Heißes Blut. Un-su Kim

Heißes Blut - Un-su Kim


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über so einen Schwachsinn nicht jeder Straßenköter vor Lachen ausgeschüttet?

      Die naheliegendste und überzeugendste Erklärung war und blieb der im Gangstermilieu von Guam verbreitete Aberglaube, dem zufolge ein Gangster im Anzug schneller im Gefängnis landete und länger dort blieb als ein Gangster im Trainingsanzug. Statistisch gesehen ließ sich das durchaus belegen: Es war völlig klar, dass ein Gangster im Anzug mehr auffiel, suspekt wirkte und dadurch ein erhöhtes Risiko lief, sich im Gefängnis wiederzufinden.

      Vater Son, Eigentümer des Hotels Mallijang und Chef des Guam-Clans, hatte in einer Rede einmal kluge Worte zu diesem Thema gefunden: »Wenn ein Land schwere Zeiten durchlebt, bekommen es als Erste die Gangster zu spüren. Das war verdammt noch mal schon immer so. Die letzten fünfzig Jahre waren hart für uns. Ein einziges Schlamassel! Japanische Kolonisation, Krieg, Militärputsche … Es ist unglaublich, durch wie viele Hände dieses Land gegangen ist! Erst die Japaner, dann die Russen, die Amerikaner, das Militär … Und jedes Mal, wenn das Land am Boden war und die Machthaber neu, waren wir die ersten Opfer. Wie heißt es so schön: Wenn einer scheißt, kriegt er ein Seidenkissen unter den Hintern, wenn einer furzt, kriegt er Prügel … Am Ende wird immer den Gangstern die Hölle heiß gemacht!

      Ich habe mir mal genauer angesehen, wie das seit der japanischen Kolonisation gelaufen ist, und ich kann euch sagen: Die Ersten, die eingebuchtet werden, sind immer die Gangster, die Anzüge tragen. In der Zeit der Kolonisation haben sich die japanischen Polizisten als Erstes auf jeden Gangster im Anzug gestürzt. Dasselbe während der amerikanischen Militärregierung und immer so weiter. Als Park Chung-hee die Macht ergriffen und angefangen hat, die Gesellschaft zu säubern – wen haben sie da reihenweise verhaftet? Wieder die Gangster im Anzug!

      Nach seinem Staatsstreich ist auch Chun Doo-hwan gleich auf Verbrecherjagd gegangen, um frischen Wind in die Gesellschaft zu bringen. Und wie sollte es anders sein, die Anzugträger mussten als Erste dran glauben. Es ist gar nicht lange her, da hat Roh Tae-woo auch wieder den Kriminellen den Krieg oder irgend so einen Quatsch erklärt und dann gleich ein paar von unseren Jungs einkassiert – in der Schlange vor der Polizeiwache waren damals nichts als schwarze Anzüge.

      Erinnert ihr euch noch an Chilbok aus dem Stadtteil Amidong? Der war auch so einer, ist dauernd in seinem schwarzen Anzug rumstolziert! Wenn er mir über den Weg lief, habe ich jedes Mal versucht, es ihm zu erklären: Mensch, Chilbok, habe ich gesagt, pass auf, was du da machst, das bringt doch nichts, sich als Gangster so rauszuputzen, ist doch nur für einen kurzen Moment, aber das Gefängnis, das ist lebenslänglich. So oft habe ich mit ihm geredet, aber er wollte nicht auf mich hören. Ergebnis? Die anderen aus seiner Bande haben ein oder zwei Jahre bekommen, im schlimmsten Fall drei oder vier, und der gute Chilbok darf jetzt fünfzehn Jahre sitzen! Und das alles nur wegen dem verdammten Anzug. Wenn man im Trainingsanzug verhaftet wird, gilt man als kleiner Gauner, aber lass dich mal im Zweireiher mit einem Sashimi-Messer in der Tasche erwischen, dann wirst du gleich in die Mörder- und Mafiosi-Schublade gesteckt, zu den Bösen, die die Gesellschaft kaputt machen. Glaubt ihr etwa, wenn eine Horde von Typen in schwarzen Anzügen durch die Gegend zieht wie ein Haufen Gymnasiasten in Schuluniform, das fällt der Polizei nicht auf? Und glaubt ihr, die Herren da oben, die sich mit Leib und Seele der Aufgabe verschrieben haben, unser Land zu führen, ärgern sich nicht, wenn sie solche Gangstertrupps im Sonntagsstaat herumlungern sehen?

      Ich sag’s euch schon seit Ewigkeiten, immer wieder sag ich’s euch: Kopf einziehen und Klappe halten, macht euch so unsichtbar wie eine tote Maus, das ist für jeden Gangster die beste Strategie. Was bringt es, wenn du Stil hast, was bringt es, berühmt zu sein? Sobald ihr’s in eurem Anzug als Dandy auf irgendeine Titelseite schafft, gibt es nur noch einen Ort, wo ihr landen könnt, und der heißt Knast. Unsereins hat doch eh nichts anderes zu tun, als rumzulungern, wozu braucht man da einen verdammten Anzug?«

      Kopf einziehen und Klappe halten – das sollte, jedenfalls wenn es nach Vater Son ging, für jeden Gangster die Devise sein …

      Natürlich missfiel die Theorie allen Gangstern, die gern im coolen Anzug unterwegs waren. Doch wer weiß, vielleicht erwies sich Vater Sons Devise eines Tages als Garant für ein langes Leben. Immerhin war er selbst das beste Beispiel.

      Mit achtzehn ins Gangstermilieu eingetaucht, hatte er fünfzig Jahre lang in Guam gearbeitet. Er war Zuhälter, Schmuggler und Betrüger gewesen, hatte illegale Kasinos geleitet und Auftragsmorde finanziert, und das alles hatte er überlebt. Er hatte das autoritäre Regime von Park Chung-hee und die Umerziehungslager von Chun Doo-hwan überstanden. Und als Roh Tae-woo dem Verbrechen den Krieg erklärte, waren alle Clan-Chefs des Landes verhaftet, der größten Untaten angeklagt und zu Gefängnisstrafen von zehn bis fünfzehn Jahren verurteilt worden, nur Vater Son war wieder einmal davongekommen. Insgesamt hatte er gerade mal achtzehn Monate im Gefängnis verbracht, wegen Zuhälterei und Zechprellerei, zwei für einen Clan-Chef geradezu lächerliche Vergehen.

      Als Langzeitüberlebender in den gefährlichen Gewässern von Guam lag Vater Son seiner rechten Hand Huisu, dem Manager des Hotels Mallijang, ständig damit in den Ohren: »Nenn mir einen von denen, die mit mir zusammen angefangen haben, nur einen Einzigen, der noch lebt. Die haben alle das Zeitliche gesegnet, oder etwa nicht? Erstochen. In Stücke gehackt. Im Knast an ihrem Reis mit Bohnen erstickt. Und warum sind sie deiner Meinung nach abgekratzt? Ich werd’s dir sagen: weil sie ihren Grips ausgeschaltet haben. Wenn ein Gangster wie ein Pfau durch die Gegend stolziert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis er sang- und klanglos verschwindet. Vergiss nie: Gangster sein bedeutet, dass du ein Leben lang wie auf Eiern gehst. Du bewegst dich ständig auf dünnem Eis. Wenn du in der Unterwelt überleben willst, Huisu, musst du verstohlen sein und dich so unsichtbar machen wie eine tote Maus. Wirklich gut speist man nur, wenn man heimlich speist. ›Der gut Genährte schweigt‹, haben unsere Väter gesagt. Und wo wir schon dabei sind, noch etwas: Sag den Jungs, dass sie aufhören sollen, sich tätowieren zu lassen. Ich verstehe nicht, was der verdammte Unsinn überhaupt soll, sich mit Tinte, die bestimmt gesundheitsschädlich ist, solche dummen Bilder auf die Haut zu malen. Warum soll man als Gangster wie eine wandelnde Plakatwand herumlaufen? Ist es nicht besser, mit der schönen, reinen Haut, so wie die Eltern sie uns geschenkt haben, durchs Leben zu gehen und auch in öffentlichen Bädern willkommen zu sein? Gibt es etwas Besseres als das?«

      HOTEL MALLIJANG

      Im November 1990, auf dem Höhepunkt des Krieges gegen das Verbrechen, hatte ein junger Staatsanwalt aus der Provinz Vater Son vor Gericht gebracht und mit folgenden Worten die wahre Natur dessen angeprangert, was sich im Hotel Mallijang abspielte: »Herr Richter, alle Verbrechen in Guam gehen vom Hotel Mallijang aus. Und dieser Mann hier ist seit dreißig Jahren der Eigentümer.«

      Trotz seines Ehrgeizes war es dem jungen Staatsanwalt leider nicht gelungen, auch nur eine Zeugenaussage beizubringen. Hätte er von den Tausenden im Hotel Mallijang eingefädelten Verbrechen auch nur ein einziges beweisen können, wäre Vater Son für mindestens dreißig Jahre hinter Gitter gewandert. Mit etwas gutem Willen sogar für dreihundert. Es gab so viele Anklagepunkte wie Haare auf dem Rücken einer Kuh, doch am Ende waren nur zwei darunter, für die der junge, ehrgeizige Staatsanwalt so etwas wie Beweismaterial vorlegen konnte. Es ging dabei um diffuse Aktivitäten im Bereich der Zuhälterei und Zechprellerei.

      Das Hotel Mallijang – der Name bedeutete »Zur Großen Mauer« – lag in der Mitte der langen Strandpromenade von Guam. Mit seiner geschwungenen Architektur fügte sich das zweistöckige Gebäude perfekt in den Halbmond des Strandes ein. Die Japaner hatten es 1913 erbaut und ihm seinen etwas unpassenden Namen gegeben. Fasziniert vom Charme dieses Küstenstrichs mit seinen üppigen Pinienwäldern, gründeten sie die Freizeit-Unternehmensgesellschaft von Guam und legten den ersten Strand von Joseon an. Abgesehen von den Renovierungen nach dem Koreakrieg, als die typisch japanischen Holzkonstruktionen durch Stahlbeton ersetzt wurden, sah das Gebäude noch genauso aus wie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Damals gehörte es den japanischen Yakuza-Mafiosi.

      Es war eine seltsame Zeit: Nachdem die Japaner Korea okkupiert hatten, ließen sie sich in Scharen auf der Halbinsel nieder; allein in Busan waren es sechzigtausend. Insofern sollte der Hotelbetrieb weniger den Koreanern als den Japanern, die über die Meerenge nach Busan kamen, die Freizeit


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