Römische Tagebücher. Alois C. Hudal
meistens vergeblicher Versuch, die Arbeiterschaft der Kirche wieder zurückzuerobern); die Wiedereinrichtung des Diakonats ohne Zölibatszwang im Sinne der Urkirche; Bestrebungen der Wiener Nuntiatur, die Freimaurer über die Johannesloge von Österreich aus mit Rom zu versöhnen — Befürworter war der dortige Nuntius, der das Wesen dieser Bewegung verkannte, wie Berichte an das Staatssekretariat (1952—53) deutlich beweisen.
Dieses Crescendo in den Besuchen großer römischer Persönlichkeiten glitt etwas ab, als ich dem päpstlichen Majordomus Samper und dessen Stellvertreter, dem Maestro di Camera Caccia-Dominioni meine Aufwartung machen mußte. Ersterer, eine elegante Erscheinung von südamerikanischer Herkunft, war nicht minder liebenswürdig als der junge Mailänder Prälat, den Pius XI. nach Rom mitgebracht hatte und der bald sein vertrauter Freund geworden ist. Ersterer war ein Fremdkörper in dieser eigenartigen Welt, in die Ausländer sich selten ganz hineinleben können. Caccia-Dominioni liebte scherzend ein freies Wort. So unterbrach er mich lachend mit dem alten römischen Pasquinowort: „Cardinali sono come amici inutili e come nemici prepotenti13).“ Als ich von beiden weg in den Damasushof ging, fuhr gerade ein Stromlinienwagen, Type Maybach, eines ausländischen Vatikangesandten vor. Unwillkürlich dachte ich an die Worte, die einst Manzoni, der als guter Katholik nicht minder ein offenes Urteil über das politische Leben hatte, an seinen Verwandten Marchese d’Azeglio geschrieben hat: „Io trovo la cosa più inutile la diplomazia. Gli ambasciatori non sono che spie messe a origliare nelle anticamere. Questo poteva essere buono una volta, ma adesso che c ‘è la stampa, cosa serve 1 ’ambasciatore? A ricevere uno schiaffo come Hübner*) o come Barrili, ad assicurare che tutto va bene in Spagna la vigilia della cacciata della regina14)?“
Was würde er im Zeitalter der Demokratie sagen, da Diplomaten oft nur mehr Briefträger der gerade am Regierungsruder befindlichen politischen Parteien ihres Staates sind, abhängig nicht von den Monarchen, die eine Kontinuität des politischen Denkens verkörperten, sondern von ständig wechselnden Stimmungen der die Masse beherrschenden Zeitungsschreiber und die deshalb auch als Gesandte bestrebt sein müssen, die Personalpolitik des Vatikans nach opportunistischen Gesichtspunkten zu beeinflussen. In den langen Jahren habe ich nicht wenige Diplomaten in Rom kennengelernt. Mehrere waren ausübende Katholiken, andere liberal, religiös gleichgültig, Protestanten, Orthodoxe; auch Mitglieder der Loge konnten bei den eigenartigen Verhältnissen Südamerikas nicht fehlen. Diplomatische Rücksichten, Berechnung und politische Hemmungen sind für die Kurie unvermeidliche Begleiterscheinungen. Im Zeitalter der katholischen absolutistischen Monarchen, die den anderswo nicht verwendbaren Adel auf hohe Kirchenposten beriefen, mußte Rom nicht selten mit dem herrschenden Staatssystem gehen, wie es Rosmini in seiner Schrift „Die 5 Wunden der Kirche“ in ergreifender Weise geschildert hat.
In republikanisch-konstitutionellen Staaten mit demokratischer Parteienbildung muß dieselbe Kirche im Interesse höherer Vorteile zu manchen Dingen schweigen und die am Ruder befindlichen Parteien stützen, weil der betreffende Botschafter oder Gesandte im päpstlichen Staatssekretariat seine Minen legt oder bremst, nicht selten unterstützt von trüben Kanälen des Weltjournalismus, während ein vom Staate unabhängiges, kämpfendes, sich auf eigene Füße gestelltes Kirchenwesen schon längst öffentlich gemeldet hätte. So gibt es kein Staatssystem, mit dem der Vatikan nicht verhandeln muß und mit dem er nicht Kämpfe und Auseinandersetzungen hat, um mitten im religiösen Verfall der Zeit vom weltanschaulichen Erbe der Vergangenheit wenigstens etwas retten zu können. In gespannter Erwartung begab ich mich zum ersten Mal in das päpstliche Staatssekretariat, um mich den beiden höchsten Beamten dortselbst, Pizzardo und Borgoncini-Duca, vorzustellen. Nachdem ich die übliche Wartezeit antichambriert hatte, wurde ich zuerst zum Sostituto des Kardinalstaatssekretärs vorgelassen. Die Aufnahme war höflich und liebenswürdig, wie es italienischer Sitte entspricht. Sie galt wenigstens nach den äußeren Eindrücken mehr dem Österreicher als dem Deutschen, denn die Tragödie des Kammerherrn und Geheimsekretärs Benedikt XV., Monsignore Gerlach von Baden, war noch nicht vergessen. Er hatte das Vertrauen seines hohen Herrn im Ersten Weltkrieg schmählich mißbraucht und war vom italienischen Gericht als Spion zu langer Kerkerhaft verurteilt worden. Pizzardo, ein ehemaliger Jesuitennovize, mit dem intuitiven Blick des Italieners, äußerst beweglich, fast feminin, machte nicht den Eindruck des profunden Kenners der Verhältnisse, sondern eines von anderen im Urteil abhängigen Menschen. Er war der Vertreter mancher Schichten römischer Kurialisten, deren Kirchenpolitik immer bereit war, Verträge und Annäherungen an die jeweilige politische Machtgruppe zu erreichen, während sie für den Fall eines politischen Wechsels ihre Leute auch im anderen Lager hatten. In dieser Haltung wurden sie von der wendigen Gesellschaft Jesu gestärkt, die, um ein klassisches Beispiel aus der neuesten Zeit herauszugreifen, in der Frage von Freimaurerei und Kirche kompromißfreudige Mitglieder (besonders in Frankreich und Amerika) hatte (P. Bertheloot) und deshalb überall für Demokratie, Persönlichkeitsrechte, Freiheit des Gewissens und Individuums (die alten zu Beginn des 19. Jahrhunderts verurteilten Auffassungen von Lamennais) eintraten, während andere wiederum eine ablehnende Stellung bezogen, so daß der Orden, wie immer die Sache schließlich endigen sollte, für alle Fälle etwas in Händen hatte, um durch Schwierigkeiten hindurchzukommen. Das Opfer sind die linientreuen Charaktere und Idealisten, denen das „salvarsi la pelle15)“ nicht gelungen ist. Seine erste Frage war, wie weit Österreich schon im Ausbau der katholischen Aktion fortgeschritten sei. Ich mußte ihm leider erwidern, daß praktisch sich nur wenige damit beschäftigen können; niemand wisse recht, ob es sich nur um eine straffere Zentralisation der zahlreichen in Österreich seit Jahrzehnten bestehenden Vereine und Verbände handle oder um Neuorganisation der gesamten katholischen Front für politische Endziele, um, wie Bischof Besson (Fribourg) es so geistreich formulierte, der „insufficience du Clerque e sufficience des laiques16)“ nachhelfen zu können. Tatsächlich steckte damals Österreich ganz in den politischen und wirtschaftlichen Daseinssorgen, um diesen Rumpfstaat von Saint-Germain, der nicht recht leben, aber andererseits auch nicht sterben konnte, über die Wirtschaftskrise der unmittelbaren Nachkriegszeit für eine bessere Daseinsform hinwegzuretten. So kamen auch die Beschlüsse der ersten Katholikentage Österreichs über gewisse allgemeine Richtlinien ohne politische Zielsetzung nicht hinaus. Wesentlich günstiger war der Besuch bei Monsignore Borgoncini-Duca, dem späteren Nuntius in Italien. Er kannte Österreich vom Hörensagen aus den Berichten der Wiener Nuntiatur und katholischen Presse. Auch er war von feinen gesellschaftlichen Umgangsformen, wenn auch ein Vertrauensmann der deutschen Botschaft ihn mir als wenig zuverlässig geschildert hatte. Den Hauptpunkt des Tages bildete mein Besuch bei Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri. Äußerlich wenig gepflegt, fast vernachlässigt wie manche Vertreter des armen italienischen Landklerus, war er huldvoll, mir trotz seiner gewaltigen Arbeitslast eine lange Audienz zu gewähren, nachdem Gesandter Pastor mir geraten hatte, das Gespräch sofort auf das neue kirchliche Rechtsbuch zu bringen, dessen geistiger Vater Gasparri war. Sogleich erzählte er von den reichen Erfahrungen, die er im Verkehr mit den Konsultoren verschiedenster Nationen und mit den Mitgliedern der Kardinalkommission gesammelt hatte, deren Aufgabe die Festlegung der einzelnen Paragraphen des Codex iuris canonici war. Neben Merry del Val die interessanteste Persönlichkeit des Kardinalskollegs, war er von einer rührenden Bescheidenheit, ein einfacher, schlichter Mensch aus dem Bauerndorf Uscita in Umbrien, der mitten in der monotonen Hofetikette der Kurie seine Natürlichkeit bewahrt hatte. Während des Weltkrieges nahm er eine äußerst kluge Haltung ein, gegenüber den Bestrebungen von Erzberger-Flotow die römische Frage mit den Kriegszielen staatlicher Mächte zu koppeln. „15 Jahre habe ich freiwillig auf jeden Urlaub verzichtet, um das kirchliche Rechtsbuch zu vollenden, das ich bereits als Professor des Institut catholique in Paris begonnen hatte, aber ich bin mir bewußt, daß nicht weniges darin einer Überarbeitung und einheitlicheren Begriffsfassung schon heute bedürftig ist.“
Als ich 1930 ihm die Bitte des Dekans der theologischen Fakultät in Bonn, Professor König, unterbreitete, dem dortigen kirchenrechtlichen Seminar sein Lichtbild mit Unterschrift widmen zu wollen, holte er persönlich