Mein Weg als Freimaurer. Serge Abad-Gallardo

Mein Weg als Freimaurer - Serge Abad-Gallardo


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Ahnung bestätigt, dass die Steine die Freimaurer symbolisierten, während das Brecheisen für den freimaurerischen Willen stand, der so rationalistisch und zugleich esoterisch geprägt war, dass ihm nichts widerstehen konnte. Welch menschliche Anmaßung angesichts der Allmacht Gottes! Wenn sie über gute Lehrlinge, gute Gesellen und gute Meister verfügte, würde sich die Freimaurerei in der Menschheit unweigerlich durchsetzen: »Der Wille gibt uns das unwiderstehliche Brecheisen an die Hand, mit dem wir die Welt aus den Angeln heben können.«59 Es würde nichts nützen, wenn die verschlafenen Profanen gegen die erweckten, durch ein geheimes Licht erleuchteten Eingeweihten kämpfen würden, da die geschickt eingesetzten Brecheisen – wie ich eines war – nutzbringend und heimlich in den Behörden, Unternehmen, Gewerkschaften und Verbänden, in der Finanzwelt und in den Kreisen der Politik platziert wurden. Dass diese Darstellung der Wahrheit entspricht, bestätigen die Worte eines Großmeisters: »Der Einfluss der Freimaurerei ist heute vielleicht noch beträchtlicher […] als zu Zeiten der Dritten oder Vierten Republik60. Sie sind auf einer anderen Ebene platziert. […] Es gibt heute keinen Verband, keine Vereinigung, keine Gewerkschaft, in denen die Freimaurer nicht vertreten wären – und das in den verantwortungsvollsten Positionen.«61

      Bei der Zeremonie hatte der Meister vom Stuhl seine Belehrung über das Brecheisen des Gesellen wie folgt beendet:

      »Das Brecheisen entfaltet nur dann die Wirkung, die man von ihm erwarten darf, wenn es in Freiheit eingesetzt wird. Ebenso wird das Denken unfruchtbar und machtlos, wenn es in Unwissenheit, in Vorurteilen und in Dogmen (sic) befangen bleibt. Das Brecheisen symbolisiert die Macht des freien Denkens. Ohne Freiheit ist und vermag die Vernunft nichts. Möge das Brecheisen Ihnen diese Pflicht des Freimaurers immer ins Gedächtnis rufen: frei zu denken.«

      An dieser Stelle drängt sich eine »Interpretation« auf, eine »Interpretation«, der über zwanzig Jahre des freimaurerischen Tuns und Denkens zugrunde liegen, somit eine »Interpretation«, die sich auf eine Vielzahl gelesener Texte, gehörter Werkstücke und mit Meistern und Hochgraden der Freimaurerei geführter Diskussionen stützen kann.

      Das Brecheisen in Freiheit zu handhaben heißt, dass der Freimaurer selbst über seine Verwendung bestimmt, dass diese Selbstbestimmung jedoch ausschließlich im Rahmen der freimaurerischen Doxa erfolgt, die seine Vorstellung von »humanistischer Freiheit« unbewusst geprägt hat. »Wenig lesen und viel selbst denken, das muss die Regel des Meisters sein. Als Architekt seines intellektuellen Gebäudes trägt er die Materialien zusammen, die er nach seinem eigenen Plan verwendet und nach Gutdünken bearbeitet.«62

      Nachdem ich die freimaurerischen Dogmen und besonders jene, die das Brecheisen betrafen, beobachtet hatte, erkannte ich – im Rahmen einer Zeremonie der Aufnahme in den Gesellengrad63 – ihre spirituellen Grenzen. Bei meiner Bekehrung hatte eine »immens kleine« Heilige ihre Hand im Spiel, die mir mit diskreter, zarter und geisterfüllter Liebe zu Hilfe kam.

      Als ich einen ihrer Texte las, wurde mir bewusst, welchen »Halt« die Handhabung des freimaurerischen Brecheisens aufs Schmerzlichste vermissen ließ: »Ein Gelehrter hat gesagt: ›Gebt mir einen Halt, und ich hebe die Welt aus den Angeln.‹ Was Archimedes nicht zu erreichen vermochte, da sich seine Bitte nicht an Gott richtete, sondern nur das Materielle betraf, das haben die Heiligen erreicht. Der Allmächtige hat ihnen Halt gegeben, indem er sich selbst gab! Sich allein! Als Hebel hat er ihnen das Gebet gegeben, das ein Liebesfeuer entzündet. Und so haben sie die Welt aus den Angeln gehoben. So tun die gegenwärtig auf dieser Welt noch streitenden Heiligen dasselbe und sie werden es bis an das Ende der Zeiten tun.«64 Mit einem Mal wurde mir klar, worin der Unterschied zwischen den Heiligen und den Eingeweihten bestand: Die Heiligen hüten kein esoterisches Geheimnis. Sie bauen schlicht und einfach auf Gott …

      Die Freimaurerei ist weit von dieser Demut entfernt, wie sie jene beseelt, die ihr Dasein der größeren Ehre Gottes geweiht haben. Stattdessen stiftet sie ihre Eingeweihten in den Hochgraden dazu an, stolz auf ihr Vorankommen auf dem Initiationsweg zu sein.

       Sich selbst rühmen!

      Vom Moment ihrer Initiation an erzieht also die Freimaurerei ihre Eingeweihten vor allem mittels bestimmter Rituale zu einer stolzen Autonomie. Das gilt für die Logen des Großorients von Frankreich, die mehrheitlich den – von ihnen selbst als »laikal (sic)« bezeichneten – französischen Ritus praktizieren. Im Verlauf der Zeremonie berührt der Meister vom Stuhl den neu ernannten Freimaurerlehrling, der soeben das Licht empfangen hat, mit der Klinge seines Flammenschwerts und sagt:

      »Steh auf, mein Bruder, du wirst vor niemandem mehr knien. Ein Freimaurer lebt aufrecht und stirbt aufrecht.«

      Das Wort Gottes lehrt uns das genaue Gegenteil: »Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters« (Phil 2,9–11).

      Im Alten und Angenommenen Schottischen Ritus, der weltweit am häufigsten zu finden ist, beginnt der Ichkult im Gesellengrad mit der oben beschriebenen Belehrung über die Handhabung des Brecheisens. Seine Bestätigung findet er im IV. Hochgrad des Geheimen Meisters. Bei der rituellen Unterweisung dieses Grades wird der Freimaurer gefragt:

      »Sind Sie Geheimer Meister?«, und er muss antworten: »Dessen rühme ich mich.«

      Es war mir schwergefallen, diese Selbstverherrlichung zu akzeptieren. Der Dreimalmächtige Meister65 hatte dies offenbar gespürt und mir daraufhin aufgetragen, ein Werkstück im IV. Grad vorzubereiten. Das Thema lautete: »Warum darf sich der Geheime Meister rühmen?«

      Ich vertrat in meinem Werkstück die These, dass man sicherlich Gott, aber eben nur Gott rühmen und verherrlichen dürfe. Ich erklärte, dass »die Herrlichkeit […] der Strahlenkranz [ist], der das Bild Christi umgibt«. Dann führte ich aus, dass der Geheime Meister nicht mit der biblischen Person gleichgestellt werden könne. In diesem Zusammenhang zitierte ich in meinem Werkstück den sechsten und siebten Vers des 82. Psalms66: Die Menschen dürfen sich nicht für Götter halten, denn sonst stürzen sie wie einer der Fürsten!

      Außerdem bezog ich mich auf das Johannesevangelium: »Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht!« (Joh 17,1). Der Geheime Meister dagegen, das sah ich ganz deutlich, rühmte sich seines eigenen Initiationserfolges und seines Sieges über sich selbst. Das bringt das Ritual dieses Grades nicht zuletzt durch die Erwähnung des Lorbeers zum Ausdruck:

      – »Sind Sie Geheimer Meister?«

      – »Dessen rühme ich mich!«

      – »Wo wurden Sie als Geheimer Meister·aufgenommen?«

      – »Unter dem Ölbaum und dem Lorbeerbaum.«

      – »Wofür stehen diese Symbole?«

      – »Der Lorbeer ist das Symbol des Sieges67, den ich infolge meiner Bemühungen, meine Pflicht zu erfüllen, über mich selbst davonzutragen hoffe.«68

      Für mich dagegen gebührte aller Ruhm immer nur Gott. Mein Glaube an Gott ließ nicht zu, dass ich mich selbst rühmte: Das wäre Blasphemie gewesen: »Wo bleibt da noch das Recht, sich zu rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch die Werke? Nein, durch das Gesetz des Glaubens« (Röm 3,27). Das stand fest: Kein gläubiger Mensch konnte sich selbst rühmen …

      Im weiteren Verlauf meines Vortrages erklärte ich, dass ich mich vor Gott nur einer einzigen Sache rühmen konnte, nämlich der Armseligkeit meines Menschseins. »Ich muss mich ja rühmen […]; meiner selbst will ich mich nicht rühmen, höchstens meiner Schwachheit. […] [Der Herr] aber antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt« (2 Kor 12,1.5.8–9).

      Wer sich selbst rühmt – so lehrt es der hl. Paulus, und


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