Schreiben und Lesen im Altisländischen. Kevin Müller

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      Kevin Müller

      Schreiben und Lesen im Altisländischen

      Lexeme, syntagmatische Relationen und Konzepte in der Jóns saga helga, Sturlunga saga und Laurentius saga biskups

      Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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      © 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

      Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

      www.narr.de[email protected]

      Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

      ISBN 978-3-7720-8694-6 (Print)

      ISBN 978-3-7720-0111-6 (ePub)

      Vorwort und Danksagung

      Auf die Themen Wortschatz und Schriftlichkeit brachte mich Prof. em. Dr. Jürg Glauser. Sie weckten zwar mein historisches Interesse, aber mein systemlinguistischer Hintergrund sträubte sich immer ein bisschen gegen die Semantik. Trotzdem ist daraus eine Lizentiatsarbeit mit dem Titel „Terminologie und Mentalität der Schriftlichkeit in der Sturlunga saga“ entstanden. Nach Abschluss dieser Arbeit blieb für mich allerdings die Frage offen, ob in der offensichtlichen Beziehung zwischen Lexem und Kontext eine Systematik bestehe. Deshalb wollte ich das Thema in einer Dissertation vertiefen. Die Erweiterung des Korpus auf die Bischofssagas machte mich auf die syntagmatischen Beziehungen aufmerksam und eher durch Zufall stiess ich auf die Framesemantik, welche diese Beziehungen auf einer semantischen Ebene systematisch erfassen konnte. Dadurch konnte die offene Frage im Rahmen dieser Arbeit beantwortet werden.

      Die Dissertation wurde Ende 2017 unter dem zugegebenermassen sperrigen Titel „Der Wortschatz des Schreibens und Lesens in der Jóns saga helga, der Sturlunga saga und der Laurentius saga biskups – Eine framesemantische Analyse“ angenommen und Anfang 2018 verteidigt.

      Für die Ermöglichung des Doktorats und die Betreuung möchte ich mich an dieser Stelle bei Prof. em. Dr. Jürg Glauser und Prof. Dr. Martin-Dietrich Glessgen bedanken. Ohne sie wäre diese nötige Vertiefung des Themas nicht zu Stande gekommen. Ein grosser Dank gilt ebenfalls der Abteilung für Nordische Philologie der Universität Zürich für ein hervorragendes Arbeits- und Forschungsumfeld. Dies betrifft die Assistenzen und Lehraufträge, welche die Finanzierung des Doktorats ermöglichten, die Kolloquien, Workshops, Tagungen und Retraiten, an denen ich meine Arbeit präsentieren und vertiefen durfte, und ganz besonders meine Kolleginnen und Kollegen für eine äusserst motivierende Atmosphäre, in und ums Büro, beim Kaffee, Mittagessen oder Apéro. Ich möchte mich auch beim Doktoratsprogramm „Medialität – historische Perspektiven“ (zu Beginn noch „Medialität in der Vormoderne“) für die medientheoretischen Impulse sowie Kolloquien, Workshops, Exkursionen, Büchergelder, Weihnachtsessen und den fachlichen und nicht fachlichen Austausch bedanken. Ein herzlicher Dank geht zudem an das Netzwerk „Hisem“ für seine inspirierenden Workshops zur historischen Semantik. Diese Dissertation wurde durch diese vielfältigen Rahmen mitgeprägt und ich bin allen beteiligten Personen fürs Zuhören, Lesen, konstruktive Kritisieren und Diskutieren dankbar. Für das Gegenlesen und Korrigieren der Arbeit bedanke ich mich ausserdem bei Dr. Michelle Waldispühl, MA Janina Römer, lic. phil. Beatrice Hodel und lic. phil. Simon Oswald.

      Hinsichtlich der Publikation ermunterten mich die Betreuer einen griffigeren Titel zu wählen, für die Analyse weitere Belege ausserhalb des Korpus einzubeziehen und im Schlusswort die Vorgehensweise und Ergebnisse für andere Disziplinen zu öffnen, was ich im Rahmen des vorliegenden Buches umsetzte.

      Für die nachträgliche Publikationsphase bin ich ebenfalls vielen beteiligten Personen und Institutionen dankbar: Bei der Redaktion der Beiträge zur Nordischen Philologie bedanke ich mich für die Aufnahme in die Reihe. Es freut und ehrt mich besonders in dieser Reihe einen Beitrag zu leisten. Mein Dank gilt auch der Schweizerischen Gesellschaft für Skandinavische Studien für die Wahl meiner Arbeit als Jahresgabe und die Übernahme der Druckkosten. An dieser Stelle danke ich auch MA Michael Redmond für die Übersetzung des Abstracts. Die Überarbeitung wäre ohne die Weiteranstellung als Assistent in der Skandinavistik und ohne die zusätzliche Freistellung vom Projekt „Handlungsformen der Gesetzessprache“ viel schwerer gefallen. Dafür bin ich Prof. Dr. Klaus Müller-Wille, Prof. Dr. Lena Rohrbach und Prof. Dr. Stefan Höfler äusserst dankbar.

      Mein engstes privates Umfeld hat ebenso sehr zur Entstehung meiner Dissertation beigetragen. Deshalb gilt mein Dank von Herzen meinem Freund, der in der Endphase der Dissertation und während der Publikationszeit nicht nur ein kritischer Gegenleser, sondern auch sonst eine wichtige Stütze und Hilfe war. Ich möchte mich ebenfalls bei meinen Pateneltern bedanken, die mich während des Studiums und des Doktorats unterstützten. Mein tiefster und innigster Dank gebührt aber meinen Eltern, die mich in meinen Vorhaben stets gefördert und an mich geglaubt haben. Es macht mich traurig, dass mein Vater das Erscheinen dieses Buches nicht mehr erleben kann.

      Zürich, im November 2019 Kevin Müller

I Einführung

      1. Einleitung

      Als Lexeme für das Schreiben und Lesen im Altisländischen kommen vermutlich unmittelbar skrifa und lesa in den Sinn. Aber was bedeuten diese beiden Verben eigentlich? Sie leben zwar als skrifa ‚schreiben‘ und lesa ‚lesen‘ im Neuisländischen weiter, aber diese beiden neuisländischen Bedeutungen lassen sich nur bedingt auf das Altisländische übertragen, da sich die Konzepte SCHREIBEN und LESEN in diesen beiden Sprachstufen grundlegend unterscheiden. Schreiben und Lesen sind zwei zentrale Aspekte der mittelalterlichen Schriftlichkeit, die seit Jahrzehnten durch verschiedene Disziplinen erforscht wird (vgl. Glauser/Heslop 2018, Raible 1994, Sigurðsson 2005). Diese Forschung interessierte sich bis in die jüngste Zeit vor allem für den Medienwandel von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit und betrachtete die Schreib- und Lesepraktiken hauptsächlich aus dieser Perspektive (vgl. Green 1994 und 2007, Ludwig 2005, Parkes 1999, Saenger 1999). Für die Erforschung dieser Praktiken spielen der lateinische und der volkssprachliche Wortschatz eine zentrale Rolle, weil sich die unterschiedlichen Praktiken teilweise darin widerspiegeln. So war das Konzept VERFASSEN (lat. dictare) als rhetorischer Akt im Konzept SCHREIBEN (lat. scribere) lange Zeit nicht enthalten, und erst im Laufe des Mittelalters setzte sich neben dem lauten Lesen (lat. legere, praelegere) auch stilles Lesen (lat. videre, inspicere) durch. Dies gilt auch für den altnordischen Wortschatz. Spurkland (2000) stellt beispielsweise eine Entwicklung beim Lesen vom Nacherzählen und Zeigen des Textes mit dem Verb bera fram ‚vortragen, vorweisen‘, über ein lautes Vorlesen mit dem Verb lesa ‚vorlesen‘ zu einem visuellen Lesen yfirlíta ‚überblicken‘ fest. Im Wortschatz des Altnordischen äussern sich zudem nicht nur unterschiedliche Lesepraktiken, sondern auch zwei Schriftlichkeiten, eine lateinische (literacy) mit den Verben rita ‚schreiben‘ und lesa ‚lesen‘ und eine runische (runacy) mit entsprechenden Verben rísta ‚ritzen‘ und ráða ‚deuten‘ (vgl. Spurkland 1994, 2004, 2005).

      Ähnliche Dichotomien konnte ich in meiner Lizentiatsarbeit zur Terminologie und Mentalität der Schriftlichkeit in der Sturlunga saga feststellen (vgl. Müller 2018), welche den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit bildet. So lassen sich die verba scribendi der Sturlunga saga nach den Konzepten SCHREIBEN, mit rita, ríta ‚schreiben‘ oder skrásetja ‚auflisten‘, und VERFASSEN, mit segja fyrir ‚vorsagen, diktieren; verfassen‘ oder setja saman ‚zusammensetzen; verfassen‘, gruppieren. Bezüglich runacy ist hingegen einzig das Verb rísta nachweisbar. Das Lesen lässt sich in ein lautes, mit den verba scribendi lesa oder lesa upp, und ein stilles, mit sjá und líta á, unterteilen. Die Bedeutung einzelner Verben konnte aber wegen der teilweise dünnen Beleglage in der Sturlunga saga nicht zweifelsfrei erörtert


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