Das Traummosaik. Paul Walz

Das Traummosaik - Paul Walz


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Paul Walz

      Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

      in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      © 2020 by GRAFIT in der Emons Verlag GmbH

      Cäcilienstraße 48, D-50667 Köln

      Internet: http://www.grafit.de

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      Alle Rechte vorbehalten.

      Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/i3d (Wendeltreppe), Anna Golant (Muster)

      Gestaltung Innenteil: César Satz & Grafik GmbH, Köln

      Lektorat: Christiane Geldmacher, Textsyndikat, Bremberg

      E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

      ISBN 978-3-89425-643-2

      1. Auflage 2020

      Paul Walz, geboren 1964 in Trier, durchlief eine Banklehre und schloss ein Studium der Betriebswirtschaftslehre in Trier und Lyon an. Heute lehrt er als Professor an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.

      Für Bärbel

      Prolog

      Der Tag, an dem Sebastian Finkler glaubte, sterben zu müssen, war wie zum Hohn sonnig und warm.

      »Der kommt nicht mehr«, quakte Güdners Stimme aus dem Headset.

      Finkler konnte den Passat weiter vorne am Straßenrand parken sehen. »Warte ab.«

      Gegenüber auf der anderen Straßenseite langweilte sich eine platingefärbte Friseurin durch den Vormittag. Sie stand in einem viel zu engen T-Shirt in der Ladentür, eine Zigarette hing an ihren roten Lippen, als das dunkle Brummen eines Motors sie aufhorchen ließ.

      Ein großes Baustellenfahrzeug, über und über mit Dreck verkrustet, bog in die Straße ein und nahm Tempo auf. Ein höherer Gang wurde eingelegt und ruckartig beschleunigte das Ungetüm.

      Der Lkw passte nicht in die Straße, war wie ein Fremdkörper, und noch bevor er unvermittelt vielleicht hundert Meter entfernt auf den Bürgersteig gesteuert wurde, spürte Finkler die Gefahr, wusste, dass es danebengegangen war. Er sah im Augenwinkel, wie Güdner aus dem Auto sprang und hektisch zu winken begann.

      »Lauf!«

      Finkler hätte das Headset nicht gebraucht, um den Ruf zu hören. Als ob er das nicht selbst wüsste.

      Das Baustellenfahrzeug raste gegen eine Laterne, die unter der Wucht des Aufpralls wie ein Strohhalm umknickte und mit zersplitterndem Glas auf die Straße schlug. Wieder heulte der Motor auf und das Ungetüm schrammte an einer Hauswand entlang, immer noch auf ihn zu. Finkler blieb ruhig. Er spannte seine Muskeln an und checkte den Fluchtweg, und ja, er wäre sicherlich entkommen, wenn da nicht das Mädchen aufgetaucht wäre.

      Ohne die Situation zu erfassen, radelte die zierliche Gestalt auf dem Bürgersteig, denn in ihren Ohren steckten Kopfhörer. Der Blick ging verträumt ins Leere.

      Nun schrie Finkler, doch sie sah und hörte ihn nicht.

      Er rannte los. Nur ein Gedanke brannte in ihm: Nicht wieder ein Mädchen, das auf einem dreckigen Gehweg starb, nicht schon wieder.

      Zwanzig Meter. Fünfzehn Meter. Seine Schritte wurden länger, sein Puls schlug schnell, aber gleichmäßig und so flog er dahin, dem sicheren Tod entgegen.

      Zehn Meter. Er registrierte die Pflastersteine unter seinen Füßen, nahm wahr, wie die brüllende Schnauze des Lkws breiter und höher wurde und über dem Kind aufragte wie das Maul eines Raubtiers. Begrenzungspfosten wurden aus ihrer Verankerung gerissen und segelten davon wie Kegel. Fünf Meter. Das Mädchen blickte auf und sah Finklers Gesicht, erkannte, dass etwas Schlimmes passieren würde.

      Sie riss den Lenker in der Sekunde herum, als er sie erreichte. Seine Energie katapultierte das Rad davon. Er registrierte flüchtig, dass es blau war, las den Schriftzug Koga Miyata, spürte ihren weichen Rücken, der sich unter seinem Ansturm bog und dann versteifte, dagegenhielt. Dann war sie fort, flog dahin, wohin auch immer es sie trieb. Es war ihm egal.

      Einen winzigen Augenblick lang jubelte er. Das Rennen war gewonnen. Dann umwirbelten ihn Wolken aus Rost und Dreck. Doch er nahm sie nicht wahr, sah nicht mehr die Beule im Lack, roch keine Abgase und kein Öl mehr. Die Gewissheit, nun zu sterben, ließ nichts anderem Raum.

      Kurz bevor ihn das Maul des Lasters verschlang, riss auch ihn etwas davon. Das Letzte, was in sein Bewusstsein vordrang, war Güdners zuckender Körper, der von den Rädern überrollt wurde.

      1

      Sechs Monate später: Montag, 14. November

      Das elektrische Summen des Öffners war wie eine Befreiung. Finkler drückte die Tür auf und verließ rasch die Schleuse, froh darüber, den Blicken des Beamten zu entkommen, der ihn eingelassen hatte. Er wusste, wie er aussah.

      Alleine im Treppenhaus schloss er die Augen und sog den Geruch des Präsidiums in seine Nase. Irgendwoher hörte er das dunkle Brummen eines Elektromotors, eine Bürotür öffnete sich und schlug wieder zu, ließ kurz Gesprächsfetzen und ein helles Lachen auf den Gang dringen. Dann war da nur das undefinierte Gemurmel eines geschäftigen Bürohauses. Er spürte so etwas wie Freude, doch noch deutlicher Fremdheit. So mussten sich Seeleute früher gefühlt haben, die nach einem heftigen Sturm wohlbehalten im heimatlichen Hafen einliefen und erstaunt feststellten, dass sich nichts geändert hatte – außer vielleicht sie selbst.

      Als Finkler die Treppe nach oben blickte, zögerte er kurz. Sechzig Stufen. Eine Kleinigkeit, doch nicht unbedingt für ihn, seinen Körper, nicht für das bisschen, das übrig geblieben war. Er ergriff das Geländer und nahm ohne Pause eine Stufe nach der anderen, ignorierte, wie sein Puls zu traben und schließlich zu galoppieren begann.

      Als er kaum die Hälfte hinter sich gebracht hatte, ging es nicht mehr. Er blieb stehen und rang nach Atem. Der Schweiß auf seiner Stirn fühlte sich unangenehm kalt an. Er keuchte und starrte auf den Granit zu seinen Füßen. Es war ihm früher nie aufgefallen, dass weiße Einschlüsse das dunkelgraue Material durchzogen wie ein Geflecht aus Arterien und Kapillaren.

      Jemand ging an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Schließlich mühte er sich weiter.

      Die vergangenen Tage war er angespannt gewesen. Er hatte kaum geschlafen und noch weniger gegessen. Nur noch wenige Stufen fehlten, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte. Er fuhr zusammen.

      »Da bist du ja.«

      Daniel Bender lächelte ihn an. Er war so ziemlich der einzige der Kollegen, den Finkler vermisst hatte, jetzt, da Güdner nicht mehr da war.

      Bender war sichtlich damit überfordert, was er mit seinen Händen zur Begrüßung machen sollte, schütteln oder umarmen, und klopfte ihm schließlich, sozusagen als Kompromiss, auf die Schulter.

      »Warum nimmst du nicht den Aufzug?«

      »Training für den Fitnesstest.«

      »Sieht gut aus, dynamisch.«

      Ein Grinsen teilte Benders Gesicht, das wie immer blass und unausgeschlafen wirkte.

      Seine Freundlichkeit tat gut.

      »Du solltest mich mal im Wald erleben.«

      »Marathonmann?« Wieder grinste Bender. »Komm, wir gehen nach oben.«

      Finkler musste sich anstrengen, um mitzuhalten.


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