Pikatzo. Rita Janaczek

Pikatzo - Rita Janaczek


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Stunde bei dir.“

      Da hatte Pia doch auf absolute Helden gesetzt. Dominik und Lennie waren eine richtige Hilfe, was das Diskutieren des richtigen Plans anbelangte, über den Spalt auf das andere Dach wollte allerdings keiner von ihnen. Ihre Bedenken deckten sich haargenau mit denen, die Pia gehabt hatte.

      „Aber ihr seid Jungs!“

      „Is klar. Aber ein falscher Schritt und wir sind Leichen. Wenn das nicht so übereck läge, würde ich es sogar riskieren.“ Lennie verschränkte die Arme.

      „Wir könnten einen Kescher mit Teleskopstiel besorgen und versuchen, die Katze von hier aus zu fangen“, war Dominiks sicherheitsbewusster Vorschlag.

      „Wer hat denn so ein Ding?“

      Pia konnte die beiden schon verstehen, sie hatte ja selbst Bedenken gehabt. Und wenn wirklich etwas passierte, das würde sie sich nie verzeihen. Nein, sie würde nicht drängeln. Wenn die beiden beschlossen hatten, nicht aufs Nachbardach zu steigen, dann würde sie das akzeptieren. „Ist doch was für Angler. Kennt ihr einen?“, schob sie nach.

      „Nee, keine Ahnung. Aber wir könnten einen im Angelgeschäft besorgen“, schlug Dominik vor.

      „Ja, direkt im Erdgeschoss“, witzelte Lennie.

      „Da gibt’s doch diesen Laden direkt hinter dem Bahnhof. Ich fahr mit der U-Bahn hin. Da bin ich in einer dreiviertel Stunde wieder hier.“ Dominik ließ es mehr wie eine Frage klingen.

      „Was kostet denn so ein Ding? Ist bestimmt nicht billig“, wandte Lennie ein. „Nur für das eine Mal hier mit der Katze, das lohnt doch gar nicht. Und Fische gibt’s hier oben auch nicht so viele.“ Er grinste.

      „Kannst du mal einmal ernst bleiben?“ Pia knuffte ihn entnervt in die Seite. Sie warf einen Blick auf das benachbarte Dach. Die Katze harrte noch immer an gleicher Stelle aus, und genauso unschlüssig standen sie herum. Die chinesischen Tonkrieger wären dagegen impulsiv rübergekommen.

      „Dann geh ich jetzt rüber“, platzte Pia in die Stille und riss entschlossen die Tür zur Dachterrasse auf. Eilig trat sie nach draußen, um keine Zeit zu haben, es sich anders zu überlegen. Als sie ihr rechtes Bein über das Geländer schwang, meldete sich ihr Handy. Sie schwang das Bein zurück und war erleichtert, denn so merkten die beiden Männer nicht, dass auch ihr der Mut fehlte.

      „Wir können ja beim Nachbarblock mal anklingeln. Die haben doch sicher einen Hausmeister, der da rauf kann“, fiel Pia ein, während sie ihr Smartphone entgegennahm, das Dominik ihr herüberreichte.

      Keno betrachtete die Lage von der Dachterrasse aus. „Es wäre leicht, wenn es nicht so blöd übereck läge.“ Er runzelte die Stirn, sein ungekämmtes Haar gab ihm etwas Verwegenes.

      Jetzt, wo dieser athletisch aussehende Sportstudent in ihrer Wohnung stand, wusste Pia nicht mehr, was sie da eben am Telefon geritten hatte. Der Gedankenblitz war unkontrolliert aus ihr hochgeschossen, als Keno sich am anderen Ende gemeldet hatte und sie hatte ihn mit ihrem inneren Auge bereits von Dach zu Dach springen sehen. Auf Kenos Frage, ob jetzt alles wieder okay sei, hatte sie mit einer Gegenfrage geantwortet. „Kannst du Katzen retten?“ Die Tatsache, dass die beiden anderen noch hier in ihrer kleinen Wohnung waren, sicherte die Situation ab, es gab ja nichts Verfängliches.

      Als würde Keno den ganzen Tag nichts anderes machen, landete er mit einem eleganten Sprung auf dem Nachbardach. Pia blieb beinahe das Herz stehen, so ohne Vorankündigung hatte sie mit diesem Stunt nicht gerechnet. Die Katze rührte sich nicht, anscheinend ging es dem Tier wirklich schlecht. Keno redete beruhigend auf den Tiger ein, während er sich langsam und mit ruhigen Bewegungen dem Farbklecks näherte. Ohne Widerstand ließ sich das verklebte Knäuel aufheben. Einen Moment lang hielt er die Katze dicht am Körper. Pia konnte nicht umhin den Anblick mit einem Strom innerer Wärme richtig süß zu finden. Dann reichte Keno ihnen mit lang ausgestrecktem Arm das Tier entgegen. Dominik lehnte sich weit über das Geländer und nahm es in Empfang. Mit einem großen Satz folgte der Retter, schwang sich über das Geländer und grinste. „Jetzt könnte ich einen Kaffee gebrauchen.“

      Pia fragte sich, wie sie hier in der U-Bahn bei den anderen Fahrgästen wohl rüberkamen. Drei Männer und eine Frau, die eine kleine rote Reisetasche mit sich trugen, aus der es miaute. Sie hatten den Tierarztbesuch gemeinsam gemacht, gemeinsam das Wartezimmer blockiert, zusammen den Tierarzt mit Fragen gelöchert, sogar gemeinsam bezahlt. Pia war heilfroh, die Rechnung hätte ihre Finanzen gesprengt. Als kleines Dankeschön würde sie die drei Mitstreiter heute Abend bekochen, Nudeln mit Pesto, soviel Anstand musste sein. Die Mieze war jetzt nackt, abgeschoren, weil sich Acrylfarbe nicht auswaschen lässt. Durch das gespritzte Aufbaupräparat gestärkt, schimpfte sie jetzt vor sich hin.

      „Willst du die behalten oder bringst du sie ins Tierheim?“, wollte Lennie wissen.

      „Ein Haustier steht nicht wirklich bei mir auf dem Plan“, gab Pia zu, „aber ich würde es nicht übers Herz bringen, sie ins Tierheim zu geben.“

      „Sie gehört ja quasi schon zur Familie“, grinste Keno.

      Pia sah ihn finster an. Wie konnte der denn jetzt von Familie reden? Sie kannten sich doch gar nicht. Ihr war auch nicht bekannt, dass vier Stunden jemals gereicht hätten, um eine Familie zu gründen. Es war vielleicht ein Fehler gewesen, auch ihn an der Rechnung zu beteiligen, womöglich stellte er noch irgendwelche Ansprüche. „Wenn, dann gehört sie zu mir. Sie treibt sich ja schon wochenlang auf meinem Dach herum. Willst du dein Geld wiederhaben?“

      „Hast du eine Sperre, was Familie angeht?“, fragte Keno erheitert.

      „Nein, ich krieg nur Probleme, wenn mir Unbekannte sofort so dicht auf die Pelle rücken.“

      „Ich sitz dir gegenüber, Dominik rückt dir auf die Pelle.“

      „Du weißt genau, was ich meine, Keno.“

      Der grinste nur.

      „Bleib mal locker, Pia“, kam Lennie ins Gespräch. „Immerhin kennst du schon seinen Namen, er hat die Katze gerettet und irgendwie passt er auch ganz gut zu uns.“

      Pia blickte wortlos vor sich hin. Ja, fall mir mal gepflegt in den Rücken, Lennie. Ihr innerer Peilsender versuchte auszuloten, wie die Geschehnisse der letzten Stunden in diese Situation münden konnten und wo das jetzt hinführen sollte. Die alte Komödie kam ihr in den Sinn, drei Männer und ein Baby. In ihrem hin und wieder leicht paranoiden Gedankenlabyrinth gab es gerade einen Keno, der alles eingefädelt hatte, die Begegnung in der U-Bahn und die passgenauen Anrufe, nachdem er die Katze auf dem Dach platziert hatte. War natürlich Blödsinn, die Mieze hatte sich schon immer dort rumgetrieben. Das Ganze war auch ohne diese bescheuerten Hirngespinste schon abenteuerlich genug.

      „Wir sollten noch Katzenfutter besorgen“, holte Keno sie aus ihren Gedanken.

      3. Signatur

      Die Katze schlief in ein altes Handtuch gekuschelt im Karton eines Versandriesens. Pia lag auf der Seite, der Anblick, der sich dort in der Zimmerecke bot, war so beruhigend wie sonst nur die Kombination aus dicker Decke, leiser Musik, Tee und einem Glas Rotwein. Vielleicht sollte sie die Mieze Propofol taufen. Aber das passte eher zu ihrem Kunstdozenten Professor Jadebusch, der war eine Schlaftablette mit Füßen. Wenn der zeichnete, fiel ihm erst der Stift aus der Hand und fünf Minuten später der Kopf aufs Papier. Pia seufzte, sie stand kurz vor einer Entscheidung. Sie hatte das Fund-Tier beim Amt gemeldet, hoffte aber schon jetzt, es würde sich niemand melden, um es bei ihr abzuholen. Die Mieze einfach zu behalten schien ihr nicht mehr so abwegig wie noch am Vorabend. Sie würde das mit ihrem Vater besprechen, er mochte Tiere. Als sie klein war, hatten die gemeinsamen Zoobesuche sie beide immer wieder vollends fasziniert. Am Wochenende hatte sie mit ihrem Daddy auf der Couch Tierfilme gesehen. Und er hatte sich gefreut, wenn die Katze des Nachbarn draußen auf der Fensterbank gelegen hatte. Das hat sowas Gemütliches, hatte er dann immer geschwärmt. Ihre Mutter hatte dann ausführlich über das Viech geschimpft, sie mochte nur Tiere, die man umrühren konnte. Pia zog sich die Decke enger um den Körper und ließ ihren Blick auf dem Katzentier ruhen. Sie hatte


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