Der Schreiberling. Patrick J. Grieser

Der Schreiberling - Patrick J. Grieser


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sehr empfindliche Nase.« Dabei tippte er sich mit der Fingerspitze an seine schiefe Nase, die schon viele Male gebrochen und nie richtig wieder zusammengewachsen war.

      Stella, Slaters Ehefrau, war die gute Fee der Blue-Lodge-Ranch – soviel hatte der Cowboy auf ihrem langen Ritt schon herausgehört. Slater war ein sehr schweigsamer Bursche, die meiste Zeit über hatte nur der Cowboy gesprochen. Irgendwann war aber auch dem Cowboy die Lust an der einseitiger Konversation vergangen, und so waren sie die meiste Zeit ohne große Worte nebeneinander geritten, während sie der nächtlichen Geräuschkulisse, wie dem monotonen Zirpen der Grillen und dem lang gezogenen Heulen der Kojoten, gelauscht hatten.

      Am Tor der Blue-Lodge-Ranch hatten sich Slaters Männer versammelt, denn die Kunde, dass der Boss zurückgekehrt war, hatte sich bereits herumgesprochen. Der Cowboy hatte bemerkt, dass Slater Männer am Eingang des Canyons postiert hatte, die seine Ankunft der Ranch gemeldet hatten. Inmitten der Maverickjäger stand eine kleine, zierliche, attraktive Frau, die allem Anschein nach Slaters Frau war, denn sie warf sich ihm um den Hals, kaum dass dieser aus seinem Sattel gestiegen war.

      Stella Slater hätte durchaus auch als Jeremys Tochter durchgehen können, denn sie war mindestens halb so alt wie ihr Ehemann. Und sie war eine wahre Schönheit! Das feuerrote Haar glänzte im Licht der aufgehenden Sonne. Ihr sommersprossiges Gesicht und ihre Augen, zwei leuchtende Smaragde, verliehen ihr ein verführerisches Aussehen.

      Mein Gott, was für ein Prachtweib, dachte der Cowboy und er beneidete seinen Weggefährten dafür. So eine Frau an seiner Seite, das war es, was dem Cowboy zum absoluten Glück noch fehlte. Seit der Trennung von seiner Frau hatte er nie mehr so etwas wie Liebe empfunden. Hastig verdrängte er die schmerzhaften Erinnerungen an damals, als er seine Frau mit einem anderen Kerl im Bett erwischt hatte. Es war ein anderes Leben gewesen …

      »Howdy!«, begrüßte ihn Stella Slater herzlich, und der Cowboy ließ es sich nicht nehmen, ihr einen Kuss auf die ausgestreckte Hand zu hauchen. Sie lachte auf und es klang wie bei einem Engel.

      »Das ist meine Stella«, sagte Slater und stellte die beiden kurz vor.

      Während Stella Arm in Arm mit Jeremy vorausging, folgte der Cowboy den beiden und ließ es sich nicht nehmen, ein altes Lied anzustimmen, das ihm just in diesem Moment in den Sinn kam. Es war Your Kiss is on my list von Hale & Oates. Leise sang er die einzelnen Verse vor sich hin, denn obwohl das Lied erst mehr als hundert Jahre später in den Charts erscheinen würde, so würde Jeremy Slater doch den Inhalt verstehen und es ihm vielleicht sogar übel nehmen.

       »Your kiss is on my list, because your kiss is on my list of the best things in life …«

      Sie stiegen die Stufen zur Veranda herauf und wurden von weiteren Mitarbeitern der Blue-Lodge-Ranch begrüßt.

       »Because your kiss, your kiss is on my list, because your kiss, your kiss I can’t resist …«

      Nachdem der Cowboy ein kurzes Bad in einem Holzbottich genommen hatte (denn vorher ließ ihn Stella Slater nicht an den Esstisch), fand er frische Kleider in dem kleinen Zimmer vor, das man ihm zugewiesen hatte. Hastig kleidete er sich an, denn er verspürte großen Hunger. Sein Magen fühlte sich wie ein harter Klumpen an, der sich immer öfters schmerzend zusammenzog.

      Das großzügig geschnittene Esszimmer verfügte über Panoramafenster, von denen man einen herrlichen Blick auf das Valley und die grasenden Rinder hatte. Jeremy und der Cowboy nahmen an dem Holztisch vor den Fenstern Platz, während die schöne Stella ihnen eines der besten Frühstücke zubereitete, die der Cowboy je gegessen hatte. Es gab gebackenes Brot (das noch warm war) mit Rührei und Speck, dazu reichte sie gebratenes Gemüse, deftige Rauchwurst sowie wilden Honig. Sie schenkte ihnen einen Kaffee ein, der so kräftig war, dass wahrscheinlich ein Hufeisen darin schwimmen konnte. Weiterhin gab es ein Glas frische Milch, die einfach nur köstlich schmeckte und den Staub der Straße herunterspülte und die ausgetrocknete Kehle beruhigte.

      »Wir werden morgen ausreiten und noch ein paar Mavericks jenseits des Flusses einfangen. Danach treiben wir unsere Stammherde in die großen Verladekorrals von Kansas. Von dort werden sie mit der Bahn in den Osten des Landes verfrachtet«, erklärte ihm Slater, während er den Honig von seinen Fingern ableckte. »Hast du schon einmal Rinder getrieben?«

      »Nicht, dass ich wüsste …«, meinte der Cowboy und kratzte sich verlegen hinter dem Kopf.

      »Morgan Elroy soll dir eine Einweisung geben. Er ist mein bester Viehtreiber.«

      »Yeah, das klingt gut.«

      Jeremy Slater fuhr sich durch seine lockige Mähne. In diesem Moment sah er in der Tat wie die menschliche Ausgabe eines Löwen aus. Selbst das herzhafte Grollen, das aus seiner Kehle drang, passte dazu. »Dann sind wir uns ja einig!«

      Langsam stellte der Cowboy seine Tasse wieder ab. »Eine Frage hätte ich noch!«

      »Raus mit der Sprache!«

      »Gibt es hier in der Gegend Schnecken?«

      »Schnecken?«

      »Ja, insbesondere Nacktschnecken.«

      »Wie kommst du darauf?«

      »Gab es in der letzten Zeit irgendwelche besonderen Vorkommnisse? So eine Art groß angelegtes Schneckensterben?«

      Slater schüttelte den Kopf. »Du bist echt ein verrückter Mann, Rainer! Was ist bei dir nur schiefgelaufen?«

      »Ne Menge …«

      »Warum interessieren dich die Schnecken?«

      »Sagen wir es so, ich bin ein sehr abergläubischer Mensch und von dort, wo ich herkomme, sind tote Schnecken ein sehr schlechtes Omen!«

      »Hier in der Prärie findest du keine Schnecken. Dazu ist der Boden zu trocken. Aber in den Wäldern gibt es welche«, erwiderte Jeremy Slater unsicher, weil er nicht wusste, ob ihn der Cowboy auf den Arm nahm.

      »Kein Schneckensterben?«

      »Nicht, dass ich wüsste!«

      »Das hört sich gut an!«

      »Was ist das für ein Omen, von dem du gesprochen hast?«

      »Ach, es gibt da so eine Legende, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählt. Wenn die Schnecken sterben, dann bekommen wir Besuch von einer Bande von Seemännern, die uns nicht ganz wohlgesinnt sind.«

      »Seemännern?«, wollte Slater wissen. »Junge, seid ihr in der Alten Welt alle so durchgeknallt?«

      »Kann man wohl sagen. Wenn Sie Ihre Millionen in Kansas in der Tasche haben, dann nehme ich Sie mal mit in den Odenwood. Es würde Ihnen sicher gefallen!«

      »Schiffsreisen sind nichts für mich. Ich werde schon auf einem beschissenen Mississippidampfer seekrank.«

      In diesem Moment betrat ein muskulöser Mann mit nacktem Oberkörper das Esszimmer. Er hatte sich so lautlos bewegt, dass seine Präsenz erst von den beiden Männern bemerkt wurde, als er vor dem Holztisch stand. Auf seinem kahl geschorenen Schädel gab es nur von der Stirn bis zum Nacken einen schmalen Streifen Haare, der nach oben stand. Dies erweckte bei dem Cowboy Assoziationen an einen Punker. Das ausdruckslose Gesicht des Mannes wirkte wie in Stein gemeißelt. Seine Haut hatte einen leichten Stich ins Gelbliche; die Augen standen eng zusammen.

      Ja, dachte der Cowboy, vor mir steht wahrhaftig ein echter und stolzer Prärieindianer!

      »Gerade eben haben wir noch über dich gesprochen«, sagte Slater zu dem Indianer und wandte sich dann an den Cowboy: »Darf ich vorstellen? Das ist mein bester Mann: Morgan Elroy! Scout und Viehtreiber in einer Person.«

      »Morgan Elroy?«, fragte der Cowboy überrascht, als er die Hand des Indianers schüttelte, der so fest zudrückte, als wolle er ihm alle Knochen brechen.

      »Ich bin ein Pawnee, aber meine Zieheltern waren Weiße. Die Arapahoes haben meine Eltern getötet. Ich bin nicht unter den Rothäuten groß geworden«, sagte Morgan Elroy in tadellosem Englisch. »Seit mehr als sechs Jahren arbeite ich für


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