Abenteuer Baltikum (Text Edition). Guido Lange
nicht alles durcheinander.
Tag 2 im Blog: https://abenteuerbaltikum.com/2017/05/03/greifswald-gahlkow/
Am Tag 3 geht‘s vorbei an einem ehemaligen Atommeiler durch das Fischerdorf Freest mit leckerem Fisch am Hafen, dann mit der Fähre rüber nach Usedom. So kurz die Überfahrt auch ist – ich bin am Meer, ich bin „on track‘‘ und komme wieder mal in Hochstimmung. Ich ignoriere, dass ich schon am Tage friere, obwohl ich mich umziehe und die nassen Sachen bei Sonne und Wind trockne. Ich suche mir den Heilbutt, einen sehr fettigen Fisch aus, um Energie zu tanken. Kaum angekommen in meiner Ferienwohnung in Karlshagen, mache ich mich ohne Wagen zu einem Strandrestaurant auf – im Laufschritt, um nicht zu erfrieren. Das niedrige Energielevel kann ich nicht länger verdrängen und hoffe aber darauf, dass sich mein Körper mit der neuen Situation anfreundet. Ich esse zwei Hauptgerichte. Das fällt mir nicht schwer, denn ich esse gern, auch wenn es so halt teurer wird.
Blogeintrag: https://abenteuerbaltikum.com/2017/05/03/lubmin-freest-karlshagen/
Ich kenne die Frostattacken nach einem Marathon. Da steht man in Frankfurt überglücklich im grandiosen Zieleinlauf in der Messehalle, will noch etwas genießen, soll aber eigentlich weitergehen. Da drin ist es vergleichsweise warm und wenn man dann doch weiter geschoben wird an der Medaillenübergabe vorbei, raus aus der Halle, dann kommt so eine Art Innenhof mit Verpflegungsständen. Da habe ich dann schon derart gefroren, dass ich kaum was essen oder trinken konnte. Die Duschen sind unten in einer zugigen Halle (wahrscheinlich Parkhaus), da bin ich gefühlt fast erfroren. Die meisten anderen empfanden das als nicht so schlimm. Vielleicht ist das eine Spezialität von mir. Durch das Laufen hat man weniger Fettpolster, die einen isolieren würden. So ähnlich erging es mir am 4. Tag bei meiner Ankunft in Kölpinsee. Die Ausflugslokale sind nun mal keine urigen Alpenhütten mit Kachelofen, sondern auf Sommer, Sonne, Strand und Mücken ausgelegt. Da war es am 4. Mai dann auch nicht sonderlich warm und ich bestellte Tee, mehrere heiße Suppen und das Tagesgericht. Gut, dass ich vorerst auf das Schlafen im Zelt verzichtete, denn im Zimmer kann man doch meist eine Heizung bis zum Anschlag aufdrehen und sich notfalls die zweite Bettdecke drüber legen.
Blogeintrag: https://abenteuerbaltikum.com/2017/05/04/karlshagen-zinnowitz/
Die Buchenwälder auf Usedom, durch die ich von Ferienort zu Ferienort lief, waren einfach traumhaft. Es ging sanft auf und ab, auf teppichartigen Waldwegen. Der Wind war dadurch nicht zu arg und ich war am Tag 5 nun eindeutig über meine bisherigen Laufserien von maximal 3 bis 4 Tagen ohne Pause hinaus. Immerhin, bei meiner Ankunft in der Jugendherberge in Heringsdorf hatte ich mehr als 119 km auf der Uhr und war unverletzt, wenn auch durchaus belastet. Auch das machte mich glücklich. Ich hatte mein Dehnprogramm erweitert und draußen wurde es jeden Tag etwas wärmer. Wie lange würde es noch dauern, bis mein Körper sich damit abfand, dass das nun so weiter ginge?
Die letzten Kilometer in Deutschland waren eine Besonderheit: Die Orte Heringsdorf und Ahlbeck sind miteinander verschmolzen und es geht einige Kilometer direkt auf der schicken Strandpromenade mit den mondänen Häusern in preußischem Stil entlang. Ich laufe vorbei an der berühmten bebauten Seebrücke und den vielen weißen Villen – die so genannte Bäderarchitektur. Der Knaller aber waren die Menschen: Viele winkten mir zu und wünschten gute Reise. Sie riefen und strahlten im Kollektiv. Denn in der Ostseezeitung war ein ganzseitiger Artikel erschienen über meinen Lauf ins Baltikum und nach dem Frühstück waren praktisch alle Gäste der Vorsaison informiert. Einen herzlichen Dank an die Redaktion, die mir auch die drei Sponsoren für die Unterkünfte auf Usedom besorgt hatte. Gut so, denn sonst wäre ich erfroren. Ich war wieder mal in Hochstimmung und ließ mich von Passanten an dem Grenzdenkmal nach Polen fotografieren. Auf der Fähre nach Swinemünde empfahl mir ein Radlerpaar aus dem Rheinland die Konditorei auf der Seebrücke in Misdroy. Da gibt es die mit Abstand größten Sahnetorten, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Wahrscheinlich war ich der einzige Mensch zu der Zeit dort, der die Kalorienbomben direkt in Bewegungsenergie umsetzen umsetzen konnte.
Blog: https://abenteuerbaltikum.com/2017/05/05/heringsdorf-ahlbeck/
Kurz vor Misdroy probierte ich barfuß im Sand zu laufen. Das war eine meiner vielen Vorstellungen von diesem Abenteuer: Viele Kilometer Am Strand barfuß laufen – welch eine Wohltat. Es wurden erstmal nur 4 Kilometer, denn mit Muschelschalen und kleinen Steinchen wirkte der Strand doch recht grob auf meine zarten Fußsohlen. Es war trotzdem eine Wohltat, aber an der besagten Seebrücke musste ich ohnehin hoch auf die Strandpromenade. Ich nahm mir vor, das öfter zu machen und mich so auch mit Sandläufen (an der Wasserkante, nicht im tiefen, weichen Sand) zu konditionieren. Die Füße sind meine eigentliche Schwachstelle und die werden auch nicht durchs Dehnen wesentlich besser. Einige Monate vorher hatte ich Probleme mit der Plantarfaszie, der Sehnenplatte in der Fußsohle. Linderung bringt ein Golfball, auf dem man mit den blanken Füßen rollt. Hier war der sandige Untergrund die reinste Therapiesitzung.
Blog: https://abenteuerbaltikum.com/2017/05/06/swinemuende-misdroy/
Am Tag 6 dachte ich erstmals über einen Pausentag nach. Auch wenn alles gut lief, würde ich neben Punkt 1 (dehnen!) auch Punkt 2 erfüllen müssen (nicht übertreiben). Nur dann blieb ich gesund. Aber es sollte nicht irgendein Kaff sein, wo ich pausieren wollte und so lief ich weiter. Der Tag hatte es in sich: Misdroy war zu nahe und so lief ich auf einer Landstraße im Halbkreis um den Wolin (einer Art bewaldeter Berg) herum. Meine Bedenken, dass unterhalb der Steilküste eben deren Steine mir den Weg versperren, hielten mich davon ab, wieder am Strand zu laufen. Später sah ich von einem grandiosen Aussichtspunkt 100 m über dem Strand, dass dieser absolut steinfrei und herrlich gelb und glatt war. Tja, da hätte ich auch lang laufen können. Stattdessen hatte ich den Umweg über eine stark befahrene Straße und viele Höhenmeter in den Beinen.
Irrwege wird es immer geben. Die Zimmersuche im nachfolgenden Ort gestaltete sich aussichtslos und so musste ich immer weiter, letztendlich bis nach Kołczewo: 37 km im Ganzen. Die Unterkunft war schön, aber eisekalt, die Dusche brauchte auch einige Stunden, um aufzuheizen. Ich war offenbar der erste Gast des Jahres. Zu essen gab es auch nichts, aber ich hatte ja meine Trekkingnahrung dabei: viel Energie mit wenig Gewicht. Aber alles in allem war es die kälteste Nacht meines Abenteuers. Ich fand zwei ältere Heizlüfter, die ich in Stellung brachte und es gab eine kleine Wandheizung plus einen Elektroherd in dem Sommerhaus. Kein Wunder, dass ich nun das nächst darunter liegende Energielevel erreichte.
Tag 7 und 8 mit jeweils 27 km waren wirklich schön und spannend. Ich traf Leute, genoss die Freuden der Vorsaison, bestieg Leuchttürme, begann mit einem Wörterbuch polnisch zu lernen und aß zwischendurch immer Kuchen und Eis, damit der Tank nicht leer lief. In dem Ort mit dem unaussprechlichen Namen Mrzeżyno am Tag 8 brauchte ich eine Pause. Eigentlich wollte ich bis zum angesehenen Ostseebad Kołobrzeg (Kolberg) durchziehen. Aber irgendwie hatte ich mich – wahrscheinlich in Kołczewo in dem kalten Sommerhaus – erkältet.
Blog: https://abenteuerbaltikum.com/2017/05/08/dziwna-pobierow/
Und: https://abenteuerbaltikum.com/2017/05/10/rewal-niechorze-mrzezyno/
Es sollte meine am längsten andauernde Laufserie bleiben – acht Tage mit immerhin 210 km – mit meinem Ziehwagen Benpacker, mit Gegenwind, mit überraschend vielen Höhenmetern. Ich war stolz wie Bolle, aber auch angeschlagen. Wenn die Reise nicht jetzt zu Ende gehen sollte, musste ich pausieren. Der Grund war die Erkältung, aber natürlich freute sich auch die Anatomie über einen Tag ohne Lauf. Ich schluckte ein Breitband-Antibiotikum, zwei auf einmal und dann zwei pro Tag über zehn Tage. Selbst wenn ich gekonnt hätte, gab es zwei wichtige Gründe, jetzt nicht zu übertreiben: Herzgefäßen. Und Laufen unter Medikamenteneinfluss ist eh schädlich für Niere und