Römische Tagebücher. Alois C. Hudal
Buch, das aus meinen römischen Tagebüchern in den langen Jahren meiner Tätigkeit als Rektor der deutschen Nationalstiftung der Anima niedergeschrieben wurde, hat nicht den Zweck, die Romliteratur um ein Geschichtswerk zu vermehren. Es sind nur schlichte Erinnerungen eines fast dreißigjährigen Aufenthaltes in der Ewigen Stadt, besonders in der kirchenpolitisch bewegten Zeit zwischen zwei Weltkriegen. In gewisser Hinsicht sind es Konfessionsbekenntnisse eines deutschen Bischofs mit Freuden und Leiden, Glück und Mißerfolgen. Keine eitle Selbstverteidigung wie manche Memoirenliteratur der Nachkriegszeit. Auch nicht eine „posthume“ Rechtfertigung, noch weniger eine Anklage, sondern das Confiteor und Abendgebet eines Lebens, der Abschied von einem vergeblichen Versuch, dem bischöflichen Wahlspruch „Ecclesiae et Nationi2)“ entsprechend, ein Lebensprogramm gestalten zu können. Es schließt aber trotz vieler schmerzlicher persönlicher Erfahrungen nicht in pessimistischen Gedankengängen, sondern mit einem Treuebekenntnis zur Kirche der stillen, unbekannten und unbedankten Soldaten Christi, der schlichten Opferseelen, durch deren großen selbstlosen Idealismus die Kirche der Macht, Repräsentation, der Lehre und Politik, ihre Sendung in der Welt noch erhalten kann, und mit einem Treuebekenntnis zum Glauben an einen neuen nationalen Aufstieg der Jugend des deutschen Volkes aus tiefster Verwirrung der Begriffe: Nation, Vaterland und Ehre.
So ist dieses Buch, mit dem ich von Rom Abschied nehme, in mancher Hinsicht die Beichte eines Priesters und Bischofs über sein Leben voll Irrwege und Enttäuschungen geworden, eine Lebensbeichte, die er am Grabe seiner teuren, unvergeßlichen Mutter auf dem deutschen Friedhof im Schatten von Sankt Peter niederlegt. Es ist aber auch ein Nachwort „ohne Maske“ zu meinem im Herbst 1936 mit Zustimmung des Reichskanzlers Adolf Hitler im Wiener Verlag Josef Günther in fünf Auflagen erschienenen Werk „Die Grundlagen des NS“. Gerade dieses Buch, dessen literarische und politische Auswirkung Propagandaminister Josef Goebbels mündlichen und schriftlichen Vereinbarungen entgegen unter dem Druck des Linkssozialistenflügels innerhalb der Parteigruppe Rosenberg in der deutschen Presse verhinderte, brachten mir ungeahnte Angriffe niedrigster Art in weltlichen und kirchlichen Kreisen, obwohl das letzte Wort in diesem Buch deutlich genug war: „Non possumus3)“. Die Gedanken und Probleme aber, die mich seit 1933 zur Abfassung dieses Werkes veranlaßten, sind im Wirbel der weltgeschichtlichen Ereignisse, die seitdem über ganz Europa und besonders über Deutschland wie ein Orkan des Unheils hinweggebraust sind, von keinem meiner Gegner widerlegt worden. Ich kannte noch aus meiner altösterreichischen Studentenzeit die Entwicklung des NS in der deutsch-radikalen Bewegung innerhalb der habsburgischen Monarchie zu genau, um je an eine „Bekehrung“ im Sinne eines dogmatischen Christentums denken zu können. Parteien und noch mehr politische Bewegungen sind, selbst wenn sie nach außen als „christliche oder katholische“ gelten, keine religiösen Vereine oder Bruderschaften, auf die man ohne weiteres den Katechismus oder das Kirchenrechtsbuch anwenden kann. Sie sind vielmehr unter dem Druck der Masse und opportunistischer Machtpolitik in ständigem Fluß und in ständiger Gefahr, das Opfer des Radikalismus und der Intoleranz innerhalb ihrer eigenen Anhänger oder unter dem Einfluß ihrer Gegner im Ausland zu werden. Ich glaubte nie an ein „Brückenbauen“ oder gar Zusammenarbeiten mit Kreisen wie Rosenberg und Günther, vom Untermenschentyp Streicher gar nicht zu sprechen. Es handelte sich damals letzten Endes nur darum, zu verhindern, was auch ein vor kurzem erschienenes Memoirenwerk des ehemaligen deutschen Vizekanzlers von Papen in voller Klarheit betont, daß der linke, aus dem deutschen Sozialismus entstammende Teil der Partei die Oberhand gewinne und den rechten, national-bürgerlich und konservativ denkenden, in dem die besten Kräfte Deutschlands standen, immer mehr zurückdränge, um schließlich die ganze Bewegung in einem national getarnten Kulturbolschewismus hineinzumanövrieren. So stellte mein Buch einen letzten Versuch vor der päpstlichen Enzyklika „Mit brennender Sorge“ (1937) mit reinstem und bestem Willen dar. Daß er damals gescheitert ist, zum Schaden der gesamten deutschen Sache, ist nicht bloß die Schuld des NS, sondern auch seiner vielen Gegner im Ausland, die jede religiös-rassische Befriedung in Deutschland mit Mißtrauen beobachteten und dagegen Minen legten, weil ihnen ein am Schlachtfeld vernichtetes, gedemütigtes, konfessionell gespaltenes und wirtschaftlich ausgeplündertes Deutsches Reich lieber war als ein siegreiches in der Organisationsform eines christlich gemäßigten NS. So war mein Buch nur ein Wagnis aus christlichem nationalem Mitgefühl für das Schicksal des Deutschtums. Ich habe mich wegen dieses Versuches noch 1944 vor den alliierten Behörden in Rom, die durch Emigranten und sogenannte Widerstandskämpfer gegen mich aufgehetzt wurden, in einer eigenen Denkschrift verteidigt, aber nichts zurückgenommen oder abgeschwächt und keine Zeile geändert. Für mich war schon vor 1936 einzig und allein die Erkenntnis bestimmend, die auch heute, da der Reichsgedanke für einige Zeit versunken ist, noch immer Wahrheit ist und es auch morgen sein wird, was immer das Schicksal in seinem Schoß für Deutschland noch vorbereitet, ohne dessen Einheit, Freiheit und nationalbewußte Haltung eine bessere Zukunft Europas undenkbarist: Nationale und soziale Gedanken — allerdings von den weltfremden Geschichtskonstruktionen des Karl Marx geläutert — sind Ausdruck naturhafter, positiver und deshalb auch lebensformender Kräfte. Beide Gedanken können auf Grund der Zeitgeschichte unwesentliche Wandlungen erfahren, an sich aber sind sie die wahren Grundlagen einer kommenden Staats- und Volkspolitik und einer Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Religion. Solange Menschen sich ihres Volkstums und der sozialen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft bewußt bleiben, werden diese Ideen nie ganz untergehen, sondern in den Herzen der Jugend, soweit diese nicht materialistisch vertiert ist, weiterleben.
Allein beide Gedanken sind ständig in Gefahr, in radikal extreme Richtungen zu entarten, denen nichts mehr heilig ist, um schließlich im Herrenmenschenkult im Sinne der heidnischen Antike und Renaissance im Barbarentum zu enden, das jede andere Nation wirtschaftlich aussaugt und unterdrückt, oder in der Diktatur einer politischen oder wirtschaftlichen Klasse, wenn sie nicht von der ethischen Lebensweisheit der Humanität und Religion, in Europa von jener des Christentums, eine Normierung, Abgrenzung und Mäßigung ihrer Endziele empfangen.
Nationalismus und Sozialismus werden immer konstruktive Kräfte im Aufbau von Völkern und Staaten darstellen, wenn die Nation und in erster Linie die Abeiterschaft nicht als das Opfer internationaler, durch nichts kontrollierbarer Großmächte (anonymer Kapitalismus, Zionismus, Geheimorganisationen welcher Art immer) sich versklaven lassen will. Nach meiner Überzeugung hatte deshalb der NS ebenso wie der Faschismus am Anfang eine providenzielle Aufgabe für die gesamte abendländische Kultur, den Kampf gegen den Ostbolschewismus*). Eine solche Sendung wird einem Volk und einer politischen Bewegung von der Geschichte nur einmal in Jahrhunderten zuteil. Allein die berufenen Männer innerhalb des NS haben gerade diese kulturpolitische Aufgabe, die weit über Deutschland hinausgriff, nicht erfaßt, besser gesagt, mißbraucht, sonst wäre die Bewegung wie eine geistige Weltmacht über alle Hemmungen in Europa hinweggeschritten, um diesen Kontinent neu zu gestalten, der schon, allein vom demographischen und geopolitischen Gesichtspunkt aus beurteilt, gegenüber dem Osten im Niedergang begriffen ist. Tiefer geschaut, wurde der NS zur Kulturwende Europas und zum Abschluß einer geschichtlichen Epoche des Kontinents, wie seinerzeit die napoleonische Ära. Es gab in ganz Europa kein Volk und keine Militärmacht, die das Vordrängen des Kulturbolschewismus so aufhalten konnte wie das deutsche Volk mit seiner seit 1933 glänzend ausgebildeten militärischen und politischen Organisation, mit der verglichen jene der übrigen Nationen und Staaten (Rußland ausgenommen) oft nur ein besseres Soldatenspiel versinnbildete. Bei meinen letzten Besprechungen, die ich auf Grund des Empfehlungsschreibens des Großherzogs von Mecklenburg über Ersuchen hoher konservativ eingestellter Kreise innerhalb der Waffen-SS mit dem Obersturmbannführer Dr. M. in Rom im November 1942, also vor dem Fall von Stalingrad, der zum Wendepunkt des Kriegsglückes wurde, und noch mehr im März 1943 in Rom führte, waren gerade diese Gedanken der Ausgangspunkt eines innenpolitischen Befriedungsplanes für Deutschland, der automatisch auch die Einkreisungspolitik, die von religiösen und rassischen Gedanken beherrscht im gesamten Ausland (mit Ausnahme von Argentinien und Spanien) gegen das Dritte Reich geführt wurde, zunichte gemacht. Mussolini (1942) hat in letzter Stunde durch einen Artikel des Sekretärs der italienischen Akademie Francesco Orestano in der von ihm gegründeten faschistischen Wochenschrift „Gerarchia“ das