Das Geheimnis der gelben Narzissen. Edgar Wallace

Das Geheimnis der gelben Narzissen - Edgar  Wallace


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Miss Rider«, entgegnete er ärgerlich. »Diese Verse werden von den besten Kritikern des Landes mit den schönsten Gedichten der alten Hellenen verglichen.«

      Sie wollte sprechen, aber sie beherrschte sich und preßte die Lippen zusammen.

      Thornton Lyne zuckte die Schultern und ging in dem mit größtem Luxus ausgestatteten Büro auf und ab.

      »Natürlich, die große Masse beurteilt Poesie wie Gemüse«, sagte er nach einer Weile. »Sie müssen sich noch etwas Bildung aneignen, besonders in Literatur. Es wird noch eine Zeit kommen, in der Sie mir dankbar sind, daß ich Ihnen eine Gelegenheit gab, schöne Gedanken in

      schöner Sprache kennenzulernen.«

      Sie schaute ihn an.

      »Kann ich jetzt gehen, Mr. Lyne?«

      »Noch nicht«, erwiderte er kühl. »Sie sagten vorhin, daß Sie mich nicht verstehen könnten. Ich möchte es Ihnen noch einmal etwas deutlicher sagen. Sie sind, wie Sie auch wohl selbst wissen, ein sehr schönes Mädchen. Später werden Sie, wie das in Ihrem Stande so üblich ist, einen Mann mit Durchschnittsverstand und ohne große Bildung heiraten, und Sie werden an seiner Seite ein Leben führen, das in vieler Beziehung dem einer Sklavin ähnelt. Das ist das Schicksal aller Frauen des Mittelstandes, wie Ihnen bekannt sein wird. Wollen Sie auch dieses Los teilen, nur weil irgendein Mann mit schwarzem Rock und weißem Kragen gewisse Worte zu Ihnen spricht, Worte, die weder Bedeutung noch Schicksalsbestimmung für intelligente Menschen haben? Ich würde Ihnen niemals zumuten, eine solche närrische Zeremonie durchzumachen, aber ich würde alles daransetzen, Sie glücklich zu machen.«

      Er ging auf sie zu und legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie zuckte zurück, und er lachte.

      »Was sagen Sie nun dazu?«

      Sie wandte sich plötzlich um, ihre Augen blitzten, aber sie hatte ihre Stimme in der Gewalt.

      »Ich bin zufällig eines jener törichten jungen Mädchen aus der Vorstadt, die den Worten bei der Trauung, von denen Sie eben so verächtlich sprachen, großen Wert beilegen. Allerdings bin ich auch großzügig genug, um zu wissen, daß die bloße Trauungszeremonie die Menschen weder glücklicher noch unglücklicher macht. Aber ob es sich nun um Ehe oder irgendeine andere Form von Beziehungen handelt, unter allen Umständen soll der Mann,

      dem meine Liebe gehört, ein ganzer Mann sein.«

      Er sah sie gereizt an.

      »Was wollen Sie damit sagen?« Seine Stimme war nicht mehr so weich und einschmeichelnd wie vorher.

      Odette kämpfte mit den Tränen, aber sie beherrschte sich noch einmal.

      »Mir ist ein so haltloser Mensch zuwider, der entsetzliche Gedanken und Gefühle in nichtssagende Verse bringt. Ich wiederhole Ihnen noch einmal, daß ich nur einen Mann lieben kann.«

      Sein Gesicht zuckte.

      »Wissen Sie auch, zu wem Sie sprechen?« fragte er mit erhobener Stimme.

      Ihr Atem ging schnell.

      »Ich sprach zu Thornton Lyne, dem Eigentümer der Firma Lyne, dem Chef Odette Riders, die jede Woche drei Pfund Gehalt von ihm erhält.«

      Er war wütend und konnte vor Aufregung kaum sprechen.

      »Hüten Sie sich«, rief er.

      »Ich spreche zu einem Menschen, dessen ganzes Leben einen Vorwurf für einen wirklichen Mann bedeuten würde!« Sie sprach jetzt schnell und hemmungslos. »Sie sind ein Mensch, der unaufrichtig ist und ein luxuriöses Leben führt, weil sein Vater ein großer Geschäftsmann war, der das Geld mit vollen Händen ausgibt, das bessere Männer durch harte Arbeit für ihn erworben haben. Ich lasse mich nicht von Ihnen einschüchtern«, rief sie zornig, als er auf sie zutrat. »Ich werde meine Stellung aufgeben, und zwar noch heute.«

      Thornton Lyne war durch ihre Verachtung aufs tiefste verletzt und gedemütigt. Plötzlich kam ihr das auch zum Bewußtsein, sie bedauerte ihre heftigen Worte und wollte sie bis zu einem gewissen Grade wiedergutmachen.

      »Es tut mir leid, daß ich so hart war«, sagte sie freundlich, »aber Sie haben mich herausgefordert, Mr. Lyne.«

      Er konnte nicht sprechen und wies nur schweigend mit dem Kopf zur Tür.

      Odette Rider verließ das Zimmer, und Mr. Lyne trat an eins der großen Fenster. Er sah ihr nach, wie sie mit gesenktem Blick langsam durch die Reihe des Personals schritt und an der anderen Seite die drei Stufen hinaufstieg, die zu dem Büro der Hauptkasse führten.

      »Dafür sollst du noch büßen!« zischte er zwischen den Zähnen hervor.

      Er war über alle Maßen beleidigt und gekränkt. Er war der Sohn eines reichen Mannes, der stets behütet und beschützt wurde und nichts von dem harten Kampf ums Dasein erfuhr. Er war nicht in einer öffentlichen Schule unterrichtet worden, wobei er ja mehr mit der Umwelt und anderen Menschen zusammengekommen wäre, sondern er hatte Privatschulen besucht, in denen nur die Söhne der Reichsten aufgenommen wurden. Stets hatte er nur Schmeichler und Leute um sich gehabt, die von seinem Reichtum profitieren wollten. Niemals waren er und seine Handlungen der scharfen Kritik gerechter Lehrer und Erzieher ausgesetzt worden. Nur eine minderwertige Presse hatte seine literarischen Erzeugnisse über alle Maßen gelobt und dementsprechend Nutzen daraus gezogen.

      Er biß sich auf die Lippen, ging zu seinem Schreibtisch und klingelte. Gleich darauf trat seine Sekretärin ein, die er vorher fortgeschickt hatte.

      »Ist Mr. Tarling gekommen?«

      »Ja, Mr. Lyne, er wartet schon seit einer Viertelstunde im Sitzungszimmer.«

      Er nickte.

      »Danke schön.«

      »Soll ich ihn rufen?«

      »Nein, ich werde selbst zu ihm gehen«, entgegnete Lyne.

      Er nahm eine Zigarette aus seinem goldenen Etui und steckte sie an. Seine Nerven waren durch die letzte Unterredung etwas angegriffen, und seine Hand zitterte, aber der Sturm in seinem Innern legte sich allmählich, denn es kam ihm ein Gedanke. Tarling? Welch eine glänzende Möglichkeit, dieser Mann, dem ein Ruf von Genialität und unheimlicher Klugheit vorausging! Dieses plötzliche Zusammentreffen war einfach großartig.

      Mit schnellen Schritten eilte er den Gang entlang, der sein Privatbüro mit dem Sitzungszimmer verband, und trat mit ausgestreckten Händen in den großen Raum.

      Der Mann, den er so liebenswürdig begrüßte, konnte ebensogut siebenundzwanzig als auch siebenunddreißig sein. Er war groß, schlank und eher geschmeidig als stark. Sein Gesicht hatte eine dunkelbraune Farbe, und seine blauen Augen, mit denen er Lyne ansah, waren fest und undurchdringlich. Das war der erste Eindruck, den Lyne von ihm hatte.

      Tarling drückte Lyne die Hand und war unangenehm berührt, denn sie war so weich wie eine Frauenhand. Nach der Begrüßung entdeckte Lyne noch einen dritten in dem Raum. Er war unter Mittelgröße und saß im Schatten eines Wandpfeilers. Auch er erhob sich und verneigte sich kurz.

      »Haben Sie einen Chinesen mitgebracht?« fragte Lyne und betrachtete den Mann neugierig. »Ach, beinahe hätte ich ja vergessen, daß Sie gerade aus China kommen. Aber bitte, nehmen Sie Platz.«

      Auch Lyne zog sich einen Stuhl heran und hielt Tarling sein Zigarettenetui hin.

      »Den Auftrag, den ich Ihnen geben möchte, will ich später mit Ihnen besprechen«, sagte Lyne. »Ich muß Ihnen offen gestehen, daß ich durch die Zeitungsartikel, die ich über Sie las, sehr von Ihnen eingenommen bin. Sie haben doch neulich die Juwelen der Herzogin von Henley wieder aufgefunden? Auch habe ich schon früher viel von Ihnen gehört, als ich in China war. Soviel ich weiß, sind Sie nicht bei Scotland Yard angestellt?«

      »Nein, ich war wohl einer der höheren Polizeibeamten in Schanghai und hatte auch bei meiner Rückkehr nach England die Absicht, bei der hiesigen Polizeidirektion einzutreten. Aber es ereignete sich allerhand, was mich veranlaßte, meine eigene Detektivagentur aufzumachen. Ich hätte in Scotland Yard nicht so viel freie Hand gehabt, wie ich


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