Heißes Blut. Un-su Kim

Heißes Blut - Un-su Kim


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Zinsen bis auf den letzten Heller eintrieb. Und auf seine Methoden hätte selbst der widerlichste Wucherer dankend verzichtet. Er war so pedantisch, so niederträchtig, so hartnäckig, so durchtrieben und gleichzeitig so intelligent, dass jeder, der es einmal mit ihm zu tun bekommen hatte, beim bloßen Gedanken daran vor Angst zitterte. Die Grausamkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Wer am Ende mit allen bei der Geburt vorhandenen Körperteilen im Sarg liegen wollte, durfte nicht eine Sekunde darüber nachdenken, die Zahlung einer Schuld bei Obligation Hong aufzuschieben, und sei sie noch so klein.

      Huisu schuldete ihm allerdings inzwischen dreihundert Millionen, die Zinsen nicht eingerechnet. Trotzdem ging er im Kasino ein und aus und wechselte vor den Augen seines Gläubigers Bargeld in Spielmünzen, als wollte er ihn bewusst provozieren: Tja, ich habe Geld, aber nicht für dich, da staunst du, was?

      In Wirklichkeit hatte Huisu nicht die geringste Absicht, ihn auf die Palme zu bringen. Die widerwärtigen Methoden, die nun einmal die Geschäftsbasis von Obligation Hong waren, sein Brotverdienst sozusagen, waren ihm vollkommen egal. Huisu hatte einfach Lust zu spielen. Und mal ehrlich, dreihundert Millionen, so viel war mit Arbeit, auch mit harter Arbeit, nicht zu verdienen. Hier jedoch hatte er vor ein paar Monaten sogar dreihundertzwanzig Millionen gewonnen. Er war wie in Trance gewesen, jede Karte, die er umdrehte, war die richtige. Das Glück war ihm so hold, als hätte sich der Spielteufel auf seine Schulter gesetzt. Dreihundertzwanzig Millionen. Wenn er nach dieser Glückssträhne aufgehört hätte, wären seine gesamten Schulden beglichen gewesen. Es war zwar nicht genug Geld, um sein Hundeleben zu beenden und ein neues, sauberes Leben anzufangen, aber doch genug, um wieder Ordnung hineinzubringen und es ihm leicht zu machen. Selbstverständlich hatte Huisu es nicht geschafft, aus dem Spiel auszusteigen. An jenem Tag hatte das Glück seinen Gewinn auf dreihundertzwanzig Millionen hochgetrieben, um ihn anschließend ins Bodenlose fallen zu lassen. Er verlor alles, was er gewonnen hatte, und als sei das nicht schon genug, verschärfte Huisu seine Lage noch, indem er weitere hundert Millionen verspielte, die er sich bei Jiho lieh. So hatte er nun insgesamt, allein in diesem Kasino, bei Obligation Hong dreihundert und bei Jiho hundert Millionen won Schulden. Letztere würde Obligation Hong bald zum Freundschaftspreis von Jiho übernehmen, womit Huisu ihm dann vierhundert Millionen schuldete. Jeder andere Gangster hätte für so eine Summe bereits zehn Mal seine Arme und Beine verloren.

      Das Spiel war in vollem Gang. Um einen kühlen Kopf zu bewahren, versuchte Huisu, langsam und bewusst zu atmen. Fünf Sekunden einatmen, fünf Sekunden ausatmen, fünf Sekunden einatmen, fünf Sekunden ausatmen … Mit dem Baccara war es genauso wie mit jedem anderen Spiel: Sobald man in Aufregung geriet, verlor man. Der Erregungspegel musste niedrig bleiben – sowohl wenn sich das Glück einstellte als auch wenn es sich davonmachte. Man musste auf seinen Emotionen reiten wie auf einer Welle. Ruhig machte Huisu seine Einsätze. Einatmen, ausatmen, einatmen …

      Nach einer knappen Stunde hatte er fünf Millionen won verloren, mit anderen Worten alles, was er bei sich gehabt hatte. Er zögerte kurz, ob er sich noch mehr Geld bei Jiho leihen sollte, doch als er die Uhrzeit sah, stand er auf.

      »Sie gehen schon?«, fragte Jiho.

      »Ja, ich habe zu tun.«

      Jiho sah sich kurz um, dann zog er ein Bündel Geldscheine aus der Innentasche seiner Jacke; über den Daumen gepeilt ungefähr eine Million won in Zehntausendern.

      »Was soll das?«

      »Ein Geschenk des Hauses, kleine Unterstützung. Jeder weiß, dass Sie in Guam der Meister aller Klassen sind, Großer Bruder Huisu. Ihre Brieftasche darf nicht leer sein.«

      »Ist schon okay.«

      »Bitte, nehmen Sie das.« Jiho stopfte ihm die Scheine in die Tasche, was Huisu mit gespielter Verlegenheit hinnahm. »Ich wünsche Ihnen einen guten Heimweg.«

      »Danke.«

      Als Huisu den Ausgang erreichte, versperrte ihm Obligation Hongs Leibwächter Changdo den Weg. Außer dass er Chinese war, wusste Huisu nichts über ihn. Weder, woher er kam, noch, was er früher gemacht hatte. Es gab keine Gerüchte über ihn. Dass aber ein Angsthase wie Obligation Hong nachts nur in Begleitung dieses Typen vor die Tür ging, ließ die Brutalität des Mannes erahnen. »Mein Boss will mit dir reden«, sagte Changdo in gebrochenem Koreanisch.

      Mit einem Blick auf die Uhr ging Huisu zu Obligation Hong, der Whisky schlürfend an seinem Tisch saß. Huisu nahm einen Stuhl und setzte sich ihm gegenüber.

      »Willst du ein Glas?« Obligation Hongs Hand wanderte schon zur Flasche.

      Huisu winkte ab. »Was ist los?«, fragte er.

      »Du fragst mich, was los ist? Was soll zwischen uns schon sein, wenn nicht Geld?«

      Huisu sah ihn gleichgültig an. Zu diesem Thema hatte er ganz offensichtlich wenig zu sagen. Er wirkte so desinteressiert wie jemand, der zum x-ten Mal denselben Film sieht.

      »Bist verschuldet bis über die Ohren und willst hier den Klugscheißer spielen?«, fragte Obligation Hong mit einem irritierten Lachen.

      »Soll ich lieber heulen?«

      »Wenn man geliehenes Kapital nicht zurückzahlen kann, muss man wenigstens die Zinsen zahlen, bevor man sich wieder an den Spieltisch setzt, das ist ja wohl das Mindeste. Und bei dir habe ich nicht mal eine Hypothek verlangt. Aber wenn du jetzt auch noch anfängst, respektlos zu sein, Huisu, habe ich bei aller Geduld keine andere Wahl, als sehr, sehr böse zu werden.«

      »Auch unsereins muss essen. Und wenn ich Ihnen die Zinsen zahle, habe ich kein Geld mehr für Zigaretten.«

      »Hör auf mit dem Scheiß. Du hast dir gerade fünf Millionen abzapfen lassen.«

      Zum x-ten Mal sah Huisu auf die Uhr, dann gähnte er gelangweilt. »Wenn ich irgendwann den großen Coup lande, gebe ich Ihnen alles zurück. So eine Riesensumme kann man nicht abstottern, wie soll das gehen?«

      »Das war doch in Holland, oder? Wo dieser Junge mit einem Arm das Loch im Deich zugestopft hat? Kennst du die Moral von der Geschichte?«

      Huisu warf ihm einen blasierten Blick zu.

      »Wenn du ein noch so kleines Loch im Deich nicht schnellstens reparierst, stürzt am Ende der ganze Deich ein. Denn wenn er erst mal angefangen hat zu bröckeln, kann ihn nichts mehr halten, nicht mal ein Bulldozer.«

      »Wenn Sie predigen wollen, tun Sie das woanders«, entgegnete Huisu, genervt von dem dummen Gerede. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit! Und hören Sie endlich auf mit dem Gejammer, ich werde Ihr Geld schon nicht auffressen.«

      Obligation Hong lief puterrot an. »Wie bitte? Gejammer? Wie redest du mit einem Älteren?«

      »Verehrter Älterer, ich danke Ihnen für Ihre wertvollen Belehrungen, erlaube mir nun aber, Sie zu verlassen, weil ich zu tun habe. Bei nächster Gelegenheit werde ich Ihren klugen Ratschlägen lauschen in der Hoffnung, dass ich dadurch ein dickeres Fell bekomme.« Mit diesen Worten stand Huisu auf.

      Obligation Hong, immer noch knallrot, funkelte ihn an. »Hör zu, Freundchen, ich rate dir, Vater Son weiterhin schön am Arsch zu kleben. Denn an dem Tag, an dem du das Mallijang verlässt, zahlst du brav alle Zinsen mit deinen Nieren und deinen Augen.«

      Huisu lachte angewidert. »Dreckskerl!«

      Und damit ging er ohne jede Eile zur Tür, auch wenn er die ganze Zeit spürte, wie sich Obligation Hongs hasserfüllter Blick in seinen Hinterkopf bohrte.

      Es war 17 Uhr 30, als Huisu den Wagen am Strand abstellte. Er ging zum Grillrestaurant und warf einen Blick in den Raum, den er reserviert hatte. Chef Gu und die Typen vom Zoll waren noch nicht da. Der Wirt begrüßte ihn und plapperte gleich los: Das Fleisch sei heute wirklich exzellent, er habe aber auch eine Sashimi-Platte vorbereitet, falls der eine oder andere Gast vielleicht doch lieber Fisch essen wolle. Huisu bedankte sich. Abwartend rieb der Mann wie eine Fliege die Handrücken aneinander. Schließlich gab er sich einen Ruck und fragte Huisu in diskretem Ton, ob er vielleicht wisse, wo man zu einem guten Preis einen Naturholzschrank kaufen könne, es gehe um die Hochzeit seiner Tochter. Zerstreut antwortete Huisu, er könne ihm da nicht weiterhelfen.


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