Römische Tagebücher. Alois C. Hudal

Römische Tagebücher - Alois C. Hudal


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vor dem Bilde dieses Mönches, dessen Leben und Tod eine ständige Mahnung ist, Reformen rechtzeitig durchzuführen, bevor der grausame Arm der Geschichte eingreift, Böses und Gutes vernichtet und neue Wege weist.

      Vor Rom muß man in Assisi — es war meine dritte Station — haltmachen, am Grab des Poverello, des Vertreters eines simplifizierten Christentums, wenn dieses Wort nicht mißverstanden wird. Vielleicht hätte Franziskus in sozialer Hinsicht die Welt, wenigstens Mitteleuropas oder Italiens, geändert, wenn es nach ihm gegangen wäre. Ein wahrer Nachfolger Christi als Weltverbesserer und merkwürdiger Kontrast zu seinem Zeitgenossen Innozenz III., der, um die überlieferte Ordnung nicht zu stören, den starken religiösen Individualismus dieses Armen von Assisi in feste kirchenrechtliche Formen spannen mußte, so daß, wenn man die ursprünglichen Absichten des Poverello mit seinen fast romantischen idealistischen Zielen betrachtet, anderes herausgekommen ist. Es sind die großartigen Leistungen seiner Ordensbrüder in späteren Jahrhunderten in Kunst, Wissenschaft, im Werke der Mission und in kühnen theologischen Spekulationen. Mit ihm ist auch sein eigenes Ideal untergegangen, um in einer gemäßigten, der Wirklichkeit entsprechenden Lebensform zu enden. So umfängt ein mystisches Halbdunkel sein Grab.

      Während diese Gedanken mich begleiten — je näher ich Rom bin —, leuchtet im Glanz der Abendsonne wie ein in den Himmel gebauter Dom das Symbol aller katholischen Universalität die Kuppel von St. Peter. Ein Idealismus ohne Grenzen umfaßt meine Seele, als ich längst vor San Lorenzo ihre Umrisse am Horizont erkannte. Ein unbändiger Tatendrang erfüllte mich, den großen gesamtdeutschen Zielen zu dienen, die mein Vorgänger, der Gründer des Priesterkollegs der Anima, der Nordtiroler Alois Flir, das Mitglied des Frankfurter Parlaments, seinen Nachfolgern als heiliges Erbe hinterlassen hatte. Ich will, wenn einmal das Schicksal in mein Leben eingegriffen hat, nicht umsonst als Österreicher und Deutscher nach Rom gerufen sein. „Den Besitzstand der altehrwürdigen deutschen Nationalstiftung der Anima gegenüber den Forderungen der Belgier zu retten, die eine Entschädigung für die im Weltkrieg zerstörte Universitätsbibliothek von Löwen verlangten, die Deutschsprechenden Roms aller Staaten zusammenzuführen oder wenigstens mitbauen zu können im Sinne einer kulturellen Schicksalsverbundenheit, die Seelsorge der Deutschen neuzuordnen, das während des Krieges völlig verwahrloste Kolleg modernen Ansprüchen anzupassen und die Anima bewußt zum Mittelpunkt und zur festen Burg der deutschen Katholiken Roms und Italiens auszubauen“ — das waren Aufgaben und Pläne, wert, ein Leben für sie einzusetzen.

       „Monsignore Jacuzzider, der immer soviel Freude an der Musik hatte, kannst Du sagen, daß ich, obwohl ich um 11 Uhr heute morgen im Vorzimmer Seiner Eminenz des Staatssekretärs sein mußte, doch der heiligen Versuchung nicht habe widerstehen können, vorher noch zur Messe in die Kirche der Anima zu gehen. Ich habe das Asperges, den Introitus, das Offertorium im Cantus firmus zu drei Stimmen mit Harmoniumbegleitung und den Rest im Cantus semifiguratus auch zu drei Stimmen, aber ohne Begleitung, genossen. Etwas ganz Wunderbares, besonders der Cantus firmus ist zum Sichdareinverlieben.“

      Eine eigenartige, glückliche Fügung war es, daß die von der Regensburger Schule ausgehenden Grundsätze über die Anima durch Peter Müller, dessen Freunde Lorenzo Perosi und Josef Sarto schließlich im Jahre 1903 zum päpstlichen „motu proprio“ über die Reform der Kirchenmusik überhaupt führten. Die Namen Haberl, Mitterer gehören in diese glanzvolle Zeit der Anima hinein. Es war mein großer Kummer, daß ich, veranlaßt durch die überaus schwierige Finanzlage der Anima, nach dem Weltkrieg diesen Knabenchor im Jahre 1924 auflösen mußte. Im folgenden Jahre wurde Peter Müller, einer der bescheidensten und anspruchslosesten Priester, die mir untergekommen sind, im hohen Alter im deutschen Friedhof bei St. Peter begraben, während ein Stein in der Animakirche das Gedächtnis dieses genialen Kirchenmusikers kommenden Geschlechtern weitergibt.


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