd in diesem alten, feuchten Kellerraum wirkte. Es hatte sie an ihre körperlichen Grenzen gebracht, das Stromaggregat hier hochzuhieven, aber sie hatte es geschafft. Trotz Wadenkrampf. Das Miststück vom Parkplatz in der Schubkarre hierher zu transportieren, war dagegen ein Kinderspiel gewesen.

      Nun saß sie in ihrer Leseecke und wartete darauf, dass ihre Gefangene, die vier Meter vor ihr geknebelt und gefesselt auf dem Stuhl saß, aufwachte. Sie mochte die Zahl vier, deshalb hatte sie diesen Abstand gewählt.

      Die Zeit vertrieb sie sich damit, Radio zu hören und lustlos in einer Modezeitschrift zu blättern. Wäre sie Chefin dieses armseligen Blatts, hätte sie die Moderedakteurin gefeuert.

      Nach einer weiteren Stunde gab die Frau endlich erste Laute von sich und bewegte ihren Kopf. Dann versuchte sie, ihre Arme zu bewegen, registrierte aber offenbar, dass etwas nicht stimmte, dass dies kein normales Erwachen am Morgen in ihrem Bett war. Ihre Bewegungen wurden hektischer, das Miststück öffnete die Augen, hob den Kopf, blickte sie nun direkt an und verstand – nichts.

      Für einige Minuten betrachtete sie lächelnd dieses Schauspiel und die aufsteigende Panik in den Augen ihrer Gefangenen, ehe sie schließlich zu ihr schritt. Mit dem Zeigefinger bedeutete sie ihr, leise zu sein, und nahm ihr den Knebel aus dem Mund.

      Als das Miststück trotz der Warnung laut: »Hilfe, was … wo bin ich?«, brüllte, gab sie ihr mit der flachen Hand eine Ohrfeige, die sie abrupt zum Schweigen brachte.

      »Wenn du weiterleben willst, gehorche mir.«

      Die Frau sah sie ungläubig an. »Wer bist du wirklich? Was habe ich dir getan?«

      Sie lächelte süß und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich bin deine Vergangenheit, die dich einholt.«

      9

      Auf dem Tresen standen eine Flasche Gin und vier Gläser. »Los, Frühschoppen. Schütt erst mal was für ’n


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